Schwierige Aufgaben spornen Karsten Behrendt zu unkonventionellen Lösungen an. Der Theologe und Personalexperte denkt gern quer

Dieses eine Blatt eines Abreißkalenders hatte Karsten Behrendt lange aufgehoben und sich an die Bürowand gepinnt: "Wer nach allen Seiten offen ist, muss nicht ganz dicht sein" war darauf zu lesen. Dieses Prinzip hat sich der 52-Jährige zu Eigen gemacht - was ihm mehr als einmal den Ruf eines Querulanten einbrachte.

"Für mich stand der Aufstieg nicht an erster Stelle, wichtiger war mir, morgens mit gutem Gefühl in den Spiegel schauen zu können", sagt Behrendt und lehnt sich im Ledersessel seines Wohnzimmers zurück. An der Wand gegenüber hängen Ikonen, auf der Anrichte tickt eine antike Tischuhr. Erfolg definiert er als Einklang mit sich selbst und der privaten und beruflichen Welt.

Dazu gehört auch, der inneren Stimme zu folgen. Das tat Behrendt, als er sich vor gut einem Jahr als Interimsmanager und Führungskräftetrainer selbstständig machte. Er blickt auf 25 Jahre in unterschiedlichen Positionen im Personalbereich zurück.

Sein erstes Berufsziel sah jedoch ganz anders aus. Schon als Gymnasiast wollte der gebürtige Fallingbostler katholischer Priester werden. Er studierte Katholische Theologie in Münster. Doch das Zölibat schien ihm kein sinnvolles Lebensziel. 1985 begann er darum nach der Diplom-Prüfung als Pastoralassistent in der katholischen St.-Bonifatius-Kirchengemeinde in Hamburg-Wilhelmsburg, wo er bis heute mit seiner Frau lebt. Als mit der Steuerreform 1987 die Kirchensteuer einbrach, musste er gehen. "Ich hatte damals schon einen Sohn, meine Tochter wurde wenig später geboren, da bleibt wenig Zeit für Resignation", sagt Behrendt, heute Vater von drei Kindern.

Bei der Suche nach Alternativen stieß er auf eine Maßnahme zur Umschulung für Akademiker zum Unternehmensbereichsassistenten an der Grone-Schule. "Ich hatte zwar keine Ahnung von Wirtschaft, aber ich wusste, dass ich mit Menschen arbeiten wollte", sagt der Theologe. Er setzte seinen Schwerpunkt im Personalwesen und begann nach der Umschulung als Projektassistent bei der Personalberatungsfirma PA Consulting Group. Dort baute er das Headhunting auf.

Der Branchenwechsel bedeutete für Behrendt keineswegs eine Abkehr vom Glauben. Vielmehr machte er fortan "Business" aus einem anderen Blickwinkel. "Ich sehe den Menschen nicht als Wirtschaftfaktor, sondern als individuelles Wesen", sagt er. Sein Theologie-Studium hatte ihn in dieser Perspektive nur noch bestärkt.

Später übernahm Karsten Behrendt bei PA Consulting auch die Personalakquise in Ostdeutschland. Als sich herausstellte, dass es acht bis zehn Wochen dauern sollte, bis eine Stellenanzeige in der "Leipziger Volkszeitung" erscheinen könnte, hakte er nach und erfuhr: Ursache war fehlendes Papier. Das besorgte er zusammen mit seinem Chef - und "bezahlte" damit die Anzeige, die dadurch doch kurzfristig erscheinen konnte. "Aufgaben, bei denen Initiative gefragt ist, haben mich immer angespornt", sagt Behrendt.

Bei einem Ehemaligen-Treffen der Grone-Schule bot ihm dann ein Dozent und gleichzeitig Personalleiter bei Philips Medical Systems 1990 eine Referentenstelle an. Behrendt griff zu. Als Unterstützung für den Aufbau eines Vertriebs in den neuen Bundesländern strukturierte er Einarbeitungs- und Schulungskonzepte für die Mitarbeiter. Außerdem sollte er die Verständigung zwischen Vertrieb und Produktion, gerade in einem Unternehmen zusammengeführt, verbessern. "Ich hatte ja noch nicht viel Erfahrung in der Wirtschaft, aber meine Stärken in der Kommunikation konnte ich gut nutzen", sagt Karsten Behrendt.

Kurz nach seinem Eintritt stand der Abbau von 20 Prozent der Belegschaft an. Betriebsbedingte Kündigungen waren für seinen damaligen Vorgesetzten tabu. Dessen Wahlspruch "Solche Aufgaben kann man nicht gut machen, aber anständig" übernahm Behrendt auch für sich. "Ich habe in den dreieinhalb Jahren des Abbaus gelernt, wie wichtig es ist, den Menschen bei der Personalarbeit in den Mittelpunkt zu stellen." Seine Praktiken waren auch hier eher ungewöhnlich. Persönlich wandte er sich an Firmen und warb für seine Mitarbeiter, um ihnen im Kündigungsgespräch einen Blanko-Arbeitsvertrag zu präsentieren. Wertschätzung auch denen gegenüber, die gehen - das war ihm immer wichtig.

Nach vier Jahren wechselte Behrendt zum Chemieunternehmen Schülke & Mayr in Norderstedt. Wieder über einen Kontakt wurde ihm dort die Stelle des Personalleiters fürs Werk angeboten. "Kontakte habe ich immer gepflegt, das hat oft im Berufsleben geholfen." Auch bei seinem neuen Arbeitgeber machte er sich für den ordentlichen Umgang mit dem "Wirtschaftsfaktor Mensch" stark. Und lief beim damaligen Geschäftsführer Michael Teubert offene Türen ein. Dieser habe ihn als Personaler sehr geprägt, sagt Behrendt - insbesondere die herzliche und gleichzeitig konsequente Art, mit der er die Mitarbeiter mitzog und begeisterte.

Weiter auf der Karriereleiter ging es 1998, als Behrendt Personalchef beim Maschinenbauer Hauni wurde. Doch die erste Euphorie schwand rasch. "Man suchte jemanden, der modernes Personalmanagement aufbaut, hieß es", sagt Behrendt. Kaum war der Vertrag unterschrieben, stellte sich heraus, worauf sich seine neue Tätigkeit zuerst konzentrierte: auf die Reduzierung um 400 Mitarbeiter. "Ich hatte dort schnell den Spitznamen Schlachter", sagt Behrendt. "Das hat mich sehr getroffen."

Die eingefahrenen Strukturen im Konzern machten es ihm schwer, individuelle Lösungen umzusetzen. "Ich muss mit den Menschen persönlich sprechen und brauche keine Pläne, die ich stoisch abarbeite", sagt Behrendt. Trotzdem hielt er drei Jahre durch. "Man kann nicht immer gleich das Handtuch schmeißen, wenn es nicht so läuft wie gedacht." Danach stand für ihn fest: Er gehört in den Mittelstand.

So stieg er 2001 als gesamtverantwortlicher Personalleiter in die mittelständische ALD Autoleasing ein, damals eine Tochter der Deutschen Bank. Personalentwicklung, Führungskräftetrainings, Outplacementberatung, Vorruhestand oder Teilzeitmodelle: "Hier konnte ich endlich alles anwenden, was ich über die Jahre gelernt hatte", sagt Behrendt. Zudem arbeitete er eng mit dem Betriebsrat zusammen. "Das war einigen schon ziemlich suspekt." Vier Jahre später wechselte er intern zur Bank Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe und setzte auch dort seine Ideen um.

Jetzt möchte er sein Wissen und seine Erfahrung weitergeben. Als selbstständiger Personalberater und Interimsmanager hat er dazu seit gut einem Jahr viele Möglichkeiten. Ideen von der Stange sind kaum zu erwarten.