Berufsporträt: Redakteur Viktor Schulz arbeitet beim Hamburger Verlag Eggertspiele. Er hat sein Hobby zum Beruf gemacht: Spiele entwickeln.
Hamburg. Viktor Schulz öffnet den Karton und greift nach dem bunten Spielbrett. Für andere würde mit dem Gesellschaftsspiel "Speicherstadt" jetzt ein gemütlicher Abend mit Freunden beginnen - für den 31-Jährigen beginnt die Arbeit. Schulz ist Spieleredakteur bei Eggertspiele und entwickelt zurzeit die Erweiterung von "Speicherstadt". Der Hamburger Verlag für Gesellschaftsspiele besteht aus ihm und dem Chef Peter Eggert. Sie bringen pro Jahr meist vier Spiele auf den Markt, wie etwa Santiago de Cuba, Pergamon - oder eben Speicherstadt.
Seit gut einem Jahr arbeitet Schulz für Eggertspiele. Erst als Volontär, seit November fest angestellt als Spieleredakteur. Wer solch einen Job ergattern möchte, muss Glück haben. Denn die Branche bietet bundesweit gerade mal 60 bis 70 solcher Stellen.
Schulz, dessen Magisterarbeit den Titel "Darstellung schwedischer Geschichte in Brettspielen der Gegenwart" trägt, bewarb sich nach dem Studium der Skandinavistik und Literaturwissenschaften zuerst bei den Schwergewichten Kosmos, Ravensburger und Pegasus um ein Volontariat. Die Bewerbung gestaltete er als Spielregel. Ein von ihm entwickeltes Spiel, "Zeitalter der Entdeckung", war da bereits auf dem Markt. Geklappt hat es dann bei Eggertspiele. "Dem Aushängeschild der Kleinverlage", wie Schulz sagt.
Der Fokus des Verlages liegt auf komplexen Spielen, bei denen vor allem Taktik und Strategie zählen. "Wir wenden uns an die spezielle Zielgruppe der Vielspieler", sagt Schulz. Verkauft werden die Spiele nicht nur in Deutschland und Europa, sondern auch in den USA und Asien, unterm Strich mit einer Auflage von durchschnittlich 10 000 Stück. Santiago de Cuba zum Beispiel gibt es in fünf Sprachen.
Der Tag von Schulz beginnt oft am Rechner: "Die Ideen von professionellen Autoren und Privatleuten kommen meist per Mail." Jeden Monat erhält er rund 40 Vorschläge. Ob ein Konzept interessant ist, erkennt Schulz in 30 Minuten. Vieles, was bei ihm landet, ist aber Altbekanntes leicht abgewandelt. "Jedes Jahr kommen etwa 1000 Spiele auf den Markt, das macht es nicht einfach, etwas nie Dagewesenes zu entwickeln", sagt Schulz. Entdeckt er einen neuen, interessanten Gedanken, fragt er den Prototypen an. "Das passiert bei 40 Einsendungen im Schnitt einmal."
Zwischen Prototyp und fertigem Produkt liegt ein langer Weg. Schulz kümmert sich meist um sieben bis acht Spiele gleichzeitig. Er bucht einen Grafiker, der später den Spielplan anhand von Spielregeln und Prototyp entwirft. Parallel feilt er an den Regeln und prüft Spielvarianten.
Passen die Figuren auf die Felder? Aus welchem Material sollen sie sein? Ist das Spielfeld gut lesbar? Unterstützen die Farben den Spielfluss? Bleiben die Produktionskosten im Rahmen? Das sind Fragen, die Schulz während der Entwicklung klären muss. Dabei spricht er laufend mit dem Grafiker und der Produktionsfirma.
Denn neue Einfälle verändern auch Design und Fertigung. Manchmal wird ein Konzept mehrmals umgestoßen. So hieß das Spiel Speicherstadt anfangs Patrizia Manager, anschließend sollten eine Zeit lang Wikinger die Akteure sein. Erst im Laufe der Zeit bekam das Spiel seine heutige Form und den Namen Speicherstadt. "Der Warenhandel als Grundidee blieb immer bestehen", sagt Schulz. Die Überfälle in der Spielhandlung hingegen wurden später durch Feuer ersetzt.
Bis zur Marktreife wird das Produkt immer wieder getestet. Im Schnitt 100-mal setzt sich Schulz mit anderen ans Spielbrett, um alle möglichen Situationen durchzuknobeln. "Hinter jedem unserer Spiele steht ein mathematisches System", sagt er. Ob es tatsächlich funktioniert, ist gerade beim hochkomplexen Verlauf schwer zu durchschauen. Fehler lassen sich oft erst nach vielen Runden aufdecken. Gibt es etwa eine bestimmte Strategie, die garantiert zum Sieg führt, müssen die Regeln verändert werden. "Es kann aber auch passieren, dass es ein Spiel nach einem Jahr Arbeit dann doch nicht in den Verkauf schafft", sagt Schulz. Erst wenn alle Regeln stehen, wird die Anleitung angefertigt. Dafür muss jeder nur denkbare Sonderfall berücksichtigt werden, etwa was zu tun ist, wenn die Münzen im Spiel ausgehen. "Auf der anderen Seite dürfen die Regeln nicht ausufern."
Um neue Einfälle aufzuspüren und Konzepte auszuprobieren, besucht Viktor Schulz mehrmals pro Woche Spieletreffen in Hamburg und anderen Städten. Auch auf Messen, wie etwa den Internationalen Spieletagen in Essen, tauscht er sich aus. "Die Spieler-Szene ist ein eigener Mikro-Kosmos, dem in Deutschland etwa 3000 Personen angehören", sagt er. Zwischen Job und Privatleben gäbe es kaum eine Grenze. "Oft sitze ich auch zu Hause noch bis 23 Uhr, um eine Strategie zu testen." Aber das sei halb so schlimm - Spielen ist für ihn ja Beruf und Hobby zugleich.