Flexible Arbeitszeiten und Arbeitszeitkonten bieten Beschäftigten wie Unternehmen Vorteile, sagt IAB-Forscher Eugen Spitznagel

Was in skandinavischen Ländern in Sachen Arbeitszeit besser läuft, erklärt Eugen Spitznagel vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB).

Hamburger Abendblatt:

Wie arbeitet man heute in Deutschland?

Eugen Spitznagel:

An vielen Arbeitsplätzen haben wir noch ein relativ starres Arbeitszeitkorsett. Aber rund 50 Prozent aller Beschäftigten haben immerhin flexible Arbeitszeiten in Gestalt von Arbeitszeitkonten. Natürlich gibt es immer Zeitkorridore mit Anwesenheitspflicht. Es gibt bei den Arbeitszeitkonten Ober- und Untergrenzen. So müssen die Konten in bestimmter Zeit ausgeglichen werden, und Guthaben können für unterschiedliche Alternativen verwendet werden. Bis hin zu Bildungszeiten, Pflegezeiten und Sabbaticals. Also: Es tut sich etwas, wir haben ein hohes Maß an Flexibilität. Aber man kann nicht sagen: Die Arbeitszeit ist in Deutschland hochflexibel.

Für wen kommen flexible Arbeitszeitmodelle infrage?

Spitznagel:

Ärzte oder Verkäufer können logischerweise nicht zu Hause arbeiten. Aber im Journalismus oder in der Forschung geht das. Man muss in Teams allerdings bestimmte Zeiten gemeinsam verbringen, damit der Zusammenhalt nicht verloren geht. Manchmal ist man auch froh, wenn man wieder am Schreibtisch sitzt - ich arbeite zum Beispiel sehr gern hier im Institut. Vieles, was die Arbeitszeit betrifft, kann man also nicht von oben herab regeln. Man braucht ein hohes Maß an Dezentralität, benötigt aber für diese dezentralen Lösungen betriebliche und tarifliche Rahmen-Regelungen.

Welchen Nutzen haben flexible Modelle?

Spitznagel:

Dies Instrument ist betriebswirtschaftlich sinnvoll. Früher, als es ein strenges Arbeitszeitregiment gab, lief vieles über die schwankende Auslastung. Die Beschäftigten hatten zeitweise weniger zu tun, und die Produktivität sank. Oder sie wurden entlassen, wenn keine Aufträge da waren. Heute kann ein Betrieb mit flexiblen Arbeitszeiten sehr elegant sein Arbeitsvolumen an den Bedarf anpassen.

Viele Mütter klagen über unflexible Arbeitszeiten. Warum funktioniert das in skandinavischen Ländern besser?

Spitznagel:

Ein Beispiel - wir arbeiten hier am Institut in einem Projekt mit einigen nordischen Ländern zusammen. Da unterhält man sich manchmal darüber, wie der Büroalltag ist. Jemand hat mir erzählt, dass Männer, die Väter sind, ein bisschen schief angeschaut werden, wenn sie spätabends noch im Büro sind. Dann heißt es: "Du hast doch Kinder - was machst du dann um sieben Uhr noch im Büro?" Also ich würde sagen, dass auch ein kultureller Wandel angesagt ist, dass man diese familiären Verpflichtungen ernster nimmt als bisher. Das beginnt schon beim Timing von Meetings. Ich habe in meiner Forschungsgruppe zwei Kolleginnen, die beide kleine Kinder haben, und kenne solche Probleme. Wir haben hier die Möglichkeit, intensiv maßgeschneiderte Telearbeit zu praktizieren. Wir haben auch ein "Kinderzimmer", sodass Mütter und Väter ihre Kinder mitbringen können.

Warum nehmen eigentlich nur wenige Beschäftigte ein Sabbatical?

Spitznagel:

Bei Langzeitkonten ist es schwieriger als bei Kurzzeitkonten - etwa wenn ich ein hohes Stundenguthaben angesammelt habe und den Betrieb wechseln will. Inzwischen gibt es aber gesetzliche Vorkehrungen, dass solche Langzeitkonten gesichert sind. Fakt ist, dass Langzeit- und Lernzeitkonten von den Mitarbeitern nicht sehr stark in Anspruch genommen werden. Da sie von relativ wenigen Betrieben angeboten werden, ist das nicht verwunderlich.

Wird sich das ändern?

Spitznagel:

Auf lange Sicht wird Flexibilität wichtiger. Denn wir leben ja in einer Zeit des demografischen Wandels und bewegen uns auf eine Situation zu, wo wir zwar vielleicht nicht von einem generellen Fachkräftemangel sprechen müssen, wo es aber in verschiedenen Branchen und Regionen eng wird. Da ist ein Betrieb gut beraten, wenn er solche Flexibilitäten möglich macht und damit auch Mitarbeiter anzieht und bindet.