Die Erziehungswissenschaftlerin Prof. Ingrid Gogolin im Gespräch

Über Migration, Sprachenvielfalt und die Arbeit des Forschungsverbunds "Linguistic Diversity Management in Urban Areas", kurz LiMA, sprach das Abendblatt mit Prof. Dr. Ingrid Gogolin.

Hamburger Abendblatt: Weshalb beschäftigt sich LiMA mit der Sprachenvielfalt der Hansestadt?

Ingrid Gogolin: Hamburg gehört zu den europäischen Metropolregionen mit größter Attraktivität für Zuwanderer - schon immer in der Geschichte. Ungefähr 200 verschiedene Sprachen sind in Hamburg lebendig und prägen das Bild der Stadt. Sprachenvielfalt löst aber auch Befürchtungen aus und erschwert tatsächlich oft die Verständigung. Ausgangspunkt unserer Untersuchungen ist es, dass Sprachenvielfalt auf engstem Raum unumkehrbar ist. Es muss der Gesellschaft also daran gelegen sein, diese Lage möglichst optimal zu gestalten. Mit den LiMA-Untersuchungen wollen wir Grundlagenwissen gewinnen, als Basis für gute Strategien der Stadt- und Sprachplanung, der Spracherziehung und -bildung und der individuellen und gesellschaftlichen Nutzung von Vielsprachigkeit.

Woher wissen Sie, wer welche Sprache spricht?

Gogolin: Da hilft nur, die Menschen zu fragen. Viele glauben, dass man von der Staatsangehörigkeit auf die Sprache schließen kann. Das ist jedoch falsch. In den meisten Ländern werden viele Sprachen gesprochen - 34 in der Türkei, rund 300 in China, mehr als 400 in Indien. Die meisten LiMA-Projekte sind daher 'zu den Menschen unterwegs': Wir befragen Familien, beobachten Sprachpraxis auf Straßen, in Geschäften, fragen die Lehrer.

Welche Chancen und Risiken birgt es, wenn ein Kind zweisprachig mit Deutsch und Türkisch aufwächst?

Gogolin: Aus spracherwerbstheoretischer Sicht bringt das Aufwachsen mit zwei oder mehr Sprachen vor allem Vorteile. Positive Wirkungen hat es auf die kognitive, also die geistige Entwicklung. Es trainiert, Entscheidungen zu treffen: Mit wem kann ich welche Sprache benutzen? Welches Wort gehört zu welcher Sprache? Der einzige wissenschaftlich belegte Nachteil ist, dass Zwei- oder Mehrsprachige in jeder der beteiligten Sprachen einen geringeren Wortschatz entwickeln als Einsprachige. Fallen Kinder in ihrer Sprachentwicklung zurück, hat das eher mit der Bildungsferne ihrer Familien zu tun als mit Mehrsprachigkeit.

Wie sollten Schulen mit mehrsprachigen Kindern umgehen?

Gogolin: In der Schule müssen alle Kinder, unabhängig von ihrer sprachlichen Herkunft, an bestmögliche Fähigkeiten im Deutschen und Englischen herangeführt werden. Wichtig ist die Entwicklung einer Kultur der Sprachbildung, in der Mehrsprachigkeit zum Vorteil aller Kinder - auch der einsprachigen - ihren Platz hat. Die in vielen Klassenzimmern vorhandene Vielsprachigkeit kann zum Beispiel zur frühen Begegnung mit den Lauten und Melodien verschiedener Sprachen genutzt werden, die mit dem Alter schwerer lernbar werden. Forschung zur Umsetzung dieser Prinzipien in der Praxis unternehmen wir in Zusammenarbeit mit 'LiMA-LabS' (LiMA-Laborschulen) mit Unterstützung der Bildungsbehörde. Gemeinsam mit Lehrkräften wird nach Praktiken gesucht, die für die Sprachförderung besonders geeignet sind. Damit können anderen Lehrern gute Vorbilder zur Verfügung gestellt werden.

Wo kann man mehr über Ihre Forschung erfahren?

Gogolin: Auf unserer Website www.lima-lama.uni-hamburg.de . Wir bereiten dort einen Teil unserer Forschungsergebnisse direkt für die Öffentlichkeit auf - für Eltern, Erzieher, Lehrkräfte oder Journalisten, aber auch für mehrsprachige Kinder und Jugendliche.