An der Universität Hamburg arbeiten junge Forscher an spannenden Projekten. Wir stellen drei von ihnen in ihrem wissenschaftlichen Umfeld vor

Die Islamwissenschaftlerin: Katajun Amirpur

Im Westflügel, Raum 221, dürfte es zur Antrittsvorlesung am 18. Oktober brechend voll werden. Hier hält Katajun Amirpur, 41, Professorin am neuen Lehrstuhl für Islamische Studien/Theologie ab 20 Uhr ihre Rede. Das Thema lautet: "Rechte Wege - Gedanken zu einer Theologie des Dialogs".

Das ist ihr Lebensthema. Am neu geschaffenen Lehrstuhl bietet die prominente Streiterin für mehr Verständigung und Verständnis zwischen den Kulturen als gläubige Muslimin in Zukunft eine "Innensicht" auf den Islam. Hier weist sie auf den Unterschied ihres Faches "Islamische Studien" zum Fachbereich "Islamwissenschaft" hin, an dem vorwiegend nicht-muslimische Wissenschaftler lehren - und damit eine "Außensicht" auf die islamische Kultur und Religion repräsentieren. "Ich beschäftige mich vorwiegend mit der Religion an sich, etwa den unterschiedlichen Auslegungen des Koran, weniger mit dem übrigen Themenspektrum wie Kultur oder Sprache."

Ihre Hauptaufgabe wird es in Zukunft sein, angehenden Hamburger Religionslehrern die Grundzüge des islamischen Glaubens nahezubringen. Hintergrund ist der Hamburger Sonderweg im Bund, bei dem alle Konfessionen gemeinsam unterrichtet werden. "Ich finde es großartig, dass Hamburg dieses konfessionsübergreifende Bildungs-Konzept eingeschlagen hat, denn nur mehr Dialog schafft auf Dauer gegenseitiges Verständnis und Toleranz", sagt Katajun Amirpur.

Daneben freut sie sich auf ihre Forschungs-Projekte. Ihr Thema "Gender und Islam" beschäftigt sich mit der Rolle als Frau in der islamischen Gesellschaft. Hier lehrt sie im Geiste ihres Vorbilds Mohammad M. Shabestari, der lange in Hamburg lebte und hier geprägt wurde. Er plädiert für eine moderne Lesart des Korans. Die schließt auch eine Gleichberechtigung von Mann und Frau ein sowie die Trennung von Religion und Staat. Dass sie hier künftig Diskussionen anstoßen und Veränderungsprozesse in Gang bringen kann, scheint angesichts ihres streitbaren Engagements nicht ausgeschlossen. Ihre Augen jedenfalls blitzen, als sie sagt: "Es ist nicht der Islam oder der Koran, der Frauenrechte verhindert, sondern die Auslegung durch die geistliche Elite bestimmter Regierungen oder das Patriarchat, die kein Interesse an einer Stärkung der Frauenrechte haben."

Wer keinem Streit aus dem Weg geht, ist irgendwann umstritten. Die Spuren ihres Wirkens als Publizistin oder in Podiums-Diskussionen zeigen, dass sich an Katajun Amirpur die Geister scheiden. Auch in der "Kopftuch-Debatte" fordert sie seit Langem eine differenziertere Betrachtungsweise. Kopftuch tragende Musliminnen allgemein als "fundamentalistisch" einzustufen, sei ein Zeichen von Diskriminierung und Intoleranz der westlichen Gesellschaften. "Wenn man sie als Fundamentalistinnen abstempelt, drängt man sie ungewollt zum Zusammenschluss mit Gruppierungen, die tatsächlich keine demokratische Gesinnung haben."

Solche und ähnliche Klischees über den "Islam" will sie in Zukunft entkräften. So wolle sie ihren Studenten klarmachen, dass "Lehren wie die von al-Qaida, Zwangsheiraten oder Ehrenmorde den zentralen Dogmen des Islam fundamental widersprechen".

Dieses Spannungsfeld zwischen ihren beiden Kulturen bewog die Tochter eines iranischen Kulturattachés und einer Deutschen zum Studium der Islamwissenschaft an der Universität Bonn. Ein Jahr studierte sie schiitische Theologie im Iran, promovierte zwischen 1996 und 2000 über den iranischen Philosophen Abdolkarim Soroush und wurde 2010 mit einer Arbeit über Mohammad M. Shabestari habilitiert. Nach mehreren Stationen als freie Journalistin bei namhaften Tageszeitungen folgte sie im Jahr 2010 dem Ruf der Universität Zürich.

Jetzt steht der neue Lebensabschnitt bevor. Während der Woche wird die Professorin in Hamburg arbeiten, am Wochenende ist sie zu Hause in Köln bei ihrer Familie, ihrem Mann und ihren beiden Töchtern. Hier entspannt sie am liebsten beim gemeinsamen Kochen und Wandern. Doch das dürfte sich bald umdrehen. Vor allem ihre Älteste freut sich auf häufige Besuche in Hamburg. Amirpur: "Sie findet die Stadt einfach cool."

Der Kardiologe: Stefan Blankenberg

Wenn Stefan Blankenberg einen Raum betritt, nimmt er ihn ein: 1,90 Meter, kräftige Statur, markantes Kinn und ein fester, freundlicher Blick hinter dem Brillengestell machen den neuen Chefkardiologen des Universitären Herzzentrums (UHZ) am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) zum Archetypen eines Gottes in Weiß. Der gebürtige Frankfurter empfängt das Hamburger Abendblatt in seinem Büro. Der blutrote Teppich und die massive, schwarze Schrankwand stammen von seinem Vorgänger, Prof. Thomas Meinertz. Beides hat Blankenberg erst einmal übernommen. "Rot ist nicht gerade die Farbe der Hoffnung, aber ein Teil der Corporate Identity unseres Hauses. Ich werde mich schon daran gewöhnen", sagt Blankenberg. Auf dem Konferenztisch steht ein Herzmodell, daneben liegt der Wochenplan des Wissenschaftlers. Er bemerkt die Neugier des Gastes. "Gucken Sie ruhig drauf", ermuntert er.

Sein Arbeitstag beginnt ab 7.30 Uhr mit einer Visite in der Notaufnahme, nach der Frühbesprechung folgt bis 10 Uhr der Rundgang über die Stationen, anschließend bleibt eine Stunde für administrative Aufgaben. Zwischen 11 und 13 Uhr steht er im Operationssaal, wo er Herzkatheter legt, durch die er Gefäßstützen (Stents) oder neue Herzklappen einsetzt. Nach der halbstündigen Mittagspause empfängt er bis 16 Uhr Patienten in seiner Sprechstunde. Hätte er keinen Besuch, wäre er jetzt mit Forschung beschäftigt - bis "open end".

Der Stundenplan des neuen Chefkardiologen, den Kollegen als guten Zuhörer und Team Player schätzen, offenbart nicht nur das Arbeitspensum eines Top-Mediziners, sondern vor allem sein komplexes Aufgabengebiet. Denn Blankenberg verantwortet einen reibungslosen ärztlichen Dienstleistungs-Apparat und ist gleichzeitig für Forschung und Lehre zuständig. Dass diese Disziplinen unter dem Dach UHZ Hand in Hand gehen, wertet er als Glücksfall. "Hier ist unser Haus mit seinem interdisziplinären Ansatz wegweisend." Wenn Stefan Blankenberg über seinen neuen Arbeitsplatz spricht, gerät er ins Schwärmen. Der 42-Jährige preist die "einzigartige" Struktur des UHZ, in dem seit der Gründung 2005 Herz-Patienten mit allen medizinischen und operativen Techniken aus den Bereichen Kardiologie und Chirurgie unter einem Dach behandelt werden. "Diese enge Zusammenarbeit ist Voraussetzung für die neuen innovativen Behandlungsmethoden für Herzpatienten", sagt Blankenberg.

Vor allem die revolutionären Behandlungs-Methoden in der Kardiologie machten eine enge Verzahnung beider Bereiche notwendig. Hierzu zählen in erster Linie der Einsatz neuer Herzklappen oder Stents - etwa bei einer Verengung der Herzkranzgefäße (Atherosklerose) - über einen Katheter. "Damit können gerade älteren Patienten dem Risiko eines chirurgischen Eingriffs entgehen", sagt Blankenberg. Als revolutionär und für Hamburg "wegweisend" bewertet er die Zusammenarbeit führender Herz-Spezialisten am neuen Herzforschungszentrum. Hier werden die Ursachen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowohl klinisch als auch auf ihre genetischen Faktoren hin untersucht und gemeinsam ausgewertet. "Diese Einrichtung macht Hamburg weltweit zu einem Epizentrum der Herz-Kreislauf-Forschung."

Blankenbergs Berufung zeigte sich früh. Der Sohn eines Altphilologen aus Frankfurt wollte "Arzt werden seit der ersten Biologiestunde". Er studiert Medizin in Mainz, Frankfurt und New York und startet seine Karriere als Kardiologe an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz: 1996 beginnt er als Arzt im Praktikum, arbeitet einige Jahre im Ausland, habilitiert 2004 und steigt drei Jahre später zum Oberarzt und stellvertretenden Direktor auf.

Bereits in Mainz hat sich Blankenberg auch als Forscher einen Namen gemacht. In der "Gutenberg-Herz-Studie", initiiert im Jahre 2005, hat er über fünf Jahre mit seinem Team von 60 Mitarbeitern mehr als 15 000 Personen fünf Stunden lang auf Herz und Nieren untersucht. Die Ergebnisse bilden die bisher weltweit größte Bio-Datenbank für die Untersuchung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sie dient der Erforschung neuer Krankheits-Ursachen sowie der Entwicklung neuer Medikamente. Eine ähnliche Studie plant Blankenberg auch für die Hansestadt.

Die Physikerin: Erika Garutti

Wenn Dr. Erika Garutti einen Raum betritt, scheint sich die Atmosphäre mit Energie aufzuladen. Dass die frisch berufene Physik-Professorin vor Temperament birst, quasi "unter Strom" steht, verrät schon ihr dynamischer Gang und ein Blick in ihre funkelnden, braunen Augen. Auch der druckvolle Klang ihrer Stimme bestätigt, was die Mitarbeiter ihrer Forschungsgruppe für Detektortechnik (Nachweisgeräte für physikalische Prozesse) am Desy über ihre Chefin sagen: Sie ist eine brillante, enthusiastische Wissenschaftlerin, ehrgeizig, erfolgsorientiert und dabei ein echter Team-Player.

Davon profitieren ab kommendem Semester auch die Studenten im Fachbereich Physik an der Universität Hamburg. Hier lehrt Erika Garutti als W2-Professorin "Experimentelle Teilchenphysik mit dem Schwerpunkt Detektorenentwicklung". Das Thema begründete ihren Ruf als Wissenschaftlerin während ihrer achtjährigen Forscher-Karriere am Desy.

Was ihre Arbeit genau ausmacht, erklärt Erika Garutti physikalischen Laien gern anhand eines Bildes. Kollidieren zwei Autos, fliegen meist Fahrzeugteile und Glasscherben durch die Gegend. Aus der Lage und Form der einzelnen Trümmmerteile lässt sich der Unfallhergang rekonstruieren. Ähnlich gehen Teilchenphysiker vor. Sie jagen kleinste Teilchen der Materie - Elektronen und Positronen - mit großer Wucht aufeinander und vermessen deren Kollisionsprodukte.

Dies geschieht in großen Teilchenbeschleunigern, wie dem bei Desy geplanten International Linear Collider (ILC). In dieser weltweit größten Anlage sollen in Zukunft zwei je 15 Kilometer lange Teilchenkanonen Elektronen und Positronen aufeinanderfeuern und eine große Anzahl neuer, bisher unbekannter Teilchen freisetzen. "Um deren spezifische physikalische Eigenschaften analysieren zu können, brauchen wir genaueste Messgeräte", sagt Garutti. An der Optimierung dieser sogenannten "Detektoren" hat Erika Garutti als Teamleiterin der Helmholtz-Nachwuchsgruppe bei Desy seit acht Jahren erfolgreich geforscht. "Mithilfe der Detektoren können wir verschiedene Eigenschaften der Teilchen bestimmen und den Bauplan des Universums immer weiter entschlüsseln."

Dass sie ihre eigene Energie der Erforschung der Materie widmen würde, war Erika Garutti schon während ihrer Schulzeit in der oberitalienischen Stadt Ferrara klar. "Ich wollte immer Physikerin werden, alles andere hat mich nicht so interessiert", sagt Garutti und lacht. Folgerichtig studierte sie nach dem Abitur ihr Lieblingsfach an der Universität ihrer Heimatstadt. Schon damals faszinierte sie vor allem die Teilchenphysik. "Ich wollte den Dingen auf den Grund gehen und Antworten auf die Fragen des Lebens finden."

Da die Qualität der Antworten vor allem von hochkomplexen Analyse- und Messgeräten abhängt, entschied sich Erika Garutti am Ende ihres Studiums, diese Werkzeuge (tools) zur Erforschung der Materie zu verbessern. Ihre Diplomarbeit jedenfalls über Korrektur-Magneten am größten Teilchenbeschleuniger der Welt, LHC (Large Hadron Collider) am CERN bei Genf empfahl sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin ans Desy. Dass sie 1998 von Italien in die Hansestadt zog, sei für sie ein "echter Glücksfall" gewesen. "Ich war begeistert von den Forschungsmöglichkeiten hier. Als Vollblut-Physiker gibt es nur wenige Adressen auf der Welt, wo man sein möchte: Am CERN, am Fermilab und Jefferson Lab in den USA, dem KEK in Japan und hier bei Desy in Hamburg."

Als weiteren Glücksfall wertete sie die Unterstützung durch ihren Mentor, Professor Rolf Heuer. Der ehemalige Desy-Forschungs-Direktor - heute in Genf Leiter des CERN - ist für sie ein wichtiger Ansprechpartner. Denn mit einem 60-köpfigen Team aus Medizinern und Wissenschaftlern will Erika Garutti die Detektortechnik so weit verkleinern, dass diese in ein gängiges Endoskop hineinpasst und somit für die Diagnose etwa von Bauchspeicheldrüsenkrebs taugt. Ihr neues Betätigungsfeld bestätigt ihr einmal mehr, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. "Wenn wir mit unserer Forschung am Ende sogar Leben retten können, macht alles noch mehr Sinn."