Im Berufsporträt: Der Archivar Thomas Brakmann. Er digitalisiert Hamburgs historische Dokumente. Und arbeitet an der Geschichtsschreibung.

Kattunbleiche 19, Kellerraum VU09. Ein Hauch von Ewigkeit liegt auf vollen Regalen. "Was wir übernehmen, bleibt für immer", erklärt Thomas Brakmann, 37, das Prinzip des Staatsarchivs Hamburg, während sein Blick über die Senatsprotokolle aus dem 18. Jahrhundert wandert. Besuchern zeigt der Leiter des Referats "Überlieferung Bürgerschaft, Senat, Justiz" besonders gern diese zwei Schätze: die Protokolle der Rathaussprengung aus dem Jahr 1842 und die polizeilichen Überwachungsberichte aus dem Kaiserreich der Sozialdemokratin Rosa Luxemburg. "Es ist schon erhebend so etwas in Händen zu halten", sagt der promovierte Historiker.

35 000 Regalmeter Akten und Amtsbücher, 9000 Urkunden, drei Millionen Karten, Pläne und Fotos der Hamburger Verwaltung lagern auf fünf Stockwerken im Staatsarchiv. Das älteste Stück stammt aus dem Jahr 1140. "Das Bild des wortkargen Eigenbrötlers mit Ärmelschonern hat aber längst nichts mehr mit dem Archivar von heute zu tun", sagt Brakmann.

Seine Arbeit beginnt mit der Auswahl der Dokumente in den Behörden. Brakmann entscheidet, welche nach der Frist von fünf bis 30 Jahren ins Archiv kommen. Mit 20 Kollegen sichtet er das Material vor Ort. Von den in der Verwaltung jährlich produzierten 28 000 Regalmetern Papier werden im Schnitt 800 Meter als archivwürdig eingestuft. Dazu gehören zum Beispiel Grundbücher oder Geburtsurkunden. Die Auswahl des Archivars bestimmt mit, welches Bild von der Gegenwart überliefert wird. "Wir machen hier Geschichte", sagt Brakmann und lacht dabei.

Bei bedeutenden Ereignissen, wie etwa dem Prozess gegen die somalischen Piraten, setzt sich Brakmann noch vor Abschluss des Verfahrens mit den Staatsanwälten zusammen, erfasst und kategorisiert Unterlagen. "Wir möchten immer das Zeittypische herausstellen", sagt er. Derzeit sei dies im juristischen Bereich Jugendgewalt und Gewalt in der Familie, in den 70er-Jahren war es die organisierte Kriminalität. Beschädigte Dokumente schickt Brakmann innerhalb des Hauses erst einmal zum Restaurieren.

Betriebswirtschaftlich denken und handeln muss der Archivar auch: Regelmäßig bilanziert er die Arbeit seiner Abteilung. "Wir versuchen, die Behörden einzubeziehen, damit sie die Aktenflut im Vorwege filtern und sachgemäß aufbewahren", sagt Brakmann. Dabei berät er das Verwaltungspersonal. Ein Mammutprojekt steht demnächst an: Über die nächsten drei Jahre schult er mit sechs Mitarbeitern die 1300 Beschäftigten der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt während ihres geplanten Umzugs. Papier soll eingespart, ein elektronisches Aktenführungssystem installiert werden.

Digitale Technik rückt auch sonst in den Vordergrund. Brakmann beginnt seinen Tag stets am Computer: "Die technischen Hilfsmittel entwickeln sich schnell, entsprechend müssen wir unser Fachwissen laufend auffrischen." Findbuch und Karteikästen werden nach und nach von Datenbanken und Verwaltungsprogrammen ersetzt. Dabei müssen die unterschiedlichsten Formate, bestückt mit gelben Zetteln, Randnotizen, angetackerten Fotos und Büroklammern, digital erfasst werden.

Auch die Archivierung von Originalquellen aktueller politischer Bewegungen erfordert neue Techniken. "Viele Stellungnahmen des arabischen Frühlings oder Stuttgart 21 liefen über Twitter, hier brauchen wir völlig neue Lösungen", sagt Brakmann. Ohnehin würden die Aufgaben des Archivars sich immer weiter vom Historiker hin zum Informationsdienstleister entwickeln.

Dienstleister ist Brakmann auch sonst. Er telefoniert und mailt nicht nur mit Behörden, sondern auch mit Historikern und Heimatforschern, die nach bestimmten Dokumenten suchen. Diese stellt er dann bei Bedarf zusammen. "Das eröffnet immer wieder neue Blickwinkel auf geschichtliche Zusammenhänge", sagt Brakmann. Regelmäßig gibt er zudem für Schulklassen Seminare zum Umgang mit den Originalquellen, etwa zu Themen wie Kinderarbeit oder der NS-Geschichte.