Bewerbungsexperte Jürgen Hesse kritisiert Aussagekraft des Dokuments - und dass Mitarbeiter es oft selbst schreiben

Referenzen von ehemaligen Vorgesetzten seien die besseren Arbeitszeugnisse, findet Karrierecoach Jürgen Hesse. Was in medizinischen Berufen schon gang und gäbe ist - Auskunft vom alten Vorgesetzten des Bewerbers einzuholen -, würde er auch anderen Branchen wünschen.

Hamburger Abendblatt: Von immer mehr Arbeitnehmern hört man, dass sie sich ihr Arbeitszeugnis selbst schreiben sollen. Was halten Sie davon?

Jürgen Hesse: Das ist natürlich eine Unsitte, aber so ist es. Manche Chefs versuchen so, sich der Arbeit zu entledigen. Das kommt vor allem bei Arbeitnehmern vor, die einen Job nur auf eine begrenzte Zeit gemacht haben. Ein gutes Arbeitszeugnis zu schreiben kostet Kraft und Nerven, und dann ist es für den Vorgesetzten natürlich einfacher zu sagen: "Machen Sie mal einen Entwurf." Damit spart man sich Zeit. Das ist aber im Prinzip für den Arbeitnehmer eine unlösbare Aufgabe, so als ob jemand zu Ihnen sagt: "Jetzt schreiben Sie mal einen Brief in Chinesisch." Das kann gehörig danebengehen und sieht in der Bewerbung einfach doof aus. Man sollte sich diesen Job nicht aufdrücken lassen, und wenn es doch nicht anders geht, sich zumindest schnell in die Thematik und typische Zeugnissprache einarbeiten, damit ein halbwegs gutes Arbeitszeugnis dabei herauskommt.

Wenn man es nicht selbst machen muss - wer sollte einem das Arbeitszeugnis denn am besten schreiben? Die Personalabteilung?

Hesse: Also, wenn es ein großes Unternehmen ist, dann ist es natürlich die ehrenhafte Aufgabe der Personalabteilung, das zu tun. Wenn es ein kleines Unternehmen ist, sollte dies der Inhaber tun. Denn ein Arbeitszeugnis zu schreiben ist mit einem gewissen Hintergrundwissen verbunden, welches sich die Verantwortlichen aneignen müssen. Da gibt es Codes, die man verwendet, und wenn Sie schreiben: Jemand hat sich immer ganz wunderbar angestrengt, so wie man das jetzt mündlich sagen würde, ist das ein Schlag ins Gesicht für den Arbeitnehmer. Damit machen Sie den unmöglich! Es ist also eine Aufgabe, die ernst genommen werden muss, und zwar von beiden Seiten. Der Chef muss wissen, was er da tut, und sich mit der Zeugnissprache sehr gut auskennen. Aber auch derjenige, der das Zeugnis erhält, muss darauf bestehen, dass ihm jemand das Zeugnis schreibt, der sich wirklich mit den Codes, mit der typischen Zeugnissprache auskennt.

Was kann ich tun, wenn ich mit meinem Zeugnis nicht einverstanden bin?

Hesse: Erst einmal machen Sie sich schlau, ob Sie in ihrer Einschätzung richtig liegen. Das ist sehr wichtig. Und dann gehen Sie zu Ihrem Vorgesetzten und sprechen mit ihm darüber. Sagen Sie ihm: "Hier an der und der Stelle, das find ich ganz toll, aber bei dem und dem Punkt, da kommt meiner Meinung nach ein schiefes Bild rüber" oder "Da finde ich mich nicht wieder". Machen Sie konkrete Alternativvorschläge. Geben Sie ihm am besten eine Vorlage, wie Sie es gerne hätten und werben Sie dafür. In der Regel werden 80 bis 90 Prozent solcher Vorschläge übernommen, man muss sie nur machen. Und kluge Arbeitgeber sind da sehr kompromissbereit, weil sie auch wissen, dass - falls man vor Gericht geht - die Beweispflicht beim Arbeitgeber liegt. Ihr Chef müsste also beweisen, dass Sie nur Unterdurchschnittliches geleistet haben.

Nun ist das schlechte Arbeitszeugnis ja nicht die Regel. Die meisten Zeugnisse werden sehr wohlwollend geschrieben. Welchen Stellenwert hat denn dann ein Arbeitszeugnis bei einer Bewerbung überhaupt noch?

Hesse: Die Krux ist, dass der Gesetzgeber den Aussteller dazu verpflichtet, dass das Arbeitszeugnis auf der einen Seite wahr sein soll und auf der anderen Seite wohlwollend. Insoweit gibt es eine Tendenz, dass die meisten Zeugnisse sich in einer Bandbreite von sehr gut bis gut bewegen. Und im Grunde genommen ist dadurch das Arbeitszeugnis auch ein Stück weit entwertet.

Also sind im Zweifel Referenzen aussagekräftiger als ein Arbeitszeugnis?

Hesse: Ja. Es gibt auch schon eine starke Tendenz, dass potenzielle Arbeitgeber gerne mal bei den Firmen anrufen, die in der Bewerbungsmappe aufgeführt sind. Das wäre ja schon eine Art Referenz. Andere Firmen fragen beim Bewerber nach, wen er ihnen als Referenzgeber nennen könnte. Wer klug ist, hat sich bereits einen Referenzgeber überlegt und den genau instruiert, was er sagen soll. In der Medizin beispielsweise ist es gang und gäbe, dass man seinen Oberarzt oder Chefarzt informiert, wenn man sich wegbewerben will, eben weil es auch normal ist, dass das neue Klinikum sich beim alten Arbeitgeber nach den Leistungen erkundigt. Dort gibt es natürlich auch ein Zeugnis, aber die persönliche Auskunft hat einen viel höheren Stellenwert.