Die Hamburger Kreativgesellschaft unterstützt seit einem Jahr selbstständige Kunstschaffende dabei, wirtschaftlich zu arbeiten.

"Ich bedaure, dass ich das Angebot nicht schon früher wahrgenommen habe", sagt Angela Hasse heute. Die Hamburger Fotografin brauchte im Frühjahr dringend neue Arbeitsräume - und fand keine, wenigstens keine bezahlbaren. Helfen konnte ihr erst die Hamburger Kreativgesellschaft. Diese gibt es jetzt seit rund einem Jahr. In dieser Zeit haben Egbert Rühl und seine sieben Mitarbeiter etwa 350 Kreative betreut. "Uns interessieren die Künstler. Aber wir setzen uns nicht inhaltlich mit ihrer Kunst auseinander, sondern wir wollen ihnen behilflich sein, wirtschaftlich erfolgreicher zu sein", sagt Rühl.

Bei Angela Hasse ist das gelungen. Nach 15 Jahren als freie Fotografin hatte sie sich entschlossen, ihre Fähigkeiten auf einer breiteren Basis zu verwerten. Sie gründete eine Agentur, spezialisiert auf Gesundheit und Prävention - eben dafür brauchte sie größere Räume. Über deren Vermittlung hinaus ist sie begeistert davon, wie viele wichtige berufliche Kontakte sie über die Kreativgesellschaft machen konnte.

"Kreative haben häufig noch nie eine Beratung wahrgenommen, wenn sie zu uns kommen", sagt Susanne Eigenmann. "Oft kennen sie die Angebote nicht oder sagen, das passe nicht zum kreativen Arbeiten." Häufiges Thema in der Beratung - außer der Suche nach geeigneten Räumen - ist die unternehmerische Kompetenz, also das Herausarbeiten eines Profils und die Fragen, wie man die eigenen Kompetenzen verwerten kann, wo man mögliche Zielgruppen findet und schließlich, wie man an all dem zusammen etwas verdient. Für selbstständige Künstler und Kreative ist ein Mehrsäulenmodell typisch. Teils stammen ihre Einnahmen aus ihrer Kunst. Ein anderer Teil kommt aus der Kunstvermittlung: Musiker unterrichten ihr Instrument, Maler geben Zeichenunterricht. Wenn das nicht reicht, kommt noch ein Job dazu, der ganz woanders angesiedelt ist.

Die Kreativgesellschaft verfolgt da einen anderen Weg. "Wie sagen nicht, such dir einen Brotkorb, sondern überlege, wie du mit deinen künstlerischen Kompetenzen deinen Broterwerb gestalten kannst", sagt Beraterin Eigenmann. "Früher hat der Künstler autonom seine Kunst gemacht und sich übers Taxifahren finanziert. Das ändert sich. Es gibt immer mehr Künstler, die mit kunstnahen Tätigkeiten ihr Geld verdienen wollen." Diese zu finden ist die Herausforderung.

In der Kreativbranche entstehen ständig neue Berufsfelder, über die Künstler oft gar nicht nachdenken. Ein typisches Beispiel, von dem Egbert Rühl berichtet, sind Studios, in denen Sprache und Ton von Computerspielen verschiedenen Zielmärkten angepasst werden. Texte zu übersetzen und zu sprechen ist ein breites Feld für Autoren und Schauspieler.

Auch das Künstlerpaar Benita und Immanuel Grosser fand Hilfe bei der Kreativgesellschaft. Beide betreiben seit elf Jahren im Kleinen Kielort 8 einen Raum für Konzeptkunst (heißt: Nicht das einzelne Werk, der ganze Raum wird zum Kunstobjekt) und bieten dort auch Yoga-Kurse an. "Uns geht es darum, ein langfristiges Finanzierungsmodell zu finden und dem Raum im Hamburger Kunstkontext eine angemessene Stellung zu geben", sagt Benita Grosser. Für sie hatte das Gespräch in der Kreativgesellschaft den Charakter einer Positionsbestimmung. "Indem ich mich erkläre, mich ausdrücke, wird ja schon im Gespräch viel deutlich. Man fühlt sich an die Hand genommen und Schritt für Schritt geführt. Das war sehr hilfreich. Wir wissen jetzt, wo wir Gelder herbekommen können und wie wir das Ganze angehen sollen."

Die Selbstständigkeit ist immer ein wichtiges Thema in der Beratung. "Bei Patchwork-Existenzen und Soloselbstständigen gibt es immer die Gefahr der Vereinsamung. Man agiert in einem Feld und hat eigentlich gar keinen Maßstab dafür, wo man steht. Bin ich eigentlich gut oder schlecht? Was machen die anderen?", sagt Egbert Rühl. Das seien typische Fragen. "Kreuz und quer", heißt die Anfang September gestartete Veranstaltungsreihe, die diesem Bedürfnis nach Vernetzung entgegenkommen soll. Jeden zweiten Dienstag im Monat gibt es ein offenes Treffen mit Impulsvortrag und Gelegenheit zu Gesprächen (Kontakt s. Infokasten).

Das Gespräch mit einer Kollegin war für den Musiker Leopold Hurt ein Anlass, der ihn letztlich mit der Kreativgesellschaft in Kontakt brachte. Seine Passion ist die Neue Musik. Diese oft experimentellen Kompositionen sind eher selten einem Massenpublikum zugänglich. "Wenn man seine Lieblingsmusik machen will, muss man Ensemble gründen", ist Hurt überzeugt. Sein Projekt heißt "Decoder". Mit dabei sind weitere vier Musiker und eine Stimmkünstlerin, alles Absolventen der Hamburger Musikhochschule, einige Preisträger und seit fünf Jahren im Beruf als Solisten, in verschiedenen Ensembles und als Lehrer tätig.

"Existenzgründung hat man im Studium nicht gelernt", sagt Hurt. "Da studiert man sein Instrument, Komposition und wird zum Künstler ausgebildet. Die Kreativgesellschaft hat schon sehr geholfen." Seine Idee: "Wir haben uns gedacht, es wäre gut, wenn in Hamburg wieder ein Ensemble für Neue Musik entstehen würde. Die bestehenden sind fast alle eine Generation älter. Wenn es möglich wäre, davon den Lebensunterhalt oder einen Teil davon zu bestreiten, wäre das eine tolle Sache." Die Gespräche für erste Konzerte stimmen Leopold Hurt optimistisch. Wenn alles gut geht, wird "Decoder" im Februar 2012 seinen ersten Auftritt haben.