Ein Appell von Mark Hübner-Weinhold

Diesmal klappt es. Ganz sicher. Sie bekommen Ihren Arbeitstag in den Griff, setzen die richtigen Prioritäten, arbeiten Ihre To-do-Liste sukzessive ab und lassen sich keineswegs ablenken. Sie haben zwei bis fünf Ratgeber für Zeitmanagement gelesen, um die besten Tipps herauszuangeln. Am Sonntag haben Sie die Aufgaben für die kommende Woche fein säuberlich in Ihr Zeitplanbuch, Ihr Outlook oder Ihre iPhone-App eingetragen, terminiert und priorisiert. Sie wissen jetzt genau, wie es geht.

Spätestens am Montagmittag stolpern Sie wieder über die Hürden auf dem realen Parcours Ihres Jobs. Mehrere Dutzend E-Mails fesseln Ihre Aufmerksamkeit, Kollegen und Mitarbeiter belagern Sie mit dringlichen Anliegen, der Chef hatte am Wochenende einen brillanten Einfall, den Sie nun umsetzen dürfen, und das Telefon will keine Ruhe geben. Am Ende des Tages, der Woche, des Monats schauen Sie auf Ihre Aufgabenliste. Sie ist wieder einmal beachtlich gewachsen.

Um nicht in dieser Flut von Aufgaben zu ertrinken, delegieren immer mehr Menschen berufliche Tätigkeiten in ihre Freizeit. Das ist in Ordnung, solange diese Arbeit auch als Arbeitszeit anerkannt wird. Die Wirklichkeit sieht oft anders aus: Wer ohnehin mit Arbeit überfrachtet ist, sattelt nach Feierabend oder am Wochenende drauf - ohne Freizeit- oder Lohnausgleich. Stillschweigend profitieren Arbeitgeber von dieser Selbstausbeutung ihrer Angestellten.

Langfristig jedoch rächt sich dieser Auswuchs des digitalen Multitaskings. Gute Ideen gehen im Sperrfeuer permanenter Erreichbarkeit verloren, die Fehlerquote steigt, die Qualität sinkt im hektischen Copy-and-paste-Geschäft.

Unser Gehirn wird durch das sprunghafte Zerhacken von Arbeits- und Denkprozessen dauerhaft überfordert. Wir bewegen uns schnell in einer Abwärtsspirale der Erschöpfung. Das trifft vor allem jene Mitarbeiter, die sich besonders engagieren. Nur wer für etwas brennt, kann ausbrennen. Führungskräfte sind hier gut beraten, achtsam zu sein und sich für ausreichende Ressourcen und ungestörte Freizeit starkzumachen. Am besten geht das, wenn die Chefs mit gutem Beispiel vorangehen.