Für Naturwissenschaftler ist die Promotion ein Muss, für arbeitslose Geistes- und Sozialwissenschaftler oftmals ein Lückenfüller

Jedes Jahr reichen 25 000 Studenten ihre Doktorarbeit an einer deutschen Uni ein. Die meisten, so möchte man vermuten, schreiben ihre Dissertation sogar selbst. Auch wenn prominente Beispiele - Silvana Koch-Mehrin, Karl-Theodor zu Guttenberg - momentan Zweifel schüren ... Anne jedoch, 26 Jahre, 13 Semester Germanistik, sehr guter Abschluss an der Humboldt-Uni Berlin, schreibt selbst. Sie hat lange überlegt, ob sie promovieren soll. "Nun steht die eins vor dem Komma, doch die Jobsuche läuft trotzdem schlecht. Und bevor ich einfach nur arbeitslos bin ..." Echte Überzeugung sieht anders aus.

Nicht wenige Geistes- und Sozialwissenschaftler nutzen die Doktorarbeit, um die Lücke, die für sie nach dem Studium im Lebenslauf entsteht, zu schließen. "Es gibt Bereiche, in denen die Promotion heute als üblicher Abschluss gilt, zum Beispiel in der Medizin oder Chemie", sagt Patricia Schneider, 38, Geschäftsführerin von Thesis e.V., einem interdisziplinären Netzwerk für Promovierende und Promovierte. "Andere schreiben die Arbeit den Eltern zuliebe, weil es eine Art Familientradition ist. Oder wie in Annes Fall schlichtweg aus Ermangelung beruflicher Alternativen." Das führt nicht selten zum Abbruch. Schätzungen zufolge beginnen jedes Jahr rund 60 000 Absolventen ihre Doktorarbeit, nicht einmal die Hälfte von ihnen darf sich nach durchschnittlich vier Jahren die zwei begehrten Buchstaben auf die Visitenkarte drucken.

"Man sollte die Vor- und Nachteile einer Promotion genau abwägen und notfalls rechtzeitig die Notbremse ziehen", rät Schneider, selbst promovierte Politologin. Denn eine Promotion aus reinem Karrierekalkül klappe nur selten, dafür sei der Weg bis zum Doktortitel zu hart. "Es ist ja nicht so, dass einem automatisch alle Karrierewege offen stehen, wenn man promoviert hat. Die beste Motivation ist daher das Interesse am Thema und die Freude am wissenschaftlichen Arbeiten."

So war es bei Annika Schrader, die ihre Doktorarbeit in Biologie 2008 abgegeben hat und schon ein knappes Jahr später Laborleiterin bei Beiersdorf wurde. Die Promotion hat sich für die 32-Jährige gelohnt, sowohl in finanzieller als Hinsicht als auch mit Blick auf die Karriereleiter. "Nicht alle machen sich vorher klar, was es bedeutet, eine Doktorarbeit zu schreiben."

"Bei einer Diplomarbeit, die neun bis zehn Monate läuft, kriegen die Studenten jemanden an die Hand, der ihnen sagt, was sie tun sollen. Bei einer Doktorarbeit wird erwartet, dass sie sich diese Gedanken selber machen. Diesen Schritt unterschätzen viele!"

In den Naturwissenschaften gehört eine Promotion heute zum Standard. Im Promotions-Spitzenreiter-Fach Chemie machen neun von zehn Studenten ihren Doktor. Schrader: "Zwar gibt es auch in den Naturwissenschaften Berufsfelder, in denen man keine Promotion braucht, aber in vier von fünf Jobs ist es sehr hilfreich, wenn man schon mal bewiesen hat, dass man drei Jahre ein Projekt eigenständig bearbeitet hat, von der Entwicklung der Methodik bis hin zur Lösung der Fragestellung."

Auch Jens Hohensee erinnert sich gut an die Tücken der Promotion: "Ich weiß noch genau, wie ich in Heidelberg in meiner Studentenbude bei sengender Hitze direkt unter dem Dach saß und geschrieben habe. In den letzten Wochen vor der Abgabe von sieben Uhr morgens bis drei Uhr nachts", erzählt der 47-Jährige, der heute Personalberater bei Kienbaum in Hamburg ist.

Hohensee hat Geschichte, Politikwissenschaft und Arabistik in Kiel, München und Kairo studiert. Er promovierte im Anschluss in Geschichte. "Als nach zwei Jahren mein Stipendium auslief, bewarb ich mich bei IBM als freier Mitarbeiter in der Marketingabteilung." Gutes Geld habe er dort verdient, die Doktorarbeit aber kam schnell zum Erliegen. Erst nach anderthalb Jahren begann Hohensee wieder zu schreiben. "Für mich war die Praxiserfahrung sicherlich richtig und wichtig. Aber abgesehen davon empfehle ich jedem, die Promotion schnell durchzuziehen, um danach so rasch wie möglich ins Arbeitsleben zu starten."

So wie Hohensee kämpfen viele Doktoranden außer mit Einsamkeit und Schreibblockaden vor allem gegen eines: die Zeit. Je länger die Promotion dauert, desto größer wird der Abstand zu den Kollegen, die direkt nach der Uni in den Beruf eingestiegen sind. Acht bis zehn Jahre kann es laut Patricia Schneider von Thesis dauern, bevor sich die Promotion "rechnet". Ein Teufelskreis: Denn je mehr Praxiserfahrung ein Promovend mitbringt, um so geringer der Nachteil gegenüber den Kollegen. Erfahrungen zu sammeln kostet aber wieder Zeit, die der Doktorand nicht hat.

Dennoch: Ist die Arbeit endlich abgegeben und der Weg in den Beruf frei, zahlt sich der Titel auch finanziell aus. Während laut einer Studie der Kienbaum Unternehmenskommunikation Absolventen ohne Promotion ein Jahresgehalt von 42 000 Euro bekommen, verdienen ihre Kollegen bis zu 1500 Euro mehr im Monat, nämlich zwischen 50 000 und 60 000 Euro pro Jahr.

Kienbaum-Berater Hohensee würde auch deshalb immer wieder promovieren. Trotzdem gibt er zu Bedenken: "Gerade in der Wirtschaft gewinnt heute auch der MBA immer mehr an Bedeutung." Ein MBA, ein Master of Business Administration also, ist der international anerkannte Abschluss eines Managementstudiums und lässt sich häufig als Fernstudium gut in den Berufsalltag integrieren. Laut der Kienbaum-Studie schätzen 85 Prozent der Unternehmen einen MBA sogar gleichwertig mit einer Promotion ein, kommt er doch der beruflichen Praxis häufig sogar näher. "Gerade mit Blick auf die Internationalisierung der Unternehmen lohnt er sich heute für Wirtschaftswissenschaftler eher als der Doktortitel", glaubt Jens Hohensee.