Führungskräfte stehen vor ethischen Fragen: Wie kann ich gerecht sein? Wem gehört meine Loyalität? Das Interesse an christlichen Werten wächst.

Nürnberg. Ende Februar ist es wieder so weit: Der Kongress christlicher Führungskräfte lädt ein - und aller Voraussicht nach wird er abermals einen Rekord brechen. 4000 Interessierte werden am 24. nach Nürnberg pilgern, so viele wie nie zuvor. Dass die Themen "Gott" und "Führung" derzeit gut zusammenpassen, zeigen auch anderen Indizien, zum Beispiel, wenn man einen Blick in den Terminkalender von Anselm Grün wirft. Der Mann ist nicht nur Benediktinermönch, sondern auch Autor und Referent. Er tourt mit seiner Botschaft durch das Land. Seine Themen lauten "Menschen führen - Leben wecken", "Führen mit Werten" oder "Spirituell führen mit Benedikt und der Bibel". Nach der Zahl seiner Auftritte ist der Mönch längst ein Popstar, 120-mal stand er im Jahr 2010 auf der Bühne.

Viele suchen eine zusätzliche Kraft, die ihnen hilft, ihre Rolle zu erfüllen

Göttliche Hilfe, so scheint es, kommt an in turbulenten Zeiten: "In den vergangenen Jahren hat sich das Bewusstsein bei vielen Führungskräften verstärkt, dass sie noch eine zusätzliche Kraft brauchen, um in ihrer Rolle bestehen zu können", erklärt Peer-Detlev Schladebusch. Der Pastor und studierte Betriebswirt muss es wissen: Seine Seelsorge reicht tief in die Unternehmen hinein, im Auftrag der Hannoverschen Landeskirche kümmert er sich um die Menschen in der Arbeitswelt.

Die gehen öfter als früher nicht nur zu einem Coach oder Berater - sondern suchen die Nähe zu Gott. Besonders deutlich ist diese Entwicklung heute schon in den USA zu erkennen. Dort buchen inzwischen viele Unternehmen einmal in der Woche einen Firmengeistlichen, der sich um die Nöte der Mitarbeiter kümmert.

Die Organisation "Corporate Chaplains" vermittelt in den USA 4000 Geistliche

Ganz gleich, ob es sich um die Sorge um den kranken Vater oder die Angst vor Entlassung handelt: "Die Geistlichen haben immer ein Ohr für das, was die Mitarbeiter bewegt", sagt Dan Truitt. Seine Organisation, Corporate Chaplains in Dallas, vermittelt Geistliche, die Firmen besuchen. Seit ein paar Jahren ist die Nachfrage so hoch, dass Truitt ständig neue Mitarbeiter sucht. Landesweit sind inzwischen 4000 Firmengeistliche unterwegs.

Was auf den ersten Blick wie ein Spleen aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten wirkt, ist längst auch in Europa ein ernsthafter Trend. In der Bankenmetropole Frankfurt am Main etwa nehmen viele Menschen geistliche Angebote wahr. Eines davon ist der Gebetskreis der Deutschen Bank. "Einmal wöchentlich treffen wir uns zum gemeinsamen Gebet", berichtet Hansjörg Nymphius, der den Kreis gemeinsam mit seinem Kollegen Uwe Juli koordiniert. Christen im Unternehmen sollen so Kontakt zueinander erhalten, Lebensfragen mit Gleichgesinnten besprechen können, so lautet die Agenda.

Offenbar braucht der Beruf solche Plattformen des christlichen Austauschs. Das bestätigt Pastor Horst Marquardt, der im Jahr 2005 gemeinsam mit dem Unternehmer Jörg Knoblauch den Kongress christlicher Führungskräfte gründete: "Unsere Teilnehmer finden in den Gemeinden oft nicht die richtigen Gesprächspartner", sagt er. "Beim Kongress hingegen treffen sie auf Gleichgesinnte, die ebenfalls führen." Seine These: Die Berufstätigkeit wirft ethische und spirituelle Fragen auf, die weder das Unternehmen noch der Sonntagsgottesdienst beantworten.

Auch die Broschüre mit den Führungsleitlinien, die manches Personalressort verteilt, ist oft keine wirkliche Hilfe. "Schön formulierte Werte-Propaganda liefert keine Antworten für die Nöte des Alltags", sagt Stefanie Unger, Unternehmensberaterin in Berlin, die die Organisation und Diskussionsplattform Wertedialog.org gegründet hat.

Wo die Mitarbeiter und Führungskräfte wirklich der Schuh drückt, erfährt Pastor Schladebusch, wenn er mit den Leitenden spricht. "Wie kann ich noch gerecht sein? Wem gehört in turbulenten Zeiten meine Loyalität? Wie kann ich unter größtem Druck bestehen?", zählt der Seelsorger einige der Fragen auf, die ihm immer wieder gestellt werden.

Eines wird dabei deutlich: Im typischen Jahresgespräch mit dem Vorgesetzen haben diese Fragen keinen Platz - denn hier sind Ziele, Umsatz und Marktanteile das Thema. "Immer geht es nur um Erfolg, Erfolg, Erfolg", kritisiert Kongressveranstalter Horst Marquardt. Auch die Weiterbildung konzentriere sich allzu viel auf das quantifizierbare Gelingen.

Wenn Arbeit nur Geld bringt, ist niemand zufrieden, glauben Experten

Über die seelischen Kosten des Steigerungsstrebens aber wird kaum geredet, wie Dr. Hans Thomas, Direktor des Lindenthal-Institutes, einer interdisziplinären Denkfabrik in Köln, bekundet: "Wenn Arbeit nur Geld bringt, ist auf Dauer niemand zufrieden." Je stärker der Kapitalismus nur auf Rendite setze, desto mehr suchten die Menschen nach Würde, Sinn und Anerkennung, meint der Chef des privaten Forschungsinstituts.

Diesem Bedürfnis entspricht auch ein Angebot der evangelischen St.-Antonius-Kirche in Frankfurts Innenstadt: Hier strömen jeden Dienstag um 12.15 Uhr Anzug- und Kostümträger in die Kirche - zum "Bankergebet". Auch über die Bankenmetropole hinaus ist die christliche Botschaft vielfach präsent. Das zeigt der Verein Christen in der Wirtschaft (CiW): Er hat bereits 42 Regionalgruppen. Gott, so scheint es, ist in manchem Büro schon angekommen.