Suchtkranke Mitarbeiter: Alkohol- und Drogenmissbrauch bei jedem fünften bis zehnten Beschäftigten. Was können Unternehmen tun?

Haben Sie Kollegen? Leiten Sie ein Team? Nehmen wir an, in Ihrer Mannschaft arbeiten 20 Leute. Theoretisch sind mindestens zwei darunter, die zu oft zu Alkohol greifen. Oder sich mit Tabletten oder Cannabis betäuben.

Experten schätzen, dass jeder fünfte bis zehnte Mitarbeiter in einem Unternehmen einen riskanten oder schädlichen Suchtmittelkonsum betreibt. "Alkohol ist dabei immer noch das größte Problem", erklärt Theo Baumgärtner, Leiter des Büros für Suchtprävention unter dem Dach der Hamburgischen Landesstelle für Suchtfragen. "Illegale Drogen spielen nur bei Auszubildenden eine größere Rolle."

Schädlich ist der Missbrauch nicht nur für den Mitarbeiter, sondern auch für die Firma. "Wir müssen davon ausgehen, dass Mitarbeiter mit riskantem Alkoholkonsum bis zu 16-mal häufiger am Arbeitsplatz fehlen", sagt Dunja Kleis, Landesgeschäftsführerin der Barmer GEK in Niedersachsen und Bremen. "Darüber hinaus wird das Klima in der Abteilung schlechter", ergänzt Brigitte Schuster, betriebliche Suchtberaterin im schwäbischen Gundelfingen. "Schließlich müssen die Kollegen die Arbeit des Suchtkranken mitmachen."

"Unternehmen gehen das Thema Sucht zwar schon an", sagt Sabine Riedel-Schönfeld, Inhaberin der Unternehmensberatung Schönfeld in Berlin. Allerdings sei es oft mit Scham behaftet. "Firmen glauben, ihrem Image zu schaden, wenn sie Führungskräfte in diesem Bereich weiterbilden - denn dann erkennen sie an, dass es auch bei ihnen Alkoholkranke gibt", sagt Riedel-Schönfeld. "Und die gibt es - genauso viele, wie in der gesamten Gesellschaft." Die Referentin für Suchtprävention stellt immer wieder fest, dass Süchte der Mitarbeiter verharmlost werden. "Gerade wenn die Firma nicht in einer Großstadt liegt und man den Mitarbeiter oder Kollegen eventuell abends im Verein oder Restaurant wiedertrifft."

Während Mitarbeiter dem suchtkranken Kollegen aus eher moralischen Gründen helfen sollten, haben Vorgesetzte eine Fürsorgepflicht. Doch wie erkennen Führungskräfte das Suchtproblem? "Es gibt eindeutige Verhaltensauffälligkeiten", sagt Präventionsberaterin Brigitte Schuster. Zu den Anzeichen gehörten: viele Krankheitstage, Leistungsabfall, eine "Fahne", Wegeunfälle. Nachlässige Kleidung, der Versuch, Gerüche zu übertünchen (ständiges Lüften, Pfefferminz lutschen), oder fahriges Verhalten könnten ebenfalls auf ein Problem hinweisen, ergänzt Sabine Riedel-Schönfeld. "Auch wenn sich jemand zurückzieht, überangepasst oder aggressiv wirkt, ist das ein Signal, dass etwas nicht stimmt."

Davor, jetzt die Diagnose "Sucht" zu stellen, warnen jedoch alle Experten - genauso wie davor, dass Vorgesetzte sich als Therapeuten versuchen. "Das ist nicht die Aufgabe der Führungskraft", unterstreicht Theo Baumgärtner vom Büro für Suchtprävention. "Der Arbeitgeber kann nur feststellen, dass es Veränderungen gibt und den Betroffenen zu einem Gespräch einladen." "Man muss von seinen eigenen Beobachtungen ausgehen", erklärt Soziologe Baumgärtner. "Eine Diagnose kann der Betroffene abwehren, aber nicht, wenn ich ihm aufzähle, wie oft er in den letzten drei Wochen zu spät gekommen ist und welche Veränderungen ich an ihm bemerkt habe." Am besten, man beginne das Gespräch mit "Mir fällt auf, ..." oder "Ich mache mir Sorgen, weil ..."

Der Vorgesetzte werde nicht gleich zum suchtkranken Mitarbeiter durchdringen, sagt Brigitte Schuster. Das ist nicht wahr! Wer sagt das? Ihr wollt mich loswerden! Das seien typische Reaktionen. "Oder es wird eine fürchterliche Geschichte als Ausrede erzählt." Vier bis fünf Gespräche in drei bis vier Wochen sollten im Rahmen des "abgestuften Interventionsverfahrens" geführt werden. "Fördern und fordern" sei das Prinzip, hebt Theo Baumgärtner hervor. "Man muss dem Betroffenen Konsequenzen aufzeigen." Ändert der betroffene Mitarbeiter auch nach dem zweiten oder dritten Gespräch sein Verhalten nicht, kann abgemahnt werden - oder auch gleich gekündigt.

"Ich würde unterscheiden, wie heikel der Einsatz des Mitarbeiters ist", unterstreicht Dr. Volker Bahnsen, Fachanwalt für Arbeitsrecht in der Hamburger Kanzlei Wiegel Ihde Ekrutt + Partner. "Chirurgen oder Techniker im Atomkraftwerk arbeiten in so sensiblen Bereichen, dass eine sofortige Kündigung infrage käme." Eine trinkende Sekretärin dagegen müsse zuvor abgemahnt werden. Allerdings nur, solange ihre Alkoholkrankheit noch nicht von einem Arzt diagnostiziert wurde. Bahnsen: "Wegen einer Krankheit kann man nicht abgemahnt werden. Dann kommt nur eine personenbedingte Kündigung in Betracht, wenn sie sich weigert, Hilfsangebote anzunehmen."

Damit es gar nicht erst so weit kommt, haben Unternehmen verschiedene Möglichkeiten: Sie können ihre Führungskräfte in Schulungen für das Suchtthema sensibilisieren und Gesprächsführung lehren. "Große Firmen stellen zum Teil Leute frei, die sich um solche Probleme kümmern und Ansprechpartner sind", sagt Theo Baumgärtner. "Gibt es keine Instanz im eigenen Betrieb, dann sollten Führungskräfte externe Beratungsstellen nennen können."

Nicht zuletzt sollten Firmen auch einmal ihre eigene Kultur unter die Lupe nehmen: Ist Alkohol akzeptiert oder gibt es eine "Null-Promille-Regel" während der Arbeitszeit? Treiben eventuell sogar die Arbeitsbedingungen gefährdete Mitarbeiter tiefer in die Sucht? Präventionsberaterin Brigitte Schuster: "Eine Umfrage der DAK hat ergeben, dass 800 000 gesunde Bundesbürger gegen Konflikte und Stress am Arbeitsplatz regelmäßig zu Medikamenten und Alkohol greifen. So schleichen sich oft gefährliche Abhängigkeiten ein."