Eine Erinnerung von Mark Hübner-Weinhold

Kennen Sie Momo, das Buch von Michael Ende? Darum geht's: In der Stadt, in der das Mädchen Momo wie eine Landstreicherin in der Ruine eines kleinen römischen Amphitheaters lebt, tauchen eines Tages Zigarre rauchende aschgraue Herren in spinnwebfarbenen Anzügen mit bleigrauen Aktentaschen auf, in deren Gegenwart es die Menschen fröstelt.

Die grauen Herren reden den Menschen ein, sie dürften nur noch Nützliches tun, um Zeit zu sparen. Der Friseur hört auf, mit seinen Kunden zu plaudern und schneidet ihnen nun die Haare in 20 statt in 30 Minuten. Seine alte taube Mutter, für die er sich bisher jeden Tag Zeit nahm, bringt der Friseur in ein Altenheim.

Auch mit Momo spricht einer der grauen Herren. "Man muss nur immer mehr und mehr haben, dann langweilt man sich niemals", behauptet er. Sicher kein Zufall, dass mir angesichts einer Gruppe von Managern immer diese grauen Herren einfallen ...

Deren Mantra des "Schneller, mehr, sparsamer" beschreibt exakt die Wachstumslogik der modernen Effizienzgladiatoren in der globalen Wirtschaft. Das funktioniert so lange, wie man die Belegschaft wirklich mitnimmt auf dem Weg zu mehr Erfolg und besseren Zahlen.

Wenn aber Wertschätzung echter Leistung der Mitarbeit sich auf ritualisierte Weihnachtsdankfloskeln reduziert, untergräbt die Führung langfristig die Moral der Truppe und so das Fundament des Erfolgs.

Ehrliche Wertschätzung wird tagtäglich gelebt. Das bedeutet keinen Kuschelkurs, sondern direktes konstruktives Feedback. Der Chef zum Anfassen und offenen Reden ist in vielen Organisationen längst ein Märchen. Dieses Vorbild setzt sich dann oft kaskadenartig nach unten fort.

Manchmal sind es auch schon kleine Gesten und Schritte, die viel bewirken. Wer etwa die nadelgestreifte Manageruniform mal gegen eine Jeans eintauscht, zeigt, dass er Mut hat, eingefahrene Pfade zu verlassen und alte Denkmuster aufzubrechen. Sich hin und wieder leger zu kleiden, zeigt den Mitarbeitern auch: Ich bin zwar der Chef, doch dabei bin ich Mensch geblieben. Die grauen Herren mögen das übrigens nicht gern.

+++ Zum Nachlesen: Kompass +++