Von wegen grauer Joballtag. Verwaltungsberufe bieten spannende Aufgaben mit Verantwortung. Ein Beispiel ist Brückenprüfer Werner Carstensen

Hamburg. Wer an Berufe in der Verwaltung denkt, hat schnell Sachbearbeiter vor Augen, die Akten wälzend an ihrem Schreibtisch kleben. Dabei haben kommunale Verwaltungen durchaus spannende Berufe zu bieten. Das Abendblatt begleitete Brückenprüfer Werner Carstensen vom Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG).

Carstensen ist Brückenprüfer aus Leidenschaft - was hilfreich ist, wenn er mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen wird, um eine Brücke "mit Anprallschaden" zu inspizieren und zu entscheiden, ob die Sicherheit des Bauwerks noch gewährleistet ist. Die Borsigbrücke in Rothenburgsort ist so eine Brücke, bei der es häufiger mal knallt. Mit dem Brückenprüfschiff "Brückenkieker" des LSBG geht es auf Inspektionsfahrt.

Als die stählerne Bogenbrücke in Sicht kommt, nimmt Carstensen das Bauwerksbuch der Brücke zur Hand. Hier sind alle Daten, Fakten und bisherigen Prüfberichte vermerkt und der Brückenprüfer sieht auf einen Blick, worauf er bei seinem Kontrollgang achten muss. Im Falle der Borsigbrücke sind die Schäden jedoch augenfällig. "Die meisten Brücken in Hamburg haben eine Durchfahrtshöhe von 4,5 Metern, die Borsigbrücke kommt jedoch nur auf vier Meter und wird öfter mal touchiert." Tatsächlich ist das rot-weiße Warnschild am Portalträger völlig verbeult. "Der Querträger ist am Untergurt etwa um zehn Zentimeter verschoben, die Diagonalstreben sind ebenfalls stark gestaucht und müssen ausgetauscht werden, da besteht eine Tragfähigkeitsminderung", befindet Carstensen. Eine unmittelbare Gefahr besteht jedoch nicht.

Korrekt lautet Carstensens Berufsbezeichnung "Ingenieur für Bauwerkprüfung". Aber der 63-Jährige ist kein Ingenieur. Carstensen ist Quereinsteiger, hat seinen Maurermeister gemacht und zahlreiche Weiterbildungen durchlaufen. Wer ihm auf seinem Posten folgt, wenn er in einem Jahr in Rente geht, wird dagegen ein abgeschlossenes Universitäts- oder Fachhochschulstudium des Bauingenieurwesens, fünfjährige Berufserfahrung im konstruktiven Ingenieurbau sowie die Teilnahme am Lehrgang für Ingenieure der Bauwerksprüfung vorweisen müssen.

Zum Handwerkszeug der Brückenprüfer gehört der Brückenspecht, ein spezieller Hammer, mit dem Carstensen nun das Mauerwerk auf der Suche nach hohl klingenden Stellen abklopft und mit dem er losen Mörtel aus den Fugen kratzt. In der Brüstungswand zeigen sich tatsächlich zahlreiche Fugenausplatzungen mit Kalk- und Salzausblühungen sowie mehrere treppenförmige Risse. Außerdem stellt er bei der Gehwegs- und Asphaltbelagsprüfung Schlaglöcher fest, eines ist 7,5 cm tief und misst 55 x 25 cm. "Das kann so nicht bleiben, da rufe ich nachher gleich an", erklärt er entschieden. Sein Gesicht zeigt deutlich, er mag kaum mit ansehen, wie ein Laster nach dem anderen durch die Löcher rast und der Schaden immer größer wird.

Unter der Brücke wird ersichtlich, warum. Carstensen stellt Feuchtigkeit im Mauerwerk des Widerlagers fest, also im Unterbau der Brücke. "Das Wasser sucht sich seinen Weg entlang der Kammerwand, das ist eine Folge der Asphaltschäden", erklärt er. Als nächstes nimmt er die Brückenkonstruktion von unten in Augenschein. Dazu ist die "Brückenkiecker" mit einer Hebebühne sowie einem Hubsteiger ausgestattet. Bis zu elf Meter hoch kann sich Carstensen so heben lassen. In luftiger Höhe hat er jedoch nichts weiter auszusetzen. Dennoch wird sich die Summe der Schäden später in der Note 3 ausdrücken. Was in der Schule mit "befriedigend" übersetzt wird, heißt in der Brückenprüfersprache "Hier besteht Handlungsbedarf". "Alles über 2,5 bedeutet, Maßnahmen müssen ergriffen werden", sagt Carstensen.

Immerhin ist die Borsigbrücke massiv gebaut. Andere Bauwerke verfügen über Hohlräume, und das bedeutet für die Brückenprüfer so manchen unbequemen Kontrollgang. "Da kriecht man auch schon mal auf allen Vieren, um mit Lampe, Fotoapparat, und Entfernungsmesser etwaigen Rissen auf die Spur zu kommen." Sauber bleibt man da nicht, am schlimmsten sei der Taubenkot. Ab und an kommen noch Obst- oder Fettflecken hinzu. Wenn nämlich der Brückenprüfer eine Absperrung verfügt, um arbeiten zu können, ruft das manchmal deutlichen Ärger seitens der Autofahrer hervor, die im Stau stehen. "Fluchen und Schimpfen geht ja noch, aber es fliegen auch schon mal Apfelgehäuse. Und einmal ein Karbonadenknochen", sagt der 63-Jährige.

Knapp 30 Jahre ist er nun schon dabei, so einiges hat er erlebt. Glücklicherweise aber keinen Brückeneinsturz. So abwegig wäre das gar nicht, denn gerade bei manchen Spannbetonbrücken stellen Risse echte Alarmzeichen dar, "in der Folge kann ohne weitere große Vorwarnung einiges passieren", sagt der Experte. Da Sicherheit oberstes Gebot ist, kann Carstensens Urteil und das seiner Kollegen durchaus zur Stilllegung einer Brücke führen.

Ein aktuelles Beispiel ist die Deelbögebrücke. Als hier Schäden entdeckt wurden, führte das zur sofortigen Sperrung zweier Fahrstreifen. Weitere Prüfungen ergaben: Die Brücke bedarf zwingend einer Grundinstandsetzung, ein kompliziertes Vorhaben, denn auch während der Bauarbeiten sollen jeweils vier der sechs Fahrstreifen befahrbar bleiben. Das umzusetzen ist jedoch inzwischen Aufgabe der Entwurfsingenieure des LSBG. Die insgesamt sechs Brückenprüfer haben ihre Arbeit getan.