Alle reden von Work-Life-Balance. Doch engagierte Nachwuchskräfte haben die Wohlfühlsoße satt, glauben Experten

Elf-Stunden-Tage findet Nicolas Wolski nicht schlimm. Im Gegenteil. "Ein intellektuell fordernder Job bringt es mit sich, auch zu unorthodoxen Zeiten zu arbeiten", sagt der 28-jährige Jurist. "Wenn die Arbeit mir Erfolgserlebnisse und Erfüllung bringt, gucke ich nicht auf die Uhr." Wolski mag nicht recht ins Bild passen. In öffentlichen Debatten haben es die Themen Arbeit und Leistung derzeit schwer.

Jede Firma, die etwas auf sich hält, bietet ihren Mitarbeitern Programme zum Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit. Bei Bewerbungsinterviews, auf Firmen-Homepages: Nirgends fehlt ein Hinweis auf die Wohlfühlprogramme des Arbeitgebers. "Doch so kuschelig, wie sich viele Firmen nach außen geben, sind sie nicht", sagt Managementberater Professor Wolfgang Jäger aus Königstein im Taunus. "Die Ansprüche und der Leistungsdruck sind in den vergangenen Jahren extrem gestiegen." Dennoch redet der Mainstream in den Firmen lieber darüber, wie locker man den Job heutzutage doch machen kann. "Aber kaum jemand erwähnt, dass Leistung primär durch harte Arbeit zustande kommt", sagt Jäger.

Arbeitgeber trauen sich nicht, klar und deutlich hohe Leistung zu fordern

Harte Arbeit, die noch härter wird: Der Druck von Kapitalgebern und Geschäftsleitungen nimmt zu. Abteilungen werden gegeneinander ins Rennen geschickt. Reden mag darüber kaum jemand. Leistung wird als Karrierefaktor zwar immer wichtiger, "aber nur heimlich, still und leise", sagt Christian Scholz, Professor für Personalmanagement an der Universität des Saarlandes. Weil Firmen annähmen, dass es nicht gut ankommt. Zu Unrecht. Leistungsträger haben die Wohlfühlsoße längst satt. "Sie durchschauen das Spiel und fühlen sich von Schönwetterkonzepten nicht angesprochen", sagt Scholz.

Dies zeigt auch eine neue Untersuchung von e-fellows.net in München. In der Arbeitgeberstudie "Most Wanted 2010" befragte das Karrierenetzwerk die Top-10-Prozent-Studenten verschiedener Fachrichtungen nach ihren Präferenzen. Das Ergebnis: In direkter Befragung landete der Wunsch nach Work-Life-Balance auch hier auf einem vorderen Platz (6 von 25). Bei der Wahl des Lieblingsarbeitgebers aber scheren sich die Studenten kein bisschen um komfortable Arbeitszeiten. Hier kam die Work-Life-Balance auf dem allerletzten Platz. Unternehmensberatungen, Großkanzleien, Auto- und IT-Firmen stehen ganz oben auf der Liste der Wunscharbeitgeber von Absolventen.

"Die guten Absolventen sind oft sehr viel leistungsbereiter, als sie angeben", sagt Michael Hies, Geschäftsführer von e-fellows.net. Das Konzept Feierabend scheint ihnen überbewertet. Das zeigt auch das Absolventenbarometer 2010 des Trendence Instituts in Berlin. Lediglich 29 Prozent aller befragten Wirtschaftsabsolventen sind demnach nicht bereit, zugunsten der Karriere ihr Privatleben zurückzustellen.

Die meisten geben in ihren ersten Jahren im Job Gas. Und sie hören auch danach nicht auf. Das zeigt die "Global Workforce Study 2010" (s. Kasten), für die die internationale Beratungsfirma Towers Watson das Engagement von mehr als 20 000 Mitarbeitern in 27 Ländern untersucht hat. Demnach sind 43 Prozent aller Arbeitnehmer bereit, "deutlich mehr als die Standardwochenstunden zu arbeiten, um die eigene Karriere voranzutreiben". Wohlfühlbelegschaften sehen anders aus.

Nur mit Wohlfühl-Angeboten können Firmen die Top-Kandidaten nicht locken

Trotzdem umwerben Arbeitgeber potenzielle Mitarbeiter ohne Ende mit Work-Life-Balance-Konzepten. Was zu überdenken wäre, wie e-fellows.net-Chef Hies meint. "Das Recruiting darauf abzustimmen wäre ein falscher Schluss, um die besten Nachwuchskräfte für sich zu gewinnen."

Philip Wiese aus Düsseldorf ist so eine Nachwuchskraft. 22 Jahre, Bachelor in Betriebswirtschaft in Brüssel, Master in Europarecht in Maastricht, Praktikum bei der Europäischen Kommission, Abschlussarbeit: neun von zehn Punkten. Wunschberuf: Consultant. "Mein Anspruch bei der Arbeit ist es, Mehrwert zu schaffen" sagt Wiese. Dafür powert er, "auch gern über die abgesprochenen Wochenstunden hinaus". Ein Sozialleben neben dem Beruf ist ihm wichtig. "Aber ich muss dafür nicht um 17 Uhr zu Hause sein."

Das gilt auch für Claudia Schlossberger. Als Chief Human Resources Officer der Metro Group spricht sie viel und gern über Leistung. Sie weiß, dass sie damit recht allein ist in Unternehmenskreisen. Das Bedürfnis, etwas zu leisten, sei dem Menschen angeboren. "Doch Organisationen neigen dazu, diese Leistungsbereitschaft zu beschneiden. Ihre Strukturen sind eher auf den Umgang mit Mittelmaß ausgerichtet." Die Kritik trifft: Auf ausdrückliche Leistungsförderung setzen Firmen ungern - zumindest im Außenanstrich.