Serie, Teil 5: Voll im Leben - trotz Behinderung. Jessika Otto arbeitet bei der Hamburger AssistenzGenossenschaft

Hamburg. Jessika Otto lacht gern - und häufig. "Man kommt weiter im Leben, wenn man es mit Humor nimmt", findet die 29-Jährige. Trockenen Humor mag sie am liebsten - und macht auch vor sich selbst damit nicht Halt. Zum Beispiel, wenn sie sich über die Normhöhen von Behindertentoiletten lustig macht. Die müssen nämlich so angebracht sein, dass sie eine Sitzhöhe von 43 bis 53 Zentimeter haben. "Für die in 53 Zentimeter Höhe bräuchte ich allerdings ein Trampolin", sagt Jessika Otto. Und schon wieder lacht sie: "Dessen Einsatz brächte dann aber wieder andere Probleme mit sich ..."

Jessika Otto sitzt im Rollstuhl. "Ich bin Spastikerin", erklärt sie. "Pflegestufe drei." Ein Fahrdienst bringt sie zur Arbeit. Und auch zu Hause hat sie jemanden, der ihr hilft. Eine Assistenz - das Wort "Betreuung" gefällt ihr nicht. Das klinge so nach Bevormundung. Und das ist das Letzte, was sie gebrauchen kann: "Ich will selbstbestimmt leben", sagt Otto. "Meine Behinderung gehört zu mir, sie muss aber nicht über mich bestimmen."

In ihrem Job hilft ihr ihre Behinderung sogar: Im Bereich Personalgewinnung der Hamburger AssistenzGenossenschaft sucht sie für ihre ebenfalls behinderten Kunden persönliche Assistenten. Nicht jeder passt zu jedem: "Die Chemie zwischen beiden muss stimmen", sagt Jessika Otto. "Gerade wenn es um die Körperpflege geht, ist das wichtig."

Ihr Klassenlehrer an der Realschule war den Mitschülern ein gutes Beispiel

Die gebürtige Hamburgerin hat als Kind zunächst eine Schule für Körperbehinderte besucht. Weil ihr das Niveau zu niedrig war, wechselte sie an eine Haupt- und Realschule. "Erst ging es mir nur darum, keinen Sonderschulabschluss zu haben", erzählt sie. Dann machte sie ihren Realschulabschluss mit 2,6. Ihre Klasse sei ganz normal mit ihr umgegangen. Zu verdanken gewesen sei das vor allem ihrem Klassenlehrer: "Er wollte, dass ich integriert bin, und hat es den anderen vorgemacht."

Mit dem Realschulabschluss in der Tasche ging es dann in die Lehre. Bei Desy absolvierte Jessika Otto eine Ausbildung zur Bürokauffrau und arbeitete dort anschließend weiter. "Allerdings immer nur mit Zeitvertrag." Und nach vier Jahren sei der nicht mehr verlängert worden. "Zweieinhalb Jahre war ich arbeitslos!" Zahllose Bewerbungen, viele Bewerbungsgespräche - nur Absagen. "Das, was die Leute vorrangig wahrgenommen haben, war die Verlangsamung meiner Bewegungen", sagt Otto. "Den Kampfgeist und Ehrgeiz dahinter haben sie nicht gesehen." Ebenso wenig wie ihr gutes Zeitmanagement: "Weil ich weiß, dass ich langsamer bin, arbeite ich eben effektiver."

Eine fiese Zeit sei die Arbeitslosigkeit gewesen, sagt Otto. "Weil ich betteln musste, um zeigen zu dürfen, was ich leisten kann." Ihre Familie stand ihr bei - wie immer. "Wenn irgendetwas nicht funktioniert, sind sie immer die ersten, die da sind", sagt Jessika Otto. Darüber ist sie sehr glücklich.

Behinderte sind öfter krank? Stimmt gar nicht, sagt Jessika Otto

Schließlich kam die Einladung zum Gespräch bei der Hamburger AssistenzGenossenschaft. "Nach dem Bewerbungsgespräch wusste ich: hier oder nirgends", erinnert sich die 29-Jährige. "Die Genossenschaft ist von Behinderten gegründet worden - hier weiß man, was wir leisten können."

Natürlich ärgert sie sich über die Vorurteile, die viele Menschen Behinderten entgegen bringen. "Behinderte sind öfter krank? Das stimmt so nicht", sagt sie. "Ich zum Beispiel bin deutlich weniger krank als andere. Wenn es bei mir ziept, bleibe ich nicht zu Hause, denn das gehört zu meinem Leben!"

Was sie sich von anderen Menschen wünscht? "Offenheit", sagt Jessika Otto. "Wer eine Frage hat, soll mich fragen. Das ist besser, als hinter meinem Rücken zu reden." Aber sie ist nachsichtig mit der Unbeholfenheit vieler Menschen. Mit weniger Milde dagegen dürfen Stadtplaner und Architekten rechnen: "Warum muss man öffentliche Gebäude so konzipieren, dass sie am Eingang Treppen haben? fragt sie. Warum hat nicht jeder Bahnhof einen Fahrstuhl? Warum kann nicht jede öffentliche Toilette behindertengerecht sein? "Und auch in Kaufhäusern ...", setzt sie an und bremst sich: "Aber ich bin kein Fan davon, an allem rumzunörgeln", sagt Jessika Otto. Und schmunzelt über ihren eigenen Eifer.