Serie, Teil 3: Voll im Leben - trotz Behinderung. Regina Conrad bei der Arbeitsagentur: Blindenhund Sina ist stets dabei

Wer die Tür zu Regina Conrads Büro öffnet, lernt erst einmal Sina kennen. Neugierig kommt die vierjährige Schäferhündin angestromert. Sina hat gerade Pause - denn dort, wo ihr Frauchen sich auskennt, darf sie einfach nur Hund sein. Greift Regina Conrad zu Leine und Geschirr, steht Sina aber sofort bei Fuß - wie es ihr Job ist. Regina Conrad ist blind und Sina ihre Führerin, Warnerin und ihr Begleitschutz. 21 000 Euro hat sie gekostet. "Was zum Glück fast vollständig meine Krankenkasse übernommen hat", sagt ihre Besitzerin.

Regina Conrad arbeitet bei der Hamburger Agentur für Arbeit. Im Team Reha-Ersteingliederung betreut sie behinderte, meist junge Menschen auf dem Weg in den Job oder in die Ausbildung. "Wir gucken bei jedem erst einmal, wie viel er intellektuell und von seiner Gesundheit her leisten kann", erklärt sie. "Manche können ganz selbstständig in einen normalen Ausbildungsbetrieb gehen, andere brauchen eine Assistenz am Arbeitsplatz und wieder andere sind in einer Behindertenwerkstatt am besten aufgehoben."

Ihre Kunden sind dankbar, wenn Regina Conrad ihnen Berufschancen aufzeigt

Ihre Arbeit findet Regina Conrad toll: Sie sei abwechslungsreich, anspruchsvoll und befriedigend: "Oft sind Leute, die hierherkommen, verzweifelt, weil sie keine Berufschancen für sich sehen." Umso dankbarer seien sie, wenn sie mit ihrer Beraterin zusammen einen Weg in die Arbeitswelt finden. "Das ist mein Ansporn", sagt Conrad.

Sie selbst arbeitet seit 1992 bei der Arbeitsagentur. "Angefangen habe ich mit der Beamtenausbildung zur Sachbearbeiterin, dann habe ich mich zur Beraterin fortgebildet", erklärt die 38-Jährige. Seit acht Jahren gehört sie zum Team Reha.

Oft ist sie im Außendienst unterwegs. Dann berät sie Bildungsträger bei ihren Maßnahmen oder Jugendliche an Förderschulen. Sie engagiert sich auch im Fachausschuss der Hamburger Werkstatt für behinderte Menschen. Ihr Abitur hat Regina Conrad an einer Regelschule gemacht. Damals sei sie nur sehbehindert gewesen, erst durch eine Netzhautablösung 2001 wurde sie blind. "Seitdem kann ich nur noch hell und dunkel unterscheiden." Sie vermisst den Anblick der Natur - das Herbstlaub, Wolkenformationen. "Oder zu sehen, wie sich Freunde und Kollegen über die Jahre verändern."

Aber das hält sie nicht davon ab, ihr Leben zu genießen. "Ich bin viel mit Freunden unterwegs. Wir machen Ausflüge oder gehen ins Museum." Seit der Trennung von ihrem Mann lebt sie wieder allein in ihrer Wohnung. "Und auch das klappt gut." Im Gespann sind Regina Conrad und Sina natürlich ein Hingucker. "Ich habe mich daran gewöhnt aufzufallen", sagt die 38-Jährige. Wenn Kinder ihr neugierig Fragen stellen, findet sie das sogar gut. "Dann gebe ich ihnen manchmal etwas in Punktschrift zum Ausprobieren."

Was Conrad stört, ist eher das Verhalten mancher Erwachsener. "Und zwar dann, wenn sie mich herablassend behandeln." Sie würde sich mehr Hilfsbereitschaft wünschen. "Wenn man wirklich einmal Unterstützung braucht, beschleunigen viele Passanten lieber ihren Schritt. Manchmal reagiert erst der Dritte, den ich anspreche."

Bei der Beratung ist ihre Behinderung dagegen oft ein Vorteil. "Gerade Eltern, die mit ihren Kindern hierherkommen, macht das Mut, wenn sie sehen, dass ich es auch geschafft habe, einen ganz normalen Berufsweg einzuschlagen." Natürlich gebe es ebenso Leute, die erst einmal ablehnend reagieren. "Aber ich gehe sachlich damit um und versuche, ihnen die Scheu zu nehmen. So ist es eben: Bei allem, was ihnen fremd ist, haben die Leute zunächst mal Vorbehalte."

Sie betreut 350 meist junge Menschen, deren Geschichten sie oft im Kopf hat

Andererseits fällt Regina Conrad so einiges leichter als sehenden Menschen: "Ich bin auf jeden Fall aufmerksamer und bekomme viel an Stimmungen mit", erklärt sie. Außerdem verfüge sie über ein sehr gutes Gedächtnis. "Ich habe wie jeder hier im Team etwa 350 Kunden - bei vielen muss ich vor ihrem nächsten Besuch gar nichts mehr nachlesen, ich habe ihre ganze Geschichte im Kopf."

Für die anderen Fälle hat Conrad ihre Hilfsmittel: Ein PC-Programm zum Beispiel, das ihr vorliest, was auf dem Bildschirm steht. Und eine elektronische Leiste mit kleinen Metallstiften, die vor ihrer Tastatur liegt und die in Punktschrift anzeigt, was sie selbst gerade geschrieben hat.

Auch Zuhause hat sie ihre Helferlein: ein "sprechendes" Blutzuckermessgerät etwa, einen Farberkenner für die Kleiderauswahl, Aufkleber, die man "besprechen" kann, sodass ein Lesegerät, das man über sie hält, wiedergibt, was zuvor aufgenommen wurde. "Das ist zum Beispiel für Vorratsdosen in der Küche ganz praktisch", sagt Regina Conrad. Aber mit dem Kochen habe sie es nicht so. "Mein größtes Hobby ist der Hund", sagt die 38-Jährige. Und wenn sie mal richtig viel Zeit hat, will sie einen Roman schreiben. "Aber das wird wohl erst was, wenn ich Rentnerin bin."