Mehr als genug Arbeit für alle, flexible Hierarchien und Spezialistentum - was Zukunftsforscher Erik Händeler erwartet

Familienqualität, Wertvorstellungen und unser Sozialverhalten werden künftig unseren Wohlstand bestimmen. "Langfristig sind das die entscheidenden Standortfaktkoren in der Informationsgesellschaft", behauptet der Zukunftsforscher Erik Händeler, 41.

Hamburger Abendblatt: Industrieroboter, Massenproduktion, Mikrocomputer - geht uns die Arbeit aus?

Erik Händeler: Unsinn! Arbeit heißt, Probleme lösen. Und weil wir immer Probleme haben werden, wird uns die bezahlte Arbeit auch nicht ausgehen. Im Gegenteil: Wir werden in Zukunft weit mehr Arbeit haben, als wir überhaupt bewältigen können.

Es gibt dann keine Arbeitslosen mehr?

Händeler: Arbeitslosigkeit bedeutet künftig nicht mehr, dass es an Arbeit mangelt. Sondern dass es nicht genug Menschen gibt, die das können, was gerade nötig ist, um die anfallenden Aufgaben zu erfüllen.

Und wie?

Händeler: Viele aus der Generation vor uns standen in der Fabrik und bearbeiteten mit ihren Händen die materielle Welt direkt. Jetzt ist der größte Teil der Wertschöpfung immateriell geworden: entwickeln, planen, organisieren, analysieren, entscheiden, den Markt beobachten, in der gigantischen Informationsflut das Wissen finden, das man gerade braucht, um sein Problem zu lösen.

Wie verändert das unser Arbeitsleben?

Händeler: Alle Bereiche des Lebens sind betroffen. Anforderungen in der Schule, Bewertung von Aktien, Wirtschaftspolitik, Hierarchien, Berufsalltag. Anders als früher - da haben wir eine Stunde an der Stanzmaschine gestanden und soundso viele Teile gestanzt - verschwimmt das Verhältnis von Arbeitszeit und Produktivität.

Was heißt das konkret?

Händeler: Ein Ingenieur, der den Fehler an einer kaputten Maschine finden muss, benötigt dazu alleine Tage. Wenn er aber einen Bekannten im Nachbardorf anrufen kann, der einen Spezialisten kennt, den er fragen kann, dann hat er mit dessen Hilfe vielleicht nach einer halben Stunde die Anlage repariert. Investition ist immer weniger materiell - eine Dampfmaschine zum Anfassen -, sondern zunehmend immateriell: ständiges Lernen, ständige Arbeit an sich selbst, aber auch mit jemandem Kaffee trinken gehen, um Vertrauen und damit Informationsströme aufzubauen.

Und damit wird der einzelne Mensch wirklich wichtiger?

Händeler: Ja, davon bin ich überzeugt. Während man früher umso weiter nach oben kam, je höher man formal gebildet war, rutscht die Kompetenz nun von oben zurück auf die Ebene der Fach- und Sachbearbeiter. Das verändert die Stellung des Einzelnen in der Firma. Statt ein gehorsames, austauschbares Rädchen zu sein, wird er zum unverzichtbaren Spezialisten.

Das bricht aber mit den klassischen Befehlsstrukturen in vielen Firmen ...

Händeler: Ja, natürlich. Mit Befehlen und Strafen kann man Wissensträger einschüchtern, aber sie werden ihr Bestes dann schön für sich behalten. Früher konnte man Leuten die konkrete Anweisung geben, mit einer Schaufel ein Loch zu graben, zwei Teile zusammenzubauen oder Schrauben zu sortieren. Aber niemanden kann man zwingen, mit den Problemen der Firma ins Bett zu gehen und morgens mit der Lösung im Kopf aufzuwachen.

Welche Folgen hat das im Arbeitsalltag für die Chefs?

Händeler: Die notwendige direkte Kommunikation mit den Spezialisten erzwingt - neben einer weiterhin klaren Verantwortlichkeit - Gummi-Hierarchien, in denen der Einzelne das Gewicht bekommt, das den gerade tagesaktuell geforderten Kompetenzen entspricht. Der scheinbar hierarchisch Niedrige ist der Herrscher des Fachwissens und entthront deshalb auch den Chef der alten Schule. Doch die neuen Führungskräfte bekommen erst dadurch Luft für ihre eigentliche Aufgabe: Je höher jetzt jemand in der formalen Hierarchie aufsteigt, umso mehr ist es seine Aufgabe, in dieser Position Ressourcen und Informationsfluss zu moderieren, die Menschen mit ihren Stärken und Schwächen zu analysieren und dann passend einzusetzen. Und viel nachzufragen: Was braucht ihr, um diese Aufgabe optimal zu lösen? Wie wirkt sich das bei euch und beim Kunden eigentlich aus, wenn wir uns im Vorstand so entscheiden?