Technikjobs: Bundesweit sind laut VDI 39 000 Ingenieurstellen unbesetzt. Auch die Karriereaussichten für Facharbeiter werden besser

Hamburg. "Wir suchen derzeit etwa 15 neue Mitarbeiter", sagt Marc Janssen, Personalleiter Deutschland vom Medizinprodukte-Hersteller BSN medical. "Wir wollen 20 Stellen kurzfristig besetzen", meldet Birgit Ahlborn, Pressesprecherin des Halbleiter-Produzenten NXP Semiconductors. Beide Unternehmen sind in Hamburg ansässig. "Die Situation für Arbeitskräfte in der Industrie ist gut", bestätigt Marc März, stellvertretender Geschäftsführer des Industrieverbands Hamburg (IVH). Durch Kurzarbeit, Überstundenabbau und Lebensarbeitszeitkonten sei es vielen Firmen in der Krise gelungen, ihre Fachkräfte zu halten. "Jetzt planen die Unternehmen Einstellungen."

Ein Eindruck, den Michael Kuhlmann, beim Zeitarbeits-Dienstleister DIS AG für den Bereich Industrie zuständig, im Großen und Ganzen bestätigt. Auch wenn er gleichzeitig sagt: "Es hält sich bei den Industrieunternehmen noch in Grenzen." Dennoch merke er, dass die Auftragslage bei den Firmen wieder anziehe. Etwa dadurch, dass bei ihm inzwischen nur noch zehn Bewerbungen pro Tag ankommen. "Vor drei, vier Monaten waren es noch 50." Dass weniger Jobsuchende beim Zeitarbeitsunternehmen anklopfen, spräche dafür, dass sie wieder in Arbeit seien.

Das Statistikamt Nord verzeichnet noch keinen Anstieg der Beschäftigtenzahl

Die Zahlen des Statistikamts Nord zeigen indes noch nicht an, dass im produzierenden Gewerbe wieder eingestellt wird. In den 220 Hamburger Industriebetrieben mit mehr als 50 Beschäftigten arbeiteten im Juli dieses Jahres 73 528 Menschen. Im März waren es fast 1000 mehr und im Juli 2009 sogar noch 75 020 Beschäftigte. In Deutschland insgesamt sind 4,9 Millionen in der Industrie tätig.

"Wer heute eine Ausbildung oder ein Studium im technischen Bereich beginnt, hat gute Zukunftsaussichten", sagt Marc März vom IVH. "Wir brauchen nicht nur Ingenieure. In der Industrie hat man auch als Facharbeiter exzellente Chancen", betont der Vertreter des Unternehmerverbands.

Studien unterstreichen den Bedarf: "2009 hatten wir bundesweit 34 000 offene Stellen für Ingenieure - heute sind es schon 39 000", sagt Marco Dadomo, Pressesprecher des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI). Hochschulabsolventen könnten diese Lücke füllen - doch es gibt immer noch zu wenige mit einem technischen Abschluss.

"Die Abbrecherquote ist relativ hoch", hebt Dadomo hervor. Wer Ingenieurwissenschaften studieren will, solle sich vorab unbedingt klarmachen, dass gerade am Anfang viel Mathe und Physik auf dem Stundenplan stünden. "Da muss man durch", sagt Dadomo. Gefragt sind Ingenieure in vielen zukunftsweisenden Disziplinen - der Entwicklung eines intelligenten Stromnetzes, der alternativen Energie, der Schaffung von künstlicher Intelligenz. "In Forschung und Entwicklung - da werden die Ingenieure gebraucht, das ist nicht mit dem bisher vorhandenen Personal zu schaffen", erklärt der VDI-Pressesprecher.

25 000 Ingenieure haben keinen Job. Viele von ihnen sind nicht mobil genug

Forschung und Entwicklung ist auch bei BSN medical ein wichtiger Bereich. "Und ein Bereich, der ständig weiter wächst", sagt Personalleiter Marc Janssen. Gerade am Standort Hamburg: "Wir bauen hier unseren Hauptsitz aus und holen sukzessive immer mehr Teilfunktionen her." Janssen sucht zurzeit vor allem Entwicklungsingenieure und Naturwissenschaftler. "Unter anderem in den Bereichen Produktentwicklung Fracture Management, Packungsentwicklung und traditioneller Healthcare."

Gefragt seien Hochschulabsolventen ebenso wie erfahrene Ingenieure. "In einigen Positionen geht es darum, interkulturell zu arbeiten und internationale Teams zu führen - da haben junge Absolventen natürlich noch nicht das Potenzial." Stellen für Facharbeiter sind zurzeit nicht offen. Janssen: Wir haben in der Fertigung gerade neun Positionen neu besetzt, sodass wir in diesem Bereich derzeit nicht in größerem Umfang suchen." Generell seien aber für sein Unternehmen auch gewerbliche Mitarbeiter, etwa Mechatroniker, die die Maschinen steuern und warten können, interessant.

Akademiker sind es auch, die bei NXP Semiconductors derzeit gut ankommen: "Wir suchen aktuell Ingenieure aus der Elektrotechnik und Informatik", sagt Birgit Ahlborn. "Außerdem auch Entwicklungsingenieure für Software, Physiker und IT-Mitarbeiter, die sich mit Anwendungssoftware und Datenbanken auskennen." Das Unternehmen liefert rund 50 Milliarden Chips pro Jahr aus. Die Wegfahrsperre für Autos ist dort zum Beispiel entwickelt worden wie auch Chips für elektronische Reisepässe.

Von einem richtigen Fachkräftemangel wollen die Unternehmensvertreter noch nicht sprechen. "Aber es gibt sicher auch kein Überangebot an qualifizierten Kräften", sagt Marc Janssen von BSN medical.

Dem steigenden Bedarf gegenüber stehen immer noch rund 25 000 arbeitslose Ingenieure in Deutschland. Für jeden Einzelnen von ihnen klingt es wie Hohn, wenn in vielen Studien dennoch von einem Mangel an Fachkräften gesprochen wird. Dass sie keinen Job finden, liege möglicherweise an mangelnder Qualifikation und daran, dass sie in einer strukturschwachen Region wohnen, dabei aber auch nicht mobil genug sind, sagt Marco Dadomo vom VDI. "Man muss natürlich jeden Fall individuell ansehen", gesteht er zu. Aber die wichtigsten Argumente gegen Arbeitslosigkeit seien auch unter den an sich gefragten Ingenieuren Fortbildung und Flexibilität.

Video: Das war die lange Nacht der Industrie 2009