Augenöffner in der Personalentwicklung. Wie Manager mit außergewöhnlichen Maßnahmen neue Perspektiven gewinnen

Hamburg. Nach nur wenigen Schritten in die Blackbox des "Dialog im Dunkeln" in der Hamburger Speicherstadt schaltet der Körper um auf Instinktsteuerung: Arme ausstrecken, Augen weit aufreißen - obwohl oder gerade weil so gar nichts zu sehen ist. Die Seminare und Trainings zu den Themen Teambildung, Kommunikation, Change Management und situatives Führen werden von blinden Business Trainern in völliger Dunkelheit durchgeführt. Dabei wird schnell klar, Einzelkämpfer haben hier keine Chance.

Tchibo-Personalmanager Henrik Herrmann tauchte als Teil einer zwölfköpfigen, international zusammen gestellten Gruppe ein in die Dunkelheit und erklärt, "das war eine sehr intensive Erfahrung. Wir arbeiten sonst als virtuelles Team zusammen, und diese drei Stunden haben den Zusammenhalt der Gruppe maßgeblich gestärkt." So habe das Meistern der verschiedenen Aufgaben, das klare Kommunikation und echtes Zuhören erfordert, das Team zusammengeschweißt, Vertrauen gestärkt, aber auch interkulturelle Unterschiede in den Fokus gerückt. "Jeder achtet nun verstärkt darauf, seine Teamkollegen dort abzuholen, wo sie stehen, statt einsam vorzupreschen."

"Das", weiß Trainerin Dörte Maack "funktioniert sowieso nicht." Sie hat schon so manche Führungskraft erlebt, die sich aus dem Mantra heraus "Ich bin der Chef, ich gebe die Richtung vor", zwar mutig in die Dunkelheit gestürzt habe, sich dort jedoch ganz allein wiederfand. Seine Mitarbeiter hielten nicht viel von "blinder Gefolgschaft". "So wirkt das Seminar auch als Augenöffner für die Wirksamkeit des eigenen Führungsstils", erläutert sie.

Als Augenöffner wirkt auch das Programm SeitenWechsel der Hamburger Patriotischen Gesellschaft von 1765. Hier wechseln Führungskräfte für eine Woche in eine soziale Einrichtung aus acht verschiedenen Bereichen. Das kann ein Hospiz, eine Psychiatrie oder der Strafvollzug sein. Die emotionale Beteiligung, die das Eintauchen in ungewohnte Welten mit sich bringt, soll zu mehr Sensibilität im menschlichen Miteinander führen und den Blick schärfen für den Menschen hinter der "Arbeitskraft". So war denn auch der "emotionale Lerneffekt" eines der Ziele, die sich Erik Santer, Niederlassungsleiter bei BMW Hamburg, für seinen SeitenWechsel gesteckt hatte. Er entschied sich für eine Woche in der Drogenberatungsstelle Drob Inn. Besonders überraschte ihn die Fähigkeit mancher Klienten, nach außen hin ein Bild der Normalität aufrechtzuerhalten. "Da war ein Klient, der drogenabhängig und obdachlos war und sein Geld auf dem Straßenstrich verdiente - und der dennoch optisch ganz wie der nette junge Mann von nebenan wirkte." Eine wichtige Erfahrung, findet Santer. Immerhin ist jedes größere Unternehmen auch ein Mikrokosmos der Gesellschaft, Suchtprobleme durchaus ein Thema.

Mit den Erfahrungen seines Seitenwechsels trifft er bei den Kollegen auf offene Ohren, "allein aus Hamburg haben bereits 17 Führungskräfte den Seitenwechsel gewagt", erzählt er. "Natürlich immer auf freiwilliger Basis." Denn es gehöre manchmal schon auch ein Stück Überwindungskraft dazu. Neben den "unauffälligen" Drogenabhängigen gehörten auch die augenfälligen Auswirkungen der Sucht zu seinen Erfahrungen. "Eine Folge des Drogenkonsums ist eine erhöhte Infektionsgefahr, und so haben die Sanitäter im Drop Inn manchmal haarsträubende offene Wunden zu behandeln."

Ganz so dramatisch waren die Erfahrungen nicht, die Dr. Wolfgang Thiele, Personaldirektor bei der Gebr. Heinemann Gruppe, im Zuge des Programms "Matrix" machte. Matrix ist eines von verschiedenen Programmen, die der international agierende Verein Common Purpose "für Leader in unterschiedlichen Lebensphasen und regionalen Kontexten" organisiert - wie es auf der Website heißt. Über einen Zeitraum von einem Dreivierteljahr treffen sich etwa 35 Führungskräfte aus ganz unterschiedlichen Umfeldern an zehn Programmtagen, um gemeinsam zentrale Themen und Probleme ihrer Stadt zu thematisieren. Thiele bescheinigt dem Programm insbesondere Horizonterweiterung und Nachhaltigkeit.

Für Ersteres sorgte etwa ein Besuch bei der islamischen Gemeinde. "Ich bin 49 Jahre alt, aber bis zu diesem Tage bin ich schlicht nie auf die Idee gekommen, eine Moschee zu besuchen", sagt Thiele. Es war die offene und freundliche Aufnahme, die ihn beeindruckte und die es ihm leicht machte, eine fremde Welt zu erkunden. Generell habe er im Laufe des Programms immer stärker verinnerlicht: "Jeder hat seine eigene Wahrheit, und obwohl sie von Person zu Person unterschiedlich ausfallen kann, bedeutet das noch lange nicht, dass eine davon falsch oder richtig ist. Sie ist nur anders." Diese Andersartigkeit zuzulassen, auch im Berufsalltag, sei ausgesprochen hilfreich, um die Potenziale und Talente der verschiedenen Mitarbeiter zu fördern. Die Nachhaltigkeit zeigt sich in seinem Engagement bei dem Mentorenprogramm "Big Brothers Big Sisters", das durch Matrix ausgelöst wurde. Bei "Big Brothers Big Sisters" sollen Jugendliche einen zusätzlichen Ansprechpartner erhalten und durch neue Impulse und Zuspruch in ihrer Entwicklung unterstützt werden. Thiele wurde zum großen Bruder für den zehnjährigen Moritz, der ihm Gelassenheit lehrte. "Die kommt mir auch im Berufsalltag zugute."