Sieht so das Berufsleben von Musikern aus? Nicht wirklich - denn nur wenige schaffen es dauerhaft an die Spitze. Johannes Oerding arbeitet dran

Hamburg. Wilde Partys, sein eigenes Ding durchziehen und haufenweise Geld kassieren - eben ein cooler Job. So sehen viele das Gewerbe der Popmusiker. Dem Casting für "Deutschland sucht den Superstar" brachte dieser Irrglaube einen Ansturm von 34 420 Bewerbern.

"Mit der Realität im Musikbusiness hat das wenig zu tun", sagt der aufstrebende Soul-Pop-Sänger Johannes Oerding und grinst. Der blonde 28-Jährige stand schon als Schüler samt Band auf der Bühne, seit elf Jahren singt er sich als Profi durch Deutschland und gilt in der Szene als Star von morgen.

Im rauen Tonträgergeschäft reicht Talent allein nicht aus. "Musik ist harte Arbeit und viel Leidenschaft", erklärt Oerding. Touren quer durch Deutschland, Promotiontermine, Radioauftritte um sechs Uhr früh, stundenlang an Songs basteln - ohne Disziplin geht es nicht. "Jeden Abend Party nach einem Zwei-Stunden-Konzert, darunter leidet die Qualität", sagt der Wahl-Hamburger.

Ausdauer und Geduld zählen ebenso wie Zuverlässigkeit und Teamgeist. "Morgens keine Lust auf ein Interview, das kann selbst Madonna sich nicht leisten", weiß Andreas Weitkämper, A&R Director bei Warner Music Germany. Auch Egomanen hätten es schwer, schließlich gilt es, mit Band und Label an einem Strang zu ziehen.

"Dass jemand es nach ganz oben schafft, davon gehen wir erst gar nicht aus", sagt Helge Zumdieck, künstlerischer Leiter der Hamburg School of Music. Zu viele Faktoren müssten stimmen, kalkulierbar sei Erfolg nicht. Musiklehrer, Songwriter, Komponist fürs Theater, Arrangeur und ein, zwei Bands - jeder sollte mehrere Standbeine entwickeln. Es sei wichtig zu träumen, die Realität aber nicht auszublenden.

Musikalische Virtuosität ist gar nicht so wichtig

Und die Realität sieht so aus: "Wir bringen im Jahr drei bis vier Newcomer raus", verrät Dirk Darmstaedter, Chef vom Hamburger Independent-Label Tapete Records. Bei Warner bewerben sich jährlich rund 4000 Künstler per Demoband oder MySpace-Link. "Im Schnitt nehmen wir vier bis sechs neue Künstler unter Vertrag", sagt A&R-Chef Weitkämper. Plus 20 bis 30 Debüt-Alben internationaler Musiker.

Angehört werden alle Bewerber. Meist finde man Talente aber auf Konzerten oder über Tipps aus der Branche. Für einen Vertrag muss alles stimmen: die Songs, eine einzigartige Stimme, Bühnenpräsenz und der Look. Das Spezielle, das Eigene ist gefragt. Musikalische Virtuosität steht nicht unbedingt an erster Stelle. "Das Fehlen von Optionen kreiert manchmal sogar einen besonderen Stil", findet Darmstaedter.

"Ich bin Johannes Oerding"

Spielen, spielen, spielen. "Mit Glück erreicht man so die richtigen Ohren", sagt der Tapete-Chef. Auch Soulsänger Oerding wurde als 17-Jähriger zufällig beim Konzert von einem Produzenten entdeckt. Trotzdem beginnt er ein Marketing-Studium. Seine Diplomarbeit schreibt er im Tourbus. Der erste Plattenvertrag beim Hamburger Label Cruiser Records kommt sieben Jahre später. Ein Auftritt im vergangen Jahr in einer Sendung von Ina Müller bringt ihn in die Charts, jetzt ist er bei Sony unter Vertrag. "Dazwischen lagen Hunderte von Live-Konzerten", sagt Oerding.

Die festigen nicht nur die Fangemeinde, sondern befeuern auch Können und Entwicklung. "Aura und Spiel lassen sich trainieren", sagt Helge Zumdieck von der Hamburg School of Music. Dabei dürfe man sich nicht zu schade sein, auch mal auf einem Geburtstag oder Empfang zu singen.

Auftritte vermitteln Agenturen, wie die Künstlervermittlung der Bundesagentur für Arbeit. "Die Qualität muss stimmen, wir arbeiten nur mit Profis", betont Werner Bode, Leiter für Norddeutschland. Auch beim Schreiben von Songs macht Erfahrung einen großen Teil des Erfolgs aus. Präsenz ist gefragt - von Internet über Fernsehen, Radio und in den Klubs. "Kombiniert mit Agentur und Live-Auftritten kann das Internet sogar ohne Label zur Bekanntheit führen", weiß Zumdieck.

Mailing-Listen und Soziale Netzwerke wie MySpace und Facebook ermöglichen den Kontakt zum Publikum. "Bloggen, Twittern und Posten ist gerade bei einer jungen Zielgruppe für die Fanbindung unerlässlich", erklärt Andreas Weitkämper. "Wer nach ganz oben will, braucht jedoch ein Label", sagt der Warner-Mann.

Werbung, Produktion, Video - ein Album herausbringen ist teuer

Während sich die Plattenfirma um Kontakte zur Presse und zu Konzertveranstaltern, um Vertrieb und Lizenzabrechnungen kümmert, kann sich der Künstler auf seine Musik konzentrieren. Werbung, Produktion und Video sind zudem teuer, für das Debütalbum bei einer großen Plattenfirma kommt schnell ein sechsstelliger Betrag zusammen, im Alleingang kaum zu stemmen.

Wer in einem Nischen-Genre zu Hause ist, ist oft besonders gut bei einem spezialisierten Label aufgehoben - trotz geringerer Finanzstärke. "Wir sind Fans unserer Bands und wissen, was in der Szene passiert", sagt Darmstaedter von Tapete Records. Am Künstler selbst wird wenig gedreht.

"Früher könnte man mit einem Vertrag bei einem Major-Label viel Geld verdienen", heißt es in der Branche. Das ist heute weit schwieriger. Bekommt eine Band, mittlere Liga, für einen Plattenvertrag 100 000 Euro klingt das zwar nicht schlecht. Doch verteilt auf fünf Bandmitglieder plus Manager und bei noch zwei, drei Jahren bis zum nächsten Album, reicht das gerade mal für die Miete. Am Anfang leben viele in erster Linie von Live-Auftritten und Merchandising. Eine gute Gage für eine Band der Mittelklasse liegt irgendwo zwischen 1000 und 10 000 Euro, sagt Werner Bode von der Künstlervermittlung. Einsteiger bekommen oft aber auch nur 200 Euro.

"Musik machen hat derzeit viel mit Idealismus zu tun", sagt Label-Inhaber Dirk Darmstaedter. Allein von den Einnahmen aus der Band könnten bei ihm die wenigsten leben. Die Zukunft ist stets ungewiss. "Aber das macht den Job auch spannend", findet Johannes Oerding. Der große Durchbruch ist immer möglich. Und für ihn gilt sowieso: "Musik machen bleibt bestimmt die beste Entscheidung meines Lebens."

"Engel"