Anforderungen an Mitarbeiter steigen, Firmen warten ab. Forscherin Gabriele Perger spricht im Interview über den demografischen Wandel.

Wenn ältere Mitarbeiter plötzlich nicht mehr altes Eisen, sondern Leistungsträger sein sollen, bringt das Probleme mit sich, sagt HAW-Arbeitswissenschaftlerin Gabriele Perger.

Hamburger Abendblatt:

Die Beschäftigten werden in den nächsten Jahrzehnten immer weniger und immer älter. Ist die demografische Entwicklung schon jetzt ein richtiges Problem?

Gabriele Perger:

Noch nicht. Und wenn die Wirtschaft das Thema schnell anpackt, wird es auch keins. Aber eine Herausforderung ist die demografische Entwicklung auf jeden Fall. Laut der zwölften koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung wird 2060 ein Drittel der Bevölkerung über 65 Jahre sein.

Und möglichst noch im Job stehen ...

Perger:

Ja. Es kann sein, dass wir 2060 erst mit 69 in Rente gehen dürfen.

Ist der demografische Wandel für Mitarbeiter nicht auch eine gute Entwicklung? Hin zum Arbeitnehmermarkt?

Perger:

Das glaube ich nicht, nicht in dieser Form. Obwohl der Arbeitsmarkt sich verändert, wird es weiter Arbeitslosigkeit geben, die Qualifikation passt eben nicht immer so, wie der Markt es braucht. Für Ältere könnte es problematisch werden. Bislang gehören Menschen über 50 in vielen Firmen zum alten Eisen, weil nur ihre Defizite beachtet werden. Ändert sich plötzlich das Bild vom Altern, nicht aber die belastenden Arbeitsbedingungen, werden viele Probleme bekommen, dem neuen, positiven Alternsbild gerecht zu werden. Nur wenn sich Unternehmen auf die Bedürfnisse der Beschäftigten rechtzeitig einstellen, kann sich daraus eine gute Entwicklung ergeben.

Gibt der demografische Wandel Fachkräften denn keinen Trumpf in die Hand? Sie können sagen: Firma, behandele mich gut, sonst gehe ich zu einer anderen.

Perger:

Gute Fachleute werden die Situation sicher in dieser Art nutzen können. Wenn sie gerade nachgefragt werden, können sie sich die Unternehmen aussuchen. Im Moment ist das trotz des beginnenden Fachkräftemangels aber oft nicht der Fall. Gerade Hochschulabsolventen werden nicht sehr pfleglich behandelt. Sie arbeiten mit befristeten Verträgen, stehen unter Druck und beuten sich selbst aus, in der Hoffnung, dass für sie mal eine feste Stelle frei wird. Das nutzen Unternehmen aus, statt sich zu überlegen, was sie den jungen Menschen im Hinblick auf ihre Gesunderhaltung, Familienplanung und den demografischen Wandel mit solchen Arbeitsformen antun.

Viele Firmen sagen, sie werben jetzt verstärkt um Ältere, Frauen und Migranten. Greift das schon?

Perger:

Im Moment nehme ich das in dieser Gesamtheit nicht wahr. Das sind aber immerhin Absichtsbekundungen. Dass mehr Frauen beschäftigt werden müssen, ist übrigens schon eine Erkenntnis aus den 90er-Jahren. In der Frauenförderung hat sich seitdem aber noch viel zu wenig getan.

Woran liegt das?

Perger:

Viele Unternehmen haben mit den Anforderungen des globalisierten Marktes zu kämpfen. Sie scheuen in diesen Zeiten Potenzialinvestitionen. Es ist auch nicht damit getan, mehr Frauen und mehr Migranten einstellen und die Älteren fördern zu wollen. Dafür braucht man gute Konzepte, und dann ist da noch die Angst, dass die Förderung der Gesundheit mehr kostet als nützt. Solange Unternehmen nicht erkennen, dass jetzt entsprechende Aktivitäten notwendig und eine Investition in ihre Zukunft sind, wird die Herausforderung zur Gestaltung des demografischen Wandels in bedenklichem Ausmaß aufgeschoben. Viele glauben immer noch, es wird schon nicht so schlimm mit dem Fachkräftemangel. Aber schon in fünf bis zehn Jahren gehen die geburtenstarken Jahrgänge der 50er- und 60er-Jahre in Rente.

Man kann Unternehmen doch auch verstehen, dass sie erst mal gucken, was sich an jungen Leuten auf dem Arbeitsmarkt noch bietet, oder?

Perger :

Kann man. Aber es ist kurzsichtig. Weil Unternehmen das Potenzial der Älteren verschenken. Viele Mitarbeiter würden ja auch jetzt schon sehr viel mehr Leistungsbereitschaft zeigen, wenn bestehende Belastungen abgebaut würden. Ich denke dabei besonders an den Anstieg von psychischen Erkrankungen. Der jüngste BKK-Gesundheitsreport "Zukunft der Arbeit" hat gezeigt, dass die psychischen Störungen im Vergleich zum allgemeinen Krankenstand deutlich gestiegen sind. Es muss jetzt etwas getan werden, damit die Menschen gesund bleiben. Wenn Mitarbeiter, auch Berufseinsteiger, verbrannt werden, statt etwas dafür zu tun, dass sie bis 67 arbeiten wollen und können, schlägt der demografische Wandel richtig zu - stärker, als man das heute berechnen kann.