Ulrike Schellong kopiert Instrumente alter Meister. Ihr Material wählt sie sorgsam. Das perfekte Holz findet sie in den Wäldern Südttirols.

Unter der Decke hängen Geigen, an der Wand ein Cello, auf dem Tisch liegen Bögen und Rosshaar, Leim dampft auf einer Herdplatte. Dazwischen sitzt Ulrike Schellong an der Werkbank und lässt konzentriert einen kleinen Wölbungshobel über den Geigenboden vor sich gleiten. "Für einen guten Klang kommt es auf Zehntelmillimeter an", sagt die Geigenbaumeisterin, während sie mit einer Messuhr die Stärke des Bodens prüft.

Seit gut 20 Jahren führt die 52-Jährige gemeinsam mit ihrem Mann Nikolaus Osann den Geigenbaubetrieb Schellong Osann. Vor ihrer Meisterprüfung in Hamburg arbeitete sie nach der Ausbildung an der Geigenbauschule Mittenwald als Gesellin in Stuttgart, Kassel, Hamburg und Chicago. Geigenbauer schauen traditionell über Grenzen. "Das komplexe Handwerk lässt sich am Besten in mehr als einer Werkstatt erlernen", sagt Schellong. Denn je nach Betrieb liege der Schwerpunkt auf unterschiedlichen Feldern.

Bei Schellong Osann ist es der originalgetreue Nachbau alter Instrumente von Guarneri. "Früher haben wir auch eigene Modelle kreiert, aber inzwischen sind wir auf Kopien der alten Klassiker spezialisiert", sagt Ulrike Schellong. Denn diese Instrumente seien bis heute unerreicht im Klang. Im günstigeren Segment sei es zudem schwierig, gegen die Geigen-Konkurrenz aus China zu bestehen. Einfache Geigen für Einsteiger baut die Firma darum nicht selbst, sondern bezieht sie aus chinesischen Manufakturen. Im Hamburger Laden werden sie verkauft oder verliehen.

Die Arbeit an einer Geige beginnt mit der Auswahl des Holzes, denn es entscheidet über die Qualität des Instruments. Dafür fährt Ulrike Schellong auch schon mal selbst nach Südtirol, um einen Stamm vor Ort auszusuchen. "Wir verwenden nur Fichte und Ahorn, in mindestens 1500 Meter Höhe gewachsen", sagt die Geigenbauerin. Die Jahresringe dürfen nicht zu breit sein. So hätten es die alten Meister wie Guarneri schon vor 300 Jahren gehalten und Instrumente gefertigt, die bis heute Bestand haben.

Heute werden Geigen auf fast dieselbe Art hergestellt wie im 18. Jahrhundert

Auch sonst haben sich Bautechnik und Material über die Jahrhunderte kaum verändert. Decke und Boden der Geige werden aus Holz gesägt, genau wie die Seitenteile, um sie dann mit dem Hobel in die richtige Form zu bringen und Einlegespäne als Intarsien einzuarbeiten. Später werden Bassbalken eingeleimt, Decke, Schnecke (die Verzierung am Hals), Schaft und Hals gefertigt, der Stimmstock eingesetzt. Dann grundiert und lackiert Schellong das Instrument. "Die Lacke stellen wir aus Naturharzen und Schellack her, das Geheimnis liegt in der speziellen Mischung", sagt sie.

Zum Schluss zieht sie die Saiten auf und nimmt die Klangeinstellung vor. Aus insgesamt 70 Einzelteilen besteht eine Geige - alles handgearbeitet, Maschinen werden in der kleinen Werkstatt nicht eingesetzt. Gut 120 Stunden dauert die Arbeit für solch ein Instrument. Dann muss Ulrike Schellong es testen. "Als Geigenbauer sollte man das Instrument schon beherrschen und ein sehr gutes Gehör haben." Die Töne müssen nicht nur harmonisch klingen sondern auch modulationsfähig sein - je nach Stück von sanft bis wild - und in großen Konzertsälen bis in den letzten Winkel tragen. Schellong selbst spielt seit ihrer Kindheit Geige.

Außerdem braucht die Geigenbauerin Wissen über die physikalischen Eigenschaften von Holz. Sie muss mit den Werkzeugen für die Holzarbeiten gekonnt umgehen können und eine gute Hand beim Lackieren und Retuschieren beweisen. "Der Bau einer Geige erfordert tiefes Wissen auf unterschiedlichen Gebieten", sagt Schellong.

Dieses Know-how braucht sie auch, wenn sie alte Geigen, Bratschen und Celli aus dem 18. Jahrhundert aus Frankreich, Italien und Deutschland restauriert, um sie anschließend zu verkaufen. "Restaurationen und Reparaturen gehören zum Hauptgeschäft", sagt Schellong. Ob ein Riss in der Decke oder eine abgebrochene Schnecke - mit den Arbeitstechniken der jeweiligen Zeit muss sie sich auskennen bis hin zum Wissen, welche Pigmente damals für den Lack genutzt wurden.

Schließlich soll man nach der Beseitigung eines Lackschadens diesen später nicht erkennen und schon gar nicht hören. "Der kleinste Fehler kann den Klang verändern", sagt Schellong. Ein falsches Lösungsmittel etwa könne an alten Lacken irreparable Schäden verursachen. Eine Katastrophe bei Instrumenten im Wert von mehreren Hunderttausend Euro.

"Es ist immer wieder ein erhebendes Gefühl, eine Geige mit Seele in Händen zu halten", sagt Schellong. Von den Instrumenten der von ihr betreuten Solisten lässt sich die Geschichte teilweise bis zur Entstehung zurückverfolgen. Bei solchen Kunden, darunter Stars wie der südafrikanische Violinist Daniel Hope, reicht die Betreuung bis ins Konzert, um das Instrument kurz vor dem Auftritt noch einzustellen. Oder um einfach nur zu hören, wie die neu gebaute Geige im Saal klingt. "Ohne Herzblut kann man den Beruf nicht ausüben, denn er lässt sich kaum vom Privatleben trennen", sagt Schellong.