Aktuarin Julia Ortmann entwickelt neue Versicherungsprodukte. Von der ersten Recherche bis zur Markteinführung kann es Monate dauern.

Wenn sie ein neues Produkt entwickele, sei das wie die Konstruktion eines Schiffes bis zum Stapellauf, sagt Julia Ortmann. Vor zwei Jahren hat die Aktuarin, die seit 2007 bei den Generali Versicherungen beschäftigt ist, eine neue Versicherung zur Absicherung der Erwerbsunfähigkeit entwickelt und bis zur Markteinführung betreut. Die 39-Jährige freut sich, dass "ihr" Versicherungsprodukt sich behauptet und ziemlich gefragt ist. "Es ist schon ein besonderer Kick, wenn man eine Produktinnovation aus dem Nichts zum Laufen gebracht hat", sagt sie.

Bevor es so weit kommt, müssen Aktuare aber viele Fragen klären. Wie sieht der Markt aus? Was bieten die Wettbewerber an? Wie wahrscheinlich ist der Eintritt des Todes, der Erwerbs- oder der Berufsunfähigkeit? Zwischen erwerbs- und berufsunfähig besteht nämlich ein Unterschied: Berufsunfähig ist jemand, der seinen spezifischen Beruf nicht mehr ausüben kann. Erwerbsunfähig greift noch weiter und bedeutet, dass derjenige nicht mehr in der Lage ist, irgendeinen Beruf auszuüben.

Julia Ortmann zieht für ihre Vorarbeiten Statistiken hinzu, berät sich mit Kollegen aus dem Vertrieb und anderen Abteilungen, beobachtet Produkte der Mitbewerber. Aus ihren Kalkulationen errechnet sich zum Beispiel die Höhe der Prämien.

Sind alle Fragen geklärt und die Vorarbeiten erledigt, entwirft die Aktuarin einen Prototyp in Excel. Erst wenn der Vorstand des Unternehmens grünes Licht gibt, kann das Produkt auf dem Großrechner programmiert und marktfertig gemacht werden. Was so einfach klingt, ist ein längerer, zuweilen auch zäher Prozess. Von der ersten Recherche bis zur Markteinführung kann er sich über Monate oder sogar Jahre erstrecken. Müssen die unterschiedlichen Standpunkte im Unternehmen zwischen Vertrieb, Programmierern, Aktuaren und Vorstand zu einem Kompromiss geführt werden, unterstützt auch schon mal ein externer Berater diesen Prozess. "Präsentiert der Versicherungsvermittler mit seinem Laptop beim Kunden das Produkt mit allen Leistungen und Prämien, hängt da ein ganzer Apparat dran bis hin zur Verwaltung von Kundendaten", sagt Ortmann.

Nicht immer geht es um neue Produkte. Die Aktuarin muss auch bestehende Versicherungen aktualisieren, neuen Gesetzen anpassen oder sie für Kunden attraktiver gestalten. Ortmann arbeitet immer an mehreren Projekten gleichzeitig.

Julia Ortmann ist in Bremen aufgewachsen. In der Schule sei sie in Mathe aber gar nicht immer der Überflieger gewesen. "Einmal hatte ich sogar eine Fünf, weil ich das Thema damals nicht verstanden habe." Dieser Ausrutscher hielt sie aber nicht vom Mathe-Studium ab, das sie in Göttingen, London und Frankfurt absolvierte.

Als Ortmann währenddessen in Frankfurt bei einer Bank jobbte, erhielt sie sogar ein gutes Angebot, im Unternehmen zu bleiben. Doch sie lehnte ab. Die Versicherungsbranche reizte sie mehr. Und so startete Julia Ortmann ihre Laufbahn in Köln bei einem Rückversicherer. Dort bestritt sie auch ihre Ausbildung zum Aktuar, für die sie Seminare besuchte und Klausuren schrieb, etwa zu Themen wie Schadensversicherung, Pensions- und Krankenversicherung.

Aktuare müssen über Grundkenntnisse in Datenverarbeitung und Informatik verfügen. Entscheidend für den Erfolg ihrer Arbeit sind analytisches Denkvermögen und eine große Genauigkeit. Aber auch kommunikative Fähigkeiten gehören dazu - zum Beispiel, wenn sie ihre Produktentwicklungen vor dem Vorstand präsentieren müssen. Standfestigkeit und zuweilen gute Nerven sind da gefragt.

"Dem Berufsbild haftet immer so eine etwas muffige Einzelgängermentalität an", sagt Julia Ortmann. Aber ganz zu unrecht, findet sie. "Damit käme man in dem Job nicht sehr weit." Ein Beweis gefällig? "Auf den Tagungen der Deutschen Aktuarvereinigung gibt es sogar einen Festabend mit Disco bis zum frühen Morgen."