Herbert Schmitz arbeitet im Psychologischen Dienst der Polizei Hamburg. Er betreut die Beamten in Krisensituationen

Im Rahmen eines Routineeinsatzes "Familienstreitigkeit" wird eine Beamtin mit dem Messer angegriffen. Ihre Schutzweste verhindert den tiefen Stich in den Bauch. Ein Beamter wird von einem "Einbrecher am Werk" schwer verletzt und liegt im Krankenhaus. Bei einem Verkehrsunfall stirbt eine Radfahrerin unter den Zwillingsreifen eines Lkw - ein grauenvolles Bild für die Beamten. Solche Einsätze führen Polizisten zu Herbert Schmitz. Der Diplom-Psychologe gehört zum Psychologischen Dienst der Polizei.

Hamburger Abendblatt:

Herr Schmitz, wie sind Sie vorbereitet, wenn Sie zum Einsatz gerufen werden?

Herbert Schmitz:

Ich werde vom Führungs- oder Lagedienst alarmiert und erhalte erste grundlegende Informationen. Ein Streifenwagen bringt mich dann in das Revier zu einem ersten Gespräch mit den betroffenen Beamten.

In welcher Verfassung treffen Sie Ihre Kollegen an?

Schmitz:

Das ist höchst unterschiedlich. Besonders belastende Einsätze wie Schusswaffengebrauch oder ein Unfall mit Todesfolge haben per se psychische Auswirkungen, die sich aber nicht immer gleich zeigen. Während des Einsatzes greifen zunächst Schutzmechanismen. Der Beamte handelt wie gelernt.

Emotionen kommen nach dem Einsatz?

Schmitz:

Manchmal dringt erst nach Tagen oder Wochen das Ausmaß des Geschehens ins Bewusstsein. Darauf reagiert der Körper mit Stresssymptomen wie Herzklopfen, Atembeschwerden oder Schuld- und Schamgefühlen. Ich versuche dann zu vermitteln, dass dies eine normale Reaktion auf ein unnormales Ereignis ist.

Können die Betroffenen dies nachvollziehen?

Schmitz:

Nicht immer. Es besteht dann eher der Wunsch nach Verdrängung, einfach normal weiterzumachen.

Ist es schwierig, Hilfe zu akzeptieren?

Schmitz:

Leider ja. Und das nicht nur seitens der Betroffenen selbst, denen in ihrer Situation auch das Wir-Gefühl in der Gruppe helfen könnte - das jedoch nicht überall selbstverständlich ist. Im Polizeidienst herrscht zum Teil immer noch ein männlich dominiertes System der harten Haltung vor. Sachlichkeit steht über allem.

Was tun Sie, um trotzdem an die Betroffenen heranzukommen?

Schmitz:

Zum einen ist die Kenntnis der inneren Organisationsstrukturen mit ihrem Hierarchieverständnis und dem ganz eigenen Vokabular gefragt. Mit diesem Wissen mache ich mich an den individuellen Beziehungsaufbau. Um den Betroffenen dann zur Kooperation mit mir einzuladen, kann ich auf ganz unterschiedliche Ansätze zurückgreifen - von einem plausiblen Erklärungsmodell, in dem sich Betroffene mit ihrem Erleben wiederfinden, über Pacing (Anm. d. Red.: Der Berater gleicht sich in diesem Fall dem Betroffenen in Körpersprache, Mimik, Stimme und Sprache an, baut so bei diesem das Gefühl des Verstandenwerdens auf) bis zu einem eher unterstützend-konfrontierenden Ansatz.

Wie willkommen ist Ihre Hilfe?

Schmitz:

Die allgemeine Akzeptanz und Offenheit dem Psychologischen Dienst gegenüber hat zugenommen und unser Beratungsangebot wird besser und breiter angenommen. Neben der Krisenintervention können sich die Beamten ja auch bei Burn-out-Verdacht, Mobbing, sexueller Belästigung oder mit beruflich-persönlichen Problemen an uns wenden. Zudem führen wir im Rahmen der Aus- und Fortbildung etwa Führungsseminare, Selbst- und Stressmanagement oder mentales Training für Spezialeinsatzkräfte durch.

Das ist ein breites Aufgabenspektrum ...

Schmitz:

Es ist eine sehr anspruchsvolle, aber auch sehr erfüllende Tätigkeit mit viel Verantwortung. Anders als zu meiner Zeit als klinischer Psychologe im UKE steht mir hier kein Oberarzt zur Seite, mit dem ich beraten kann, ob eine ambulante oder auch stationäre Behandlung erforderlich ist, weil vielleicht Suizidalität droht. Ich muss die mögliche Stigmatisierung bedenken, wenn ich solche Maßnahmen in Gang setze. Zudem ist Weiterbildung für uns selbstverständlich, da sich das Wissen etwa durch die neuropsychologische Forschung laufend erweitert.

Wie gehen Sie persönlich mit schrecklichen Erlebnissen um, die Sie hören?

Schmitz:

Mit professioneller Distanz. Mitgefühl ja, Mitleiden nein. Wenn ich selbst von Emotionen überwältigt werde, verliere ich den Zugang zu meinen Kompetenzen. Dann bin ich nicht mehr hilfreich für mein Gegenüber, müsste mich eventuell aus dem Gespräch zurückziehen. Das war aber noch nie nötig. Es funktioniert natürlich nur, wenn man über die Fähigkeit zur Selbstreflexion verfügt. Dazu gehören ausreichend Schlaf, eine regenerierende Freizeit, Sport zum Ausgleich - und eine Familie, die den Beruf mitträgt. Ein guter Teil meiner Alarmierungen findet nachts oder am Wochenende statt. An Überstunden kommen bei mir leicht 200 pro Jahr zusammen. Dennoch habe ich das Gefühl, ich könnte noch mehr tun.