Jürgen Strahl, Personalleiter bei der HanseMerkur, im Gespräch über angehende Auszubildende, fehlende Kandidaten, schludrige Mappen.

Seit 20 Jahren ist Jürgen Strahl für die Ausbildung bei der HanseMerkur verantwortlich. Die Qualität der Bewerber ist in den vergangenen Jahren schlechter geworden, sagt der Personalleiter. Welche Maßnahmen ergreift er?

Hamburger Abendblatt:

Was für Berufe können Azubis bei Ihnen erlernen?

Jürgen Strahl:

Entgegen der verbreiteten Ansicht, dass man in Versicherungen nur Versicherungskaufmann lernen kann, bildet die HanseMerkur in sechs Berufen aus - ganz klassisch Kaufleute für Versicherungen und Finanzen, die früheren Versicherungskaufleute. Zusätzlich Büro- und Informatikkaufleute sowie Servicefachkräfte für Dialogmarketing. Ganz neu gibt es die Möglichkeit, ein Bachelor-Studium an der HSBA oder der Nordakademie und die Ausbildung zu kombinieren. 20 Ausbildungsplätze bieten wir pro Jahr an.

Können Sie die alle besetzen?

Strahl:

Im Jahr 2011 hatten wir im Januar schon alle Plätze für den 1. August besetzt, in diesem Jahr erst die Hälfte. Zwar hatten wir im vergangenen Jahr in Hamburg zwei Abiturjahrgänge, die auf den Arbeitsmarkt kamen, doch auch da haben wir schon gemerkt, dass die Qualität der Bewerbungen deutlich zurückgeht. Dieses Jahr haben wir nun 20 Prozent weniger Bewerber als im Vorjahr - und leider auch weniger Klasse.

Was bedeutet "weniger Klasse"?

Strahl:

Bewerbungen, die wir bekommen, sind häufiger wenig sorgfältig und mit Flüchtigkeitsfehlern versehen. Auch bei den Noten oder sozialen Fähigkeiten gibt es Defizite. Jugendliche sind zu wenig darauf vorbereitet, dass eine gute Bewerbung schon die halbe Eintrittskarte ins Unternehmen ist.

Dabei machen die Schulen doch schon viel an Berufsvorbereitung.

Strahl:

Das stimmt. Dank der Weckrufe aus der Wirtschaft ist in der Schulbehörde schon viel passiert. Es kann aber noch mehr gemacht machen. Wir selbst gehen zum Beispiel mit unseren Azubis und unserem Ausbildungsleiter in die Schulen und berichten aus der Praxis. Wir machen unter anderem in Kooperation mit dem Hamburger Hauptschulmodell Bewerbertrainings. Wir helfen Jugendlichen, überhaupt erst einmal ihre Unterlagen zu gestalten.

Spricht das gegen die Schüler? Trotz Förderung werden Bewerbungen schlechter.

Strahl:

Das klingt zu hart. Es gibt jetzt einfach von der absoluten Zahl her weniger Jugendliche, die einen Beruf ergreifen. Das demografische Problem, über das man seit zehn Jahren redet, wird in den Unternehmen jetzt deutlich spürbar. Andererseits heißt das aber auch: Wer sich heute in der Schule wirklich engagiert und einen guten Ausbildungs- oder Studienabschluss macht, der hat auf dem Arbeitsmarkt alle Chancen. Der Arbeitgebermarkt hat sich deutlich zum Arbeitnehmermarkt gewandelt, auch für die Auszubildenden. Die guten Schüler haben heute - man kann fast sagen - die freie Auswahl.

Wenn das Angebot geringer wird, muss man auch als Unternehmen umdenken?

Strahl:

Wir haben uns in der Vergangenheit sicherlich immer nur um die Besten bemüht. Heutzutage schauen wir nicht mehr nur nach den Besten, sondern nach den am besten Geeigneten. Wir sind bereit, nicht mehr nur auf Abiturienten zu setzen, sondern auch auf gute und orientierte Realschüler. Hierbei folgen wir weiter dem Leistungsprinzip, sehen es aber deutlich differenzierter. Das Entscheidende ist, dass jemand menschlich ins Team passt - mit Rückgrat, belastbar und interessiert ist. Charakterliche Defizite sind schwerer auszugleichen als fachliche.

Ist der Bewerbermangel ein individuelles Problem jedes Unternehmens oder muss auch im Großen etwas passieren?

Strahl:

In erster Linie ist es ein gesellschaftliches und demografisches Problem. Jedes Unternehmen muss sich eine eigene Strategie überlegen, wie es sich im Personalmarketing positioniert. Ganz wichtig ist, dass die Berufsvorbereitung an den Schulen weiter intensiviert wird. Jugendliche müssen erfahren, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt. Versicherungen gelten oft als spießig. Das ist falsch. Wir haben eine Fülle von interessanten Aufgaben anzubieten, zum Beispiel im Marketing, bei juristischen oder medizinischen Themen, für Mathematiker, Psychologen, Informatiker. Diese Informationen müssen an die Schulen herangetragen werden. Jedes Unternehmen muss für sich aktiv werden - auch in den sozialen Netzwerken. Wir werden zum Beispiel versuchen, über Facebook und Twitter direkten Kontakt mit den potenziellen Bewerbern zu bekommen und Informationen weiterzugeben. Wir planen unter anderem, mit unseren Azubis eine Facebook-Seite aufzubauen. Soziale Netzwerke werden ein zentrales Thema in den nächsten Jahren sein.