Die Augenoptikerin Denise Ulrich ist Modeberaterin, Designerin und Handwerkerin in einem. Sehhilfen gelten heute als schickes Accessoire.

Wenn Denise Ulrich im Kino sitzt, gehört ihre Aufmerksamkeit ganz den Schauspielern - und deren Brillen. "Ich achte sehr genau darauf, welche Modelle Brad Pitt oder Nicole Kidman im Film tragen", sagt die 29-jährige Augenoptikerin. "Das ist eine Berufskrankheit." Schließlich muss sie in ihrem Job nicht nur die Trends von heute kennen, sondern auch die von morgen.

Für eine Ausbildung zur Optikerin entschied sich Ulrich vor gut zwölf Jahren nach einem Praktikum. "Viele denken, ich verkaufe einfach nur Brillen, aber der Beruf ist weit vielfältiger", sagt sie. Handwerk, Design, Modekenntnis und Typberatung - all das gehört ebenfalls in ihren Arbeitsalltag.

Im Brillenhaus Wilke in Winterhude, wo sie seit gut drei Jahren arbeitet, kommt auch noch das Wissen um die verschiedenen Modelle vergangener Jahrzehnte hinzu. Denn im hinteren Teil des Ladens betreibt Inhaber Karl-Heinz Wilke ein Brillenmuseum. Dort finden Interessierte 1500 Originale, die ältesten aus dem 14. Jahrhundert, die zum großen Teil auch verkauft werden. Ob die pinkfarbene Schmetterlingsbrille aus den 50er-Jahren oder das massive Retro-Unikat aus den 80ern: Über die Besonderheiten der unterschiedlichen Stile weiß Denise Ulrich Bescheid. Das muss sie auch. "Denn zu uns kommen immer häufiger Schauspieler und andere Kreative, die das Einzigartige suchen." So gehöre etwa Wigald Boning zu den Kunden des Brillenhauses Wilke.

Andere kommen ins Geschäft, weil sie einfach nicht mehr gut sehen können. Mit ihnen macht Denise Ulrich dann erst einmal einen Sehtest. Dabei setzt sie Gläser unterschiedlicher Schärfe in eine Messbrille ein: so lange, bis der Kunde Zahlen auf einer an der Wand hängenden Tafel ohne Schwierigkeiten lesen kann. Für Kontaktlinsen misst sie nach dem Sehtest zudem den Hornhautradius. "Ich brauche für meine Arbeit auch ein gewisses medizinisches Wissen", sagt Ulrich. Bildausfälle beim Sehtest etwa deuten auf Netzhautschäden hin. Wenn sie auf solche Fehler stößt, schickt sie den Kunden zum Augenarzt. Eine medizinische Beratung darf die Optikerin nicht machen.

Ist klar, welche Stärke die Gläser haben müssen, geht es an die Auswahl der Brille. "Die Gestelle unterliegen seit einigen Jahren immer mehr der Mode", sagt Ulrich. Jeder Designer bringe ein- bis zweimal pro Jahr eine neue Kollektion heraus. Längst sei die Brille nicht nur Hilfe zum Sehen, sondern gleichzeitig Mode-Accessoire. Viele besitzen gleich zwei oder drei Modelle, die sie je nach Garderobe wechseln. Die Brille muss immer auch zum Gesicht passen, erklärt Ulrich. Die Form des Kopfes sowie Größe und Abstand der Augen müssen bei der Auswahl berücksichtigt werden. Und auch dem Typ und Charakter sollte die Brille entsprechen. "Ein introvertierter Mensch trägt meist lieber etwas Unauffälligeres", sagt Ulrich.

Auf Bestellung fertigt sie auch individuelle Fassungen. "Das ist noch Handwerk in reinster Form, das nur noch wenige Läden bieten", sagt Ulrich. Für die Wunschbrille bringen die Kunden dann Fotos oder Zeichnungen mit. Nach diesen Vorgaben entwirft Ulrich eine Schablone aus fester Pappe. Das Gestell selbst stellt sie dann aus Cellulose-Acetat her, einem speziellen Kunststoff. Mit Laubsäge, Feile und Schmirgelpapier arbeitet sie dann in ein bis zwei Tagen das Gestell heraus. "Dabei kommt es auf Genauigkeit an", sagt Ulrich. "Denn rechte und linke Seite müssen natürlich absolut identisch sein."

Ebenfalls Millimeterarbeit: das Herstellen und Einpassen der Gläser. Je nach Bedarf bestellt Denise Ulrich die Linsen in der nötigen Stärke, Entspiegelung und Tönung. Anhand von Fassung und Augenabstand schleift sie den Rand der Gläser in Form. Dafür hängen in der Werkstatt Hunderte roter und weißer Formscheiben der Hersteller als Schablonen für deren Fassungen. Existiert einmal keine Formscheibe, stellt Ulrich sie her.

Um anschließend den Mittelpunkt des Glases zu finden, fixiert sie es in einem sogenannten Blockgerät auf Millimeterpapier und markiert die zentrale Achse, um diese danach mit dem Augenabstand abzugleichen. Die Markierung wird dann auf die Formscheibe übertragen. Zum Schluss bringt Ulrich das Glas im Schleifautomat mithilfe der Formscheibe auf die gewünschten Maße.

Um im Schaufenster immer die neuesten Brillen zu zeigen, wird monatlich umdekoriert. Auch daran ist Denise Ulrich beteiligt: Sie stellt die Auswahl für die Dekorateure zusammen. Damit sie stets am Puls der Zeit ist, besucht sie regelmäßig Messen, auf denen die Hersteller ihre aktuellen Kollektionen präsentieren. Dort sucht sie dann auch neue Brillen für den Verkauf aus. "Mein Fokus liegt dabei auf modischen Strömungen und extravaganten Fassungen", sagt Ulrich. Sie selbst besitzt inzwischen 16 Brillen, darunter auch antike Modelle: "Jede Brille ist anders und etwas Besonderes", sagt Ulrich.