Niemand liest Managern die Leviten so schonungslos wie Reinhard K. Sprenger

Hamburg. Der Philosoph, Unternehmensberater und Bestsellerautor stellte in Hamburg die Neuauflage seines Klassikers "Mythos Motivation" vor. Das Abendblatt sprach mit ihm über Bonussysteme und Fußball.

Hamburger Abendblatt: Bonussysteme werden häufig damit begründet, dass sie unternehmerisches Handeln im Unternehmen fördern. Warum raten Sie davon ab?

Reinhard K. Sprenger: Bonussysteme erzeugen eine Fülle von Kollateralschäden. Boni führen zu einer immensen Belohnungssucht im Unternehmen. Ohne extra Cash läuft gar nichts mehr. Man beginnt interne Märkte aufzubauen, also Bürokratie. Auch das Kooperationsklima leidet. Die Mitarbeiter arbeiten gegeneinander und nicht mehr miteinander. Eigentlich ist ein Unternehmen ja um die Idee der Zusammenarbeit herum aufgebaut. Zudem: Je mehr man versucht, mit Boni Verhalten und Motivation zu steuern, desto mehr werden leicht und schnell lösbare, vor allem aber quantitative Aufgaben bevorzugt. Alles, was langfristiger, komplexer und qualitativer Natur ist, wird von solchen Systemen nicht erfasst.



Bonussysteme machen also aus Managern keine Unternehmer? Angestellte sind Angestellte, weil sie Angestellte sein wollen. Angestellte verwalten das Geld anderer Leute. Es sind keine Unternehmer, die ihr eigenes Geld riskieren. Das ist ein Riesenunterschied. Vieles von dem, was wir momentan an Problemen haben, resultiert ja daraus, dass wir den Paradigmenwechsel vom Eigentümerkapitalismus zum Managerkapitalismus nicht im Griff haben. Der Manager hat ja riesige Einkommensmöglichkeiten ohne Haftung. Handlung ohne Haftung ist das Ende der Marktwirtschaft. Siehe EU und Griechenland.

Sie plädieren für ein hohes Fixgehalt und geringe variable Anteile? Exakt, denn variable Gehaltsanteile, die Verhalten steuern sollen, funktionieren nicht, sie korrumpieren. Es geht dann nicht mehr darum, das zu tun, was wirtschaftlich sinnvoll erscheint, sondern eine möglichst große Belohnung zu erzielen. Anders verhält es sich mit Beteiligungsmodellen, da sie das Unternehmen als Solidargemeinschaft abbilden. Die Basis ist: Wenn wir gut gearbeitet haben, haben wir alle gut gearbeitet. Dann soll auch jeder partizipieren.

In der Diskussion um Managergehälter spielt der Begriff der Gerechtigkeit häufig eine Rolle. Gibt es denn überhaupt ein Entgeltsystem, das wirklich als gerecht gelten kann? Das ist eine Phantomdebatte, weil der Begriff "gerecht" immer perspektivabhängig ist. Den absoluten Wert "gerecht" gibt es nicht. Man kommt der Gerechtigkeit in einem Entgeltsystem nahe, wenn man es möglichst verführungsfrei und dekomplex gestaltet.

Ein anderes wichtiges Thema in Unternehmen, das Personaler und Geschäftsführung beschäftigt: Wann hat Personalentwicklung Sinn? Personalentwicklung hat immer dann Sinn, wenn sie der fachlichen Weiterbildung dient. Im Bereich der Führungskompetenz ist Personalentwicklung nur sinnvoll, wenn zuvor Personalauswahlverfahren seriös durchgezogen wurden. Eine Defizit-orientierte Personalentwicklung wird nie funktionieren, weil da Lernen mit Anpassen verwechselt wird.

Was ist denn bei der Personalauswahl entscheidend? Die Probezeit ist das wichtigste personaldiagnostische Instrument. Aber es gibt kaum einen Manager, der die Probezeit eines neuen Mitarbeiters seriös vorbereitet und auswertet. Da liegt ein Riesenpotenzial. Die Probezeit sollte idealerweise ein halbes Jahr, besser noch ein Jahr dauern. Eingestellt wird auch im Management erst am Ende der Probezeit. Das ist zwar schwierig durchzusetzen, aber wer sich nicht darauf einlässt, ist angstgetrieben und wäre ohnehin eine Fehlbesetzung.

Wie hat die Krise die Führungskultur in den Unternehmen verändert? Die Unternehmen sind ja von der Krise sehr unterschiedlich betroffen. Bei den stark betroffenen gibt es ein hohes Maß an Furcht, Orientierungslosigkeit und insofern häufig den Ruf nach starker, charismatischer, autoritativer Führung, wie Louis van Gaal sie als Trainer bei Bayern München repräsentiert. Das ist aus meiner Sicht sehr zeitgeistbedingt. Das wird sich wieder legen.

Apropos Fußball, das liegt Ihnen ja am Herzen. Wie formt man ein Ensemble von Einzelkönnern und Spitzenverdienern zu einem Team? Das Bewusstsein muss da sein, dass man nur als Mannschaft aufsteigen kann. Es hat noch nie ein Einzelspieler gewonnen. Wichtig ist, dass der Trainer in seinem Handeln auch konsequent ist. Er muss bereit sein, Diven auszuschließen. Leute, die nicht bereit sind, mannschaftsdienlich zu spielen, gehören nicht ins Team.

Gilt diese Regel auch für Unternehmen? Selbstverständlich. Wenn ein Mitarbeiter oder eine Führungskraft in einem Meeting sagt, "das ist nicht mein Problem, das ist Ihr Problem", würde ich ihn sofort abmahnen.

Wie wirkt sich die Aufstellung auf die Motivation der Mannschaft aus? Die Spieler kennen die Regeln des Spiels. Sie wissen, dass die Ersatzbank zur Mannschaft gehört. Nicht zur Startaufstellung zu gehören ist eigentlich nichts Schlechtes. Es gibt Manager, die früher Fußball gespielt haben, die sagen "Das meiste, was ich gelernt habe, habe ich auf der Ersatzbank gelernt." Im Grunde sind wir heute doch alle Zeitarbeiter.