Forscher setzen zunehmend auf Mikroorganismen als nützliche Helfer. Weiße Biotechnologie, die natürliche Prozesse für sich nutzt, ist in der Industrie eine umweltfreundliche Alternative für giftige Chemikalien und fossile, endliche Ressourcen.

Wenn man ganz genau hinschaut, begegnet sie uns permanent in unserem Alltag. Schon beim Frühstück. Das Vollkornbrot hat eine knackige Kruste und beim Abwaschen des Geschirrs vom Vorabend löst das Spülmittel ganz einfach die festgebrannten Nudeln aus der Auflaufform. "Das, was da arbeitet, das sind Enzyme. Sie gehen uns im täglichen Leben zur Hand und erleichtern uns den Alltag auf umweltfreundliche Art und Weise", erklärt Dr. Ralf Grote, Oberingenieur an der Technischen Universität in Hamburg-Harburg (TUHH). Im Institut für Technische Mikrobiologie beschäftigt er sich mit so genannten extremophilen Mikroorganismen. "Das heißt, ich erforsche Kleinstlebewesen, die einiges aushalten - egal ob hohe oder niedrige Temperaturen."

Und diese Erkenntnisse können dann für neue Entwicklungen in der Industrie genutzt werden - in der so genannten weißen Biotechnologie. Die Werkzeuge der Natur unterstützen dann auf vielfältige Weise die Herstellung von alltäglichen Gebrauchsgegenständen. Und das hat sogar gleich zwei Vorteile: Sie ist sowohl ressourcenschonend als auch umweltfreundlich. Schon seit vielen Jahrhunderten werden diese natürlichen Helfer eingesetzt. Die ersten Anwendungen lassen sich bereits im Jahr 6000 v. Chr. finden, als in Mesopotamien aus gekeimter Gerste ein alkoholhaltiges bierähnliches Getränk gebraut wurde. Aber auch bei der Herstellung von aufwendigen Chemikalien, Vitaminen, Waschmitteln, bei der Veredelung von Leder oder der Herstellung von Papier: Biotechnologie steckt in allem.

Die Vorarbeit für diese Bereiche leisten Forscher wie Dr. Matthias Wilmanns, vom European Molecular Biology Laboratory, das auch in Hamburg ansässig ist. "Wir schauen uns die Atome wirklich ganz genau an. Und da reicht kein Mikroskop mehr aus, sondern aufwendige Untersuchungsverfahren sind da nötig", erklärt der 50 Jahre alte Chemiker. "Denn nur, wenn wir ganz genau wissen, wie ein Molekül, beziehungsweise ein Enzym aufgebaut ist, können wir auch sagen, wie es wirkt." Wo greift ein Enzym an, wo blockiert es einen natürlichen Prozess? Diese Fragen stellen sich Wilmanns und seine Kollegen. Ziel ist es, die Naturwissenschaft und die Technologie zusammenzuführen und so die Fähigkeiten der lebenden Organismen zu nutzen. Heute werden vor allem die Methoden der Molekularbiologie gezielt genutzt. Der entschlüsselte Bauplan informiert über die Fähigkeiten des Organismus, der dann als Werkzeug arbeiten kann.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Produktion von Jeans im Stonewashed-Look. Früher wurden die Hosen wirklich, wie der Name schon sagt, mit rauen Steinen gewaschen, um einen Abrieb an der Jeans herbeizuführen. Dieser Prozess kostet jedoch einiges an Wasser und Energie. Heute übernehmen so genannte Cellulasen diesen Job. Sie sorgen für Risse in der Faser, und die blaue Farbe kann mit einem kurzen Waschgang abgetragen werden. Für die Papier- und Zellstoffindustrie sind Enzyme für den Bleichprozess relevant. Chlorgas, das früher für das Entziehen der Farbe genutzt wurde, wird jetzt von einem Enzym ersetzt.

Ein noch sehr junges Forschungsfeld ist die Nutzung der Biochemie als Alternative für fossile Rohstoffe, die ja allgemein bekannt zur Neige gehen. "Zudem wird die Umwelt geschont, weil bei dieser Arbeitsweise keine Abfälle entstehen", erklärt Dr. Ralf Grote. Sein Kollege Dr. Michael Kleine, Geschäftsführer des Kieler Biotechnologie-Unternehmen Platon geht noch einen Schritt weiter. "Wir beginnen, marine Organismen, also mögliche Helfer aus dem Meer zu untersuchen", erklärt der 50-Jährige. Insbesondere Bakterien aus dem Meer, die unter extremen Bedingungen leben, können für die Industrie hilfreich sein.

Normale Enzyme aus der weißen Biotechnologie werden beispielsweise bei zu hohen oder zu niedrigen Temperaturen zerstört, Tiefseebakterien können mit anderen Eigenschaften überleben. "Sie können unter anderen thermischen Belastungen leben - das ist ein immenser Vorteil", so Kleine. Und genau diese Mikroorganismen werden dann vielleicht dafür sorgen, dass die Wäsche in der Waschmaschine auch sauber wird, wenn das Wasser nicht heiß ist - und das schont dann nicht nur die Energie, sondern auch die feine Seidenbluse