Von der Lehre bis zur Rente in nur einer Firma - das gibt es heute immer seltener. Und es geht künftig auch nicht mehr nur aufwärts.

Diplom-Ingenieur Ben Krischausky ist ein gefragter Mann. Nicht etwa weil Ingenieure nach wie vor zu den Stars auf dem Arbeitsmarkt zählen. Sondern weil der selbstständige Unternehmensberater sich als Projektleiter für Change Management einen Namen gemacht hat. Den Sprung hat der 56-Jährige bereits vor 20 Jahren vollzogen. "Mich hat schon in der PC-Fertigung die Organisationsentwicklung mindestens genauso interessiert wie die Technik", sagt Krischausky. Über das Projektmanagement im IT-Bereich kam er zur Weiterbildung mit Schwerpunkt E-Learning. Dann wechselte er in die Personalentwicklung im Industriesektor - bevor er sich selbstständig machte. Heute arbeitet er vor allem als Interimsmanager. Eine Karriere, die keinesfalls gradlinig verlief, die aber bei Krischausky vor allem eines förderte: Kreativität.

Um die Menschen zu erreichen, musste er das binäre Zahlensystem und den Tunnelblick der "Tekkies" hinter sich lassen. Dennoch war seine Vergangenheit immer auch ein Pluspunkt für den Personalentwickler: "Ich weiß, wie Naturwissenschaftler denken und kann dies in die Welt der Personaler übersetzen."

Patchworkkarrieren wie die von Ben Krischausky gewinnen an Bedeutung, sagt Svenja Hofert. Die Karriereberaterin hat immer häufiger mit Bewerbern zu tun, die wechselnde Projekte und Arbeitsstationen von nur einigen Monaten in ihrer Vita haben. Die Absolventen kommen nicht dauerhaft unter, weil viele große Unternehmen in der Krise auf erfahrene Kräfte und der Mittelstand auf die Bewerber aus der Nachbarschaft zurückgriffen: "Aus Angst, den Hochqualifizierten nicht genug bieten zu können und diese schnell wieder abgeben zu müssen", sagt Hofert. Sie rät Berufseinsteigern, sich von elterlichen Vorbildern frei zu machen: "Die sogenannte Kaminkarriere mit stetiger Beförderung in ein und demselben Unternehmen gibt es kaum noch. Und wenn doch, endet sie abrupt - siehe Versandhaus Quelle."

Aber die Zeit für die Hochschulabsolventen, die aktuell vielleicht noch erfolglos Hunderte von Bewerbungen schreiben, wird wieder kommen. "Das Arbeitsangebot in Hamburg wird bis 2020 voraussichtlich zunehmen", sagt Dr. Silvia Stiller, Leiterin des Kompetenzbereichs Hamburg und Entwicklung beim Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI). Die Tendenz, Ältere so früh wie möglich in den Ruhestand zu schicken, werde sich nicht halten lassen. "Die Gruppe der 50- bis 65-Jährigen wird 2020 bereits ein Drittel aller Hamburger im Erwerbsalter ausmachen."

Für Unternehmen bedeutet das: Sie müssen für altersgerechte Arbeitsabläufe und ergonomische Arbeitsplätze sorgen, sagt Stiller. Viele Unternehmen haben ihr Gesundheitsmanagement in letzter Zeit bereits ausgebaut. Parallel dazu müssen aber individuelle Beschäftigungsperspektiven unterstützt werden. Silvia Stiller vom HWWI: "Der Dachdecker muss seine Begabungen und Interessen jenseits des Handwerksberufs kennen, lange bevor er aus Altersgründen nicht mehr aufs Dach klettern kann." Ebenso wie der Lehrer seine Alternativen kennen sollte, bevor er "ausbrennt". "Talentmanagement setzt bei Unternehmen mehr Beratung und Flexibilität voraus."

Entwicklungsgespräche mit 21 000 Beschäftigten stehen beispielsweise jährlich beim Energieerzeuger Vattenfall an. Dazu kommen eine systematische Planung, um Bedarfe rechtzeitig zu erkennen und bei der Nachwuchssuche einzuplanen, sowie das Wissensmanagement: "Wenn Mitarbeiter in den Ruhestand gehen, hinterlassen sie zwar Akten und Dateien, aber ihr Erfahrungswissen nehmen sie mit", sagt Personalentwicklerin Uta Schellenberger-Nicoubin. Vattenfall habe daher moderierte Gespräche zwischen älteren und jüngeren Führungskräften zur Routine gemacht. Außerdem öffne sich das Unternehmen mit Blick auf die Zukunft neuen Karrierewegen.

"Es geht nicht mehr geradewegs nach oben. Man kann auch von einer Führungsposition in eine Position ohne Personalverantwortung übergehen - ohne Gesichtsverlust", sagt die Personalentwicklerin.

Für die Beschäftigten heißt das: Veränderungen dürfen nicht länger negativ besetzt sein, sondern sollten als Chance gesehen werden. "Wenn die Tätigkeit ständig gleich bleibt, geht die Kreativität gegen Null", betont Ben Krischausky. Gerade Kreativität - als Fähigkeit, Probleme zu lösen - gilt in einer Wissensgesellschaft wie Deutschland als handfester Wettbewerbsvorteil. Dabei gehöre Kreativität ebenso wie Systemdenken oder Konzentrationsfähigkeit zu den Eigenschaften, die sich im Alter nicht verändern, wenn man sie durch ständig neue Herausforderungen etwa im direkten Kundenkontakt immer wieder stimuliert.

Berufserfahrung, Verantwortungsbewusstsein und Urteilsfähigkeit gelten als die Eigenschaften, die im Alter zunehmen, während körperliche Leistungsfähigkeit, Risikobereitschaft und geistige Schnelligkeit abnehmen. Aber das ist alles auch eine Frage der Arbeitsbedingungen: "In einer Wissensökonomie werden die Funktionen, Berufe und Karrieremodelle viel flexibler", betont Silvia Stiller vom HWWI. Für die Soziologin sind die neuen Erwerbsbiografien aus Modulen von Familienzeit, Weiterbildung und Beschäftigungszeit in ganz unterschiedlichen Funktionen und Bereichen unbedingt ein Gewinn. "Andere Länder wie Skandinavien sind da schon viel weiter als wir - mit sehr guten Erfahrungen." Der Wechsel wird zur Norm und ermöglicht gefragte Branchen- und Methodenkenntnisse: "Das ist auch sehr motivierend."