“.garage“, das Projekt mit der seltsamen Schreibweise, wird zehn Jahre alt. Dort starten jährlich 360 ehemalige Arbeitslose in die Selbstständigkeit.

Abendblatt: Sie haben vor zehn Jahren im Enigma Gründungszentrum das Projekt .garage ins Leben gerufen. Dort geben Sie Leuten, die aus der Arbeitslosigkeit heraus eine Existenz gründen wollen, Starthilfe. Was ist heute anders als 1999?

Hajo Streitberger: Die größte Veränderung liegt darin, dass es Normalität geworden ist zu gründen - auch für Arbeitslose. Vor zehn Jahren war das eher ein Thema für eine kleine experimentierfreudige Gemeinschaft.

Abendblatt: Wie haben sich die Teilnehmerzahlen entwickelt?

Streitberger: Wir dachten damals, wir finden in Hamburg vielleicht 60 Leute, mit denen wir Existenzgründung machen können. Tatsächlich hatten wir schon im ersten Jahr 180 Teilnehmer. Heute sind allein in den Gruppen, die hier im Haus ihre Gründung durchziehen, jährlich 360 Leute. Und an den weiteren Beratungen und Veranstaltungen im Gründungszentrum nehmen noch deutlich mehr teil. Insgesamt haben wir in den vergangenen zehn Jahren 8000 angehende Selbstständige beraten.

Abendblatt: Womit wollten die Leute früher gründen, womit heute?

Streitberger: Früher kamen vor allem diejenigen mit klassischen Geschäftsideen aus den Bereichen Handel und Dienstleistung, ganz selten auch produzierendes Gewerbe zu uns. Dann sprach sich herum, dass wir auch Künstler oder ganz neue Ideen - etwa den Stuntman oder die Märchenerzählerin - unterstützen. Heute haben wir gerade unter den jungen Teilnehmern viele aus dem Kreativ-Bereich - ohne dass die Zahlen in der klassischen Gründung zurückgegangen wären. Insgesamt gibt es in der .garage aber keinen Branchenschwerpunkt.

Abendblatt: Gibt es einen richtigen Trend in Bezug aufs Gründen?

Streitberger: Der größte Trend ist: Es wird klein gegründet. Dazu braucht man wenig Eigenkapital, erbringt selbst seine Dienstleistung und kann so relativ schnell Aufträge generieren.

Abendblatt: Wie groß sind zurzeit die Chancen, als Gründer erfolgreich zu werden?

Streitberger: Nach der letzten Langzeitstudie, die die Agentur für Arbeit in unserem Haus durchgeführt hat, haben Gründungen aus der Arbeitslosigkeit extrem gute Erfolgschancen. Bis zu 90 Prozent der Gründer werden unabhängig von der Arbeitsagentur. Selbst unter den Hartz-IV-Empfängern besteht für jeden Zweiten die Chance, innerhalb einiger Monaten ganz oder teilweise auf die ALG-II-Bezüge verzichten zu können. Entscheidend ist, wie viel Risiko man in seine Gründung einbaut. Zum Beispiel: Haben Sie Rückfallpositionen, wenn es mal etwas schlechter läuft? Oder haben Sie sich einen Zehn-Jahres-Mietvertrag ans Bein gebunden? Wir legen unseren Gründern nahe, sehr konservativ zu sein: nicht so viel Geld auf lange Zeit zu binden, möglichst flexibel zu bleiben. Grundsätzlich hängt viel davon ab, ob man sich professionell unterstützen lässt.

Abendblatt: Wie leicht bekommt man derzeit Geld von der Bank?

Streitberger: Es ist schwer. Unsere Gründer benötigen oft nur kleine Kredite. Es lohnt sich für Banken aber nicht, 5000 Euro zu verleihen. In diesem Bereich wird noch viel passieren, da die neue Bundesregierung Mikrokredite fördern will. Schon heute kann man sich an die Lawaetzstiftung wenden. Dort läuft das Hamburger Kleinstkreditprogramm, in dessen Rahmen man Kredite bis zu 12 500 Euro erhalten kann.

Abendblatt: Gründen in der Krise mehr Leute?

Streitberger: Ja. Laut dem Gründungsbarometer der Handelskammer haben im ersten Halbjahr 2009 11 840 Personen gegründet - das sind 21 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2008. Gründungen sind auch immer Teil einer Krisenreaktion.

Abendblatt: Wie muss man sein, um ein guter Gründer zu werden?

Streitberger: Am leichtesten gründen die, die Selbstständige im familiären Umfeld haben. Das ist erwiesen. Der erfolgreiche Gründertyp hat erstens wirklich Kenntnisse von dem, was er anbietet - durch Tätigkeit in der Branche oder durch intensive Beschäftigung damit als Hobby. Zweitens hat er seinen Markt erkundet. Man darf nicht zuerst gründen und dann gucken, ob die Leistung überhaupt jemand kaufen will. Drittens: Ein erfolgreicher Gründer glaubt, dass er selber Dinge verändern kann. Psychologen nennen das internale Kontrollüberzeugung. Und viertens: Der richtige Gründer ist auf jeden Fall etwas frustrationstoleranter als der Schnitt der Gesellschaft. Gründen ist ein bisschen wie Fahrradfahren. Man braucht eine gewisse Grundgeschwindigkeit und muss nach vorne gucken. Dazu braucht man eine bestimmte Persönlichkeit. Man stellt fest: "Oh, das ist jetzt grad ein bisschen schiefgelaufen." Aber man steigt nicht ab und lamentiert, sondern weiter geht's!

Hajo Streitberger (54) führt mit Maike Classen die Geschäfte des Enigma Gründungszentrums, unter dessen Dach sie im November 1999 den Gründungsinkubator .garage ins Leben riefen. Der Agraringenieur und gelernte Programmierer war zuvor unter anderem als Geschäftsführer eines Weiterbildungsträgers und mit der eigenen Multimediafirma aktiv. Er hat zwei erwachsene Töchter und lebt mit seiner Partnerin in Fuhlsbütte l.