Fachleute kritisieren: Zertifikate sagen wenig aus. Viele Mitarbeiter schreiben ihre Beurteilungen selbst, Personaler arbeiten mit Textbausteinen.

"Zeugnisse gleichen sich doch wie ein Ei dem anderen." Das sagt die Personalreferentin eines Hamburger Mittelständlers. "Sie bestehen alle aus denselben Standards, oft sogar Textbausteinen, und sagen darum auch nur wenig aus", findet sie. Wem werde denn schon die Floskel "zur vollsten Zufriedenheit" versagt ... Ihren Namen will die Personalerin nicht in der Zeitung lesen - sie fürchtet, dass es ihrem Arbeitgeber nicht gefallen würde. Aber mit ihrer Meinung steht sie nicht allein. "Man darf ja nichts Negatives reinschreiben, darum sind die Zeugnisse auch nicht so aussagekräftig", bestätigt Dr. Ulrich Möllers, Geschäftsführer von Bode Chemie in Hamburg. "Ich hätte es lieber, wenn wir deutliche Zeugnisse schreiben könnten." Darum hält er selbst sich vor allem an Fakten. "Wir orientieren uns stark an der sachlichen Ebene, formulieren, was die Arbeitsplatzbeschreibung beinhaltet und ob die Anforderungen erfüllt wurden." Wenn möglich, versucht Möllers die Abschlussformel "zur vollsten Zufriedenheit" zu vermeiden. Ihn ärgert der falsche Sprachgebrauch daran: "Voll ist voll, das kann man nicht steigern!"


Arbeitgeber sind verpflichtet, Zeugnisse wahr und wohlwollend zu formulieren. "Einerseits soll man ehrlich sein, andererseits darf man dem Mitarbeiter keine Steine in den Weg legen. Daraus ergibt sich so manches Mal schon eine kuriose Situation", sagt Birthe T. (Name geändert), eine Personalreferentin eines kommunalen Arbeitgebers aus der Region Berlin. Das größte Problem sieht sie darin, dass der "Geheimcode der Chefs", der ja überhaupt nicht geheim ist, auch mal falsch benutzt wird - aus Unkenntnis. Oder um ein besonders gutes Zeugnis zu schreiben. Oder weil der Mitarbeiter sein Zeugnis selbst formulieren darf und dabei schlichtweg übertreibt. "Selbst geschriebene Zeugnisse fallen wirklich immer sehr gut aus", hat Petra Pflanz, Beraterin für Arbeitszeugnisse in Berlin, festgestellt. Und das wirke dann unglaubwürdig. Nina Lüking, Kölner Fachanwältin für Arbeitsrecht der bundesweit tätigen Kanzlei Hensche Rechtsanwälte, stören am meisten die Worthülsen. "Viele Zeugnisse sind gespickt damit. Da steht dann ganz allgemein, jemand bewältige seine Aufgaben 'kreativ' - aber ein bestimmtes Projekt, bei dem er das gezeigt hat, wird nicht hervorgehoben."

Manchmal hat das Weglassen auch Methode. "Man darf nicht schreiben, dass eine Kassiererin in die Kasse gegriffen hat", sagt Beraterin Petra Pflanz. Aber dann schreibt man eben nicht, dass sie ehrlich und zuverlässig gewesen ist - eine Angabe, die bei Kassierern eigentlich dazugehört. "Genauso wie bei Führungskräften der Titel des Studiums", erklärt die Zeugnisexpertin. "Wenn zum Beispiel bei der Position eines Abteilungsleiters ein Studium vorausgesetzt werden kann - es aber nicht genannt wird, dann kann das ein Hinweis darauf sein, dass der Arbeitgeber ausdrücken möchte, derjenige habe die Position nicht den Erwartungen gemäß erfüllt." Mitarbeitern fällt das gar nicht so oft auf. Manchmal erst, wenn eine Bewerbung nach der anderen abgelehnt wird. Dann kann es aber zu spät sein. Anwältin Nina Lüking: "Ich rate dazu, das Zeugnis sofort kritisch zu prüfen - und wenn es Unstimmigkeiten gibt, innerhalb der ersten drei Monate nach Erhalt zu widersprechen und eine Berichtigung zu fordern."

Dabei scheinen Arbeitgeber den Zeugnissen gar nicht so große Beachtung zu schenken. "Es ist heute nicht das Entscheidende", sagt Ulrich Möllers von Bode Chemie. Ihm sagen die persönlichen Gespräche mit den Kandidaten mehr. Und um die Einladung dazu zu bekommen, müssen vor allem Vita und Anschreiben stimmig und zum Job passend sein, findet Möllers. Im Zeugnis achtet er auf die Beschreibung der Aufgaben, weniger auf die Beurteilung. Auch Personalerin Birthe T. sagt: "Man darf die Aussagekraft eines Zeugnisses nicht überschätzen. Ich habe selten erlebt, dass in der abschließenden Bewertung nur ein 'zur vollen Zufriedenheit' gegeben wurde."

Mitarbeiter indes legen sehr großen Wert auf ihr Zeugnis. "Es kommt immer öfter zum Streit über Formulierungen", sagt Arbeitsrechtlerin Lüking. "Am häufigsten, wenn es um die Gesamtbeurteilung geht." Also um die Frage, ob da zur vollen, zur vollsten oder einfach nur zur Zufriedenheit steht. "Wenn es schlechter als 'gut' ausfällt, dann sind die wenigsten damit einverstanden." Wer nur ein "befriedigend" erhält ("zur vollen Zufriedenheit", ohne ein "stets") und meint, er habe Besseres verdient, muss vor Gericht "vortragen und beweisen", dass er mehr geleistet hat. "Wer Akkord gearbeitet hat oder wessen Leistung sich am Umsatz messen lässt, hat es da natürlich einfacher", sagt Nina Lüking. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten, weiß die Anwältin: "Wenn man zum Beispiel viele Dankesnachrichten von Kunden oder Kollegen erhalten hat, dass man seine Arbeit zuverlässig, schnell oder besonders gut gemacht habe, dann zählt das auch."

Doch gibt es eine Alternative zu Arbeitszeugnissen? "Sie abzuschaffen wäre die ideale Lösung", sagt Karl-Heinz List, Unternehmensberater aus Uelzen. Aber er ist auch realistisch: "Die meisten Personaler richten sich nach dem Code, man hat kaum eine Chance, das Muster zu durchbrechen." List spricht sich für ein Kompetenz- und Leistungsprofil als Alternative aus. Die eingangs zitierte Personalreferentin plädiert für Referenzen durch ehemalige Vorgesetzte, Professoren oder Auftraggeber - und für mehr Mut, sich auch mal über den üblichen Standard hinwegzusetzen.