Schüler treffen Unternehmer ihrer Region, schreiben Businesspläne und werden mutig.

Abendblatt: Frau Hasenclever, Sie sind pädagogische Leiterin des Vereins NFTE Deutschland - worum geht es dabei?

Connie Hasenclever: NFTE ist das Kürzel für "Network for Teaching Entrepreneurship". Wir sind ein gemeinnütziger Verein, der das Ziel hat, bei Jugendlichen mit schlechten Startchancen Eigeninitiative, Selbstständigkeit und unternehmerisches Denken zu fördern. Wir wollen ihre Aussichten verbessern, Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu finden. Dazu bilden wir zusammen mit Wirtschaftswissenschaftlern Lehrer von Haupt-, Real- und Gesamtschulen zum "Entrepreneurship Teacher" aus - vor allem solche aus sozialen Brennpunkten.

Abendblatt: Was bringen die Lehrer ihren Schülern bei?

Hasenclever: Die Jugendlichen lernen die Grundlagen von Wirtschaft und Unternehmensgründung kennen, aber nicht im Frontalunterricht, sondern interaktiv, zum Beispiel mit einer Reihe von Wirtschaftsspielen. Dabei erwerben die Schüler vielfältige Kenntnisse, ohne es eigentlich zu merken, weil diese Art zu lernen Spaß macht. Besonders gut kommt bei ihnen an, dass sie Unternehmer aus Ihrer Region persönlich kennenlernen und Betriebe besichtigen können.

Abendblatt: Das passiert während des normalen Unterrichts?

Hasenclever: Wie sie das Programm integrieren, bleibt den Schulen überlassen. Ein NFTE-Kurs umfasst mindestens 50 Schulstunden, ist also auf Nachhaltigkeit angelegt. Die Schüler belegen ihn meist als Wahlpflichtfach oder er wird ins Fach Arbeitslehre integriert.

Abendblatt: Was erreichen Sie bei den Teilnehmern?

Hasenclever: Der Kurs stärkt die Persönlichkeit der Jugendlichen, denn sie entdecken ihre Fähigkeiten. Viele wissen gar nicht, dass auch sie wichtige Qualitäten haben, die sie aus ihren Interessen heraus entwickeln können. Sie erfahren nun zum ersten Mal, dass sie mit ihren Talenten Produkte und Dienstleistungen entwickeln können, die in der Gesellschaft gebraucht werden. So bekommen die Jugendlichen den Mut, ihre von fehlenden Perspektiven geprägte Haltung zu verändern. Und dadurch haben sie auch bessere Chancen, eine Ausbildungsstelle zu bekommen.

Abendblatt: Ein Beispiel?

Hasenclever: Ein Schüler hat Probleme mit der Prozentrechnung. Er entwickelt eine Idee für ein T-Shirt-Unternehmen und muss nun auf seine Shirts beim Verkauf 19 Prozent Mehrwertsteuer draufschlagen. Auf einmal macht das Sinn für den Jugendlichen! Und er merkt, dass Prozentrechnung gar nicht so schwer ist. "Plötzlich macht mir Mathe sogar Spaß", hat mir kürzlich eine NFTE-Schülerin aus einer Förderschule geschrieben.

Abendblatt: Sie wollen aber nicht alle Schüler zu Gründern machen, oder?

Hasenclever: Nein, aber alle bekommen das Rüstzeug dazu. Wir legen großen Wert darauf, die Schüler nicht in ein Risiko zu treiben. Sie lernen von Anfang an, systematisch, vorsichtig und sparsam an ihre Projekte ranzugehen. Unternehmergeist können sie sowohl als Gründer wie auch als Arbeitnehmer brauchen. Man merkt schon während der Kurse, dass die Jugendlichen ein Gefühl dafür bekommen, welche Anforderungen eine Firma hat. Sie können dadurch viel besser verstehen, was von ihnen in der Unternehmenspraxis erwartet wird. In Rollenspielen lernen sie zum Beispiel, wie wichtig Pünktlichkeit und Höflichkeit sind. Und bei Kreativitätsspielen üben sie, eigene Geschäftsideen zu entwickeln.

Abendblatt: Was für verborgene Qualitäten haben die Schüler?

Hasenclever: Die Lehrer sind oft total überrascht. "Der kann Sachen - das hätte ich nie gedacht!", bekomme ich nicht selten zu hören. Eigentlich hat jeder Schüler etwas, das ihm Spaß macht, wobei er Geduld hat, worin er besser ist als seine Freunde, etwas, was er anderen beibringen kann. Ob es sich nun um Computerkenntnisse handelt, um Fähigkeiten in Musik oder Design. Viele sind auch gut im Verhandeln und Verkaufen, erst im Spiel, dann ganz real. Marktforschung, Marketing - auch so was interessiert sie, denn Werbung kennen sie aus dem täglichen Leben. Wenn die Schüler erfahren, dass sie auch etwas können, was von anderen als wichtig angesehen wird, erwerben sie ganz neue Selbstsicherheit - und am Ende ein für die Bewerbung wichtiges Zertifikat. Allerdings nur, wenn sie im Laufe des Unterrichts einen kompletten Businessplan entwickelt haben und ihn einer Wirtschaftsjury präsentieren.

Abendblatt: Was sagen die beteiligten Unternehmer?

Hasenclever: Sie sind verblüfft und beeindruckt. Sie spüren, dass die Schüler mit Herzblut dabei sind und Interesse entwickelt haben für das, was sich in Unternehmen abspielt. Und solche Leute können sie als Lehrlinge gut gebrauchen. Wir bauen also Vorurteile aufseiten der Wirtschaft gegenüber Schülern mit einem geringeren Schulabschluss ab. In Berlin haben wir zum Beispiel erlebt, dass an einer Haupt- und Realschule in einer schwierigen Region jeder NFTE-Schüler hinterher einen Praktikums- oder Ausbildungsplatz bekommen hat. Ein Unternehmen hat sogar einen zusätzlichen Platz eingerichtet, weil ihm einer der Schüler bei seiner Präsentation so gut gefallen hat.