Auch mit dem niedrigsten Schulabschluss sind Karrieren möglich - das Hamburger Hauptschulmodell.

Simon, Fabienne, Hares, Christin und David haben einiges gemeinsam: Die Schüler konnten gerade ihren Hauptschulabschluss feiern, sie sind zwischen 15 und 16 Jahre alt und sie beginnen alle am 1. August ihre Ausbildung. Sie steigen in einem Alter ins Berufsleben ein, in dem viele Gleichaltrige noch die Schulbank drücken. Allein das ist schon eine Leistung. Dennoch genießt der Hauptschulabschluss keinen guten Ruf, und viele Unternehmen zögern oder weigern sich sogar, Hauptschüler einzustellen. Dagegen kämpft das Hamburger Hauptschulmodell (s. Kasten) seit dem Jahr 2000.

"Man muss sich klarmachen, dass der Hauptschulabschluss der erste mögliche Leistungsnachweis für Schüler überhaupt ist", sagt Gerd Knop, Projektleiter des Hauptschulmodells bei Otto. "Auch Gymnasiasten sind mit 15 Jahren nicht weiter." Für zugewanderte Jugendliche ist es das erste Zertifikat in deutscher Sprache. Knop: "Darauf können sie wirklich stolz sein, denn aus ihrer Sicht haben sie ihren Schulabschluss in einer Fremdsprache absolviert."

Bundesweit macht etwa jeweils ein Drittel der Schüler den Hauptschul-, den Realschulabschluss und das Abitur. Das sind insgesamt 222 000 Hauptschulabsolventen, in Hamburg etwa 3500.

Otto-Projektleiter Knop wendet sich gegen die Bezeichnung "sozial Benachteiligte". "Wir haben den Beweis angetreten, dass das nicht so ist, und jährlich rund 450 junge Menschen in die ungeförderte Ausbildung gebracht. Junge Hauptschüler werden heute Bühnenmaler, Fluggerätemechaniker oder Bürokaufleute." Allenfalls lasse er den Begriff "marktbenachteiligt" gelten.

Das Durchschnittsalter zu Beginn der Berufsausbildung liegt bei 20 Jahren. Wenn Hauptschüler sich bewerben, sind sie oft erst 14 Jahre alt. Knop: "Diese Jugendlichen stecken mitten in der Pubertät und stehen bei Bewerbungen in Konkurrenz zu Bewerbern, die deutlich reifer sind."

Das bestätigt David, der bei einem Vorstellungsgespräch zur Auswahl von angehenden Hotelkaufleuten mit 20 anderen Bewerbern einen Test machen musste. Die meisten hatten Abitur. Und David bekam den Platz nicht. Aber er wird jetzt Restaurantfachmann und lernt ab August im Literaturhauscafé. Aus Sicht der Betriebe sei es zwar verständlich, sagt Knop, wenn sie diese älteren Azubis bevorzugen. 20-Jährige seien in der Regel belastbarer. Aber es gibt auch Betriebe, die gern jüngere Bewerber und Hauptschüler nehmen, denn diese sind formbarer und - noch entscheidender - sie wollen nicht nach der Ausbildung studieren. Sie bleiben den Betrieben erhalten.

Insgesamt gehören mittlerweile 75 Unternehmen zum Netzwerk des Hamburger Hauptschulmodells, darunter Beiersdorf, Otto, Hapag-Lloyd, Lufthansa Technik und Jungheinrich. Nicht alle bilden selbst Hauptschüler aus, aber alle beraten Jugendliche bei der Berufswahl. Erste Anlaufstelle für die Jugendlichen ist die Arbeitsstiftung, die alle Maßnahmen bündelt und deren Mitarbeiter die Schüler individuell beraten.

"Wir können viele Beispiele von Hauptschülern nennen, die heute ihren beruflichen Weg erfolgreich gehen, auch viele Migranten sind darunter", sagt Michael Goedeke, Leiter der Koordinierungsstelle Ausbildung. So hat eine heute 20 Jahre alte Türkin zunächst eine Ausbildung als zahnmedizinische Fachangestellte absolviert, danach das Abendgymnasium besucht, um nun Zahnmedizin zu studieren. Auch bei umkämpften Ausbildungsberufen haben Hauptschüler Chancen wie beispielsweise beim Kfz-Mechatroniker, wenn sie bei einem Innungstest ihre Eignung nachweisen können und ein freiwilliges Praktikum in den Ferien machen. Goedeke: "Etwa zwei Dutzend Hauptschüler schaffen es in jedem Jahr." Hauptvoraussetzung sei immer die feste Entscheidung für einen Beruf, der Wille und eine hohe Motivation.

Denn manchmal scheitern Hauptschüler nur, weil sie sich den falschen Job ausgesucht haben oder weil das Unternehmen nicht zu ihnen passt. "Man muss sich mit den Jugendlichen intensiv befassen", sagt Goedeke. Es sei die Kunst, den richtigen Bewerber und das passende Unternehmen zusammenzubringen. Bei der Suche nach dem richtigen Azubi unterstützt die Koordinierungsstelle der Arbeitsstiftung die Firmen und trifft eine Vorauswahl. Dieser Service ist vor allem für kleinere Betriebe eine große Erleichterung. "Die Kandidaten, die wir anbieten, zeichnet eine hohe Leistungsmotivation aus", sagt Goedeke. "Und sie haben wirklich Lust auf Arbeit." 92 Prozent der von der Koordinierungsstelle vermittelten Hauptschüler sind nach einem Jahr noch auf ihrem ersten Ausbildungsplatz.

Bundesweit wächst das Interesse am Hamburger Hauptschulmodell. Bereits 20 Städte und Regionen wie Frankfurt, Berlin, Nürnberg und Bremen zeigen Interesse und 14 setzen bereits Aktivitäten um und kooperieren durch Schulungen, Informationen und Planungen mit den Beratern in der Hansestadt. Nach fünf Jahren Einsatz gab es 2005 den Karl-Bertelsmann-Preis, "und seit 2008 erhalten wir eine freiwillige Förderung in Höhe von 180 000 Euro für drei Jahre von der Stiftung Private Equity Foundation", sagt Goedeke.

Zu Beginn der Initiative vor neun Jahren sei die Gruppe der Schulabgänger mit Hauptschulabschluss noch nicht im Visier der Öffentlichkeit gewesen, sagt Knop, der für sein Engagement 2009 das Bundesverdienstkreuz erhielt. Damals betrug der Anteil der Hamburger Hauptschüler, die direkt nach ihrem Abschluss in die ungeförderte Ausbildung gingen, nur 6,7 Prozent, heute liegt er bei 18,8 Prozent.