Verschwendetes Wissen: Unternehmen könnten im Online-Bereich einiges von ihrem internetfreudigen Nachwuchs lernen.

"Früher gab es die neueste IT-Technik am Arbeitsplatz. Heute laufen die meisten Firmen der Entwicklung hinterher," sagt Tönnis von Donop, Technologieberater bei Accenture. Doch insbesondere von den Berufseinsteigern geht ein hoher Innovationsdruck aus. Mit Handy, StudiVZ und Facebook quasi aufgewachsen, wollen die jungen Leute auch am Arbeitsplatz nicht darauf verzichten. Neueste Technologie und State-of-the-Art-Equipment gehören für zwei Drittel von ihnen zu den Entscheidungskriterien bei der Wahl des Arbeitgebers.

Mindestens jeder Dritte unter 32 nutzt Instant Messaging und Social-Network-Plattformen wie Xing oder LinkedIn auch im Beruf. Jeder zweite davon tut es ohne Wissen seines Arbeitgebers. "Die Millennials, wie wir sie nennen, wollen sich nicht vorschreiben lassen, womit sie zu arbeiten haben", führt von Donop aus. "Sie bringen die Technologie ins Unternehmen mit, die sie auch privat überzeugt."

Doch die Internetgeneration bringt mehr mit als nur Technologieerfahrung. In seinem neuesten Buch "Wenn Anzugträger auf Kapuzenpullis treffen" rät Dr. Willms Buhse Führungskräften, die jungen Leute genau unter die Lupe zu nehmen. Von ihrer Attitüde der hierarchiefreien Kommunikation und erfolgreichen Selbstorganisation à la Internet könne man viel lernen.

Buhse erzählt die Geschichte von Phil, einem englischen Vertriebler, der für das Hamburger Softwarehaus CoreMedia in Moskau unterwegs war. Es war das Ende einer der schlechteren Tage für Phil, und sein Flieger hatte Verspätung. Phil nutzte die Zeit, um in einen internen Blog zu schreiben, dass sein Vertriebsvorhaben nicht so gut angekommen sei. Er fügte dem Text noch seine Präsentation hinzu. Wenige Stunden später reagierte Lydia, eine Entwicklerin aus Hamburg, die Phil nicht kannte, auf seinen Blogeintrag. Nachdem sie sich die Präsentation angesehen hatte, antwortete sie, dass einige Begriffe missverständlich übersetzt worden seien. Phil meldete sich sofort bei Lydia. Beide machten einen weiteren Kundenbesuch und gewannen einen Deal über mehrere Hunderttausend Euro. Ohne den Blogeintrag hätte es diesen Erfolg nicht gegeben. Für Buhse belegt dieses Beispiel: Je besser die Vernetzung ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für neue Lösungsmuster.

Im Enterprise 2.0 bedeutet Wissensmanagement nicht, das ganze Wissen eines Unternehmens in Datenbanken zu dokumentieren, sondern die Wissensträger und -nachfrager situativ zu vernetzen. In dieser enormen Steigerung der kollektiven Intelligenz liegt der eigentliche Produktivitätssprung. Der kann gerade bei international aufgestellten, dezentral organisierten Unternehmen gewaltig sein.

Auch die Hamburger Otto Group mit ihren mehr als 50 000 Mitarbeitern in 19 Ländern setzt auf Enterprise 2.0. "Vor allem Projektgruppen, die bereichsübergreifend zusammenarbeiten, nutzen intensiv Wikis", sagt Gaby Neuhaus, Leiterin der internen Kommunikation bei Otto. Dort wie auch in den internen Foren können alle Mitarbeiter als Autor agieren. "Wir schauen zwar, was thematisch passiert, aber wir regulieren die Foren nicht. Das führt dazu, dass sich auch Querdenker eher trauen, ihre Ansichten einzubringen. Das hilft uns, das Wissen des gesamten Unternehmens Otto anzuzapfen", berichtet Neuhaus.

Diese Entwicklung konfrontiert allerdings auch die Führungsetagen mit neuen Herausforderungen. Manager müssen anders führen, wenn Mitarbeiter selbstorganisierter arbeiten können. Führung über Informationsvorsprung und Macht funktioniert dann nicht mehr. Unternehmenslenker sind in diesem Umfeld als Impulsgeber und Vorbilder gefordert, die den Rahmen selbstorganisierter Arbeit definieren.

Neben die Hierarchie tritt die vernetzte Organisation. Die neue Aufgabe der Führungskräfte heißt, diese beiden Welten parallel zu managen. "Tatsache ist, durch Enterprise 2.0 ändert sich der Führungsstil", weiß Willms Buhse aus der Praxis zu berichten. "Da braucht das Top- und Mittelmanagement häufig Unterstützung. Aus meiner Perspektive ist die Technologie nicht Kern von Enterprise 2.0. Sie ist Mittel zum Zweck. Die wirklichen Effekte erzielt man erst mit einer guten Begleitung, Organisationsentwicklung, Unternehmenskultur und Führung", stellt er fest.

Unter dem kulturellen Aspekt passt Enterprise 2.0 nach Meinung von Fachleuten übrigens ausgezeichnet zu deutschen Unternehmen. Das nicht nur, weil neben der englischen die deutsche Wikipedia-Fassung die mit Abstand wichtigste ist. Wir gelten im internationalen Vergleich als gut ausgebildet, insgesamt eher akademisch geprägt, denken und diskutieren gerne. Südeuropäische oder asiatische Unternehmen sind häufiger viel hierarchischer geprägt. Die angelsächsische Geschäftswelt ist kurzfristiger orientiert.

Anders als bei den vielen kleinen und großen IT-Revolutionen in der Vergangenheit hält sich der technisch bedingte Lernaufwand bei Internettechnologie im Unternehmenseinsatz in Grenzen. "Jeder, der Google oder Ebay benutzen kann, sollte mit einer ordentlich implementierten Enterprise-2.0-Anwendung keine Probleme haben", kommentiert Dr. Buhse.

Und auch der Accenture Berater Tönnis von Donop gibt Entwarnung: "Die meisten Enterprise-2.0-Anwendungen sind einfacher zu benutzen als so manches in die Jahre gekommene E-Mail-Programm. Ältere Arbeitnehmer brauchen also beileibe keine Scheu vor ihnen zu haben."