IT-Projekte: 60 000 freiberufliche Berater in Deutschland tätig

Die Arbeitsnomaden der Moderne

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Deike Uhtenwoldt

Kaum Chancen für introvertierte Tüftler. Soziale Kompetenz ist wichtig.

Was haben Jahrtausendwende, Umstellung auf den Euro und die neuen Kreditrichtlinien nach Basel II gemeinsam? Sie steigerten die Nachfrage nach externen IT-Beratern erheblich und führten neue Organisationsformen in die Unternehmen ein. "Flexible, prozessorientierte Organigramme statt funktionaler Statik", resümiert Annette Nellore. In der Praxis heißt das vor allem Projektarbeit.

Nellore, Geschäftsführerin der passport Business Engineering GmbH, sorgt dafür, dass Studenten und Absolventen frühzeitig Verantwortung für eine Aufgabe übernehmen, Praxiserfahrung und Projektwissen sammeln: Das Beratungsunternehmen vermittelt und begleitet angehende Informatiker, Wirtschaftsingenieure und Elektrotechniker in IT-Projekten. "Das sind Vorhaben, bei denen Budget, Laufzeit und Aufgabe durch den Auftraggeber klar definiert sind", erklärt Nellore den Projektbegriff. Mit anderen Worten: der Auftraggeber, etwa ein Firmenvorstand, steckt den Rahmen und die Inhalte ab, passport stellt dafür ein Team aus freien und manchmal auch fest angestellten Mitarbeitern zusammen. Geführt wird es von einem Projektleiter und kontrolliert von einem Lenkungsausschuss, einem vom Auftraggeber eingesetzten Beratungsgremium.

In Deutschland gibt es mehr als 60 000 freiberufliche IT-Berater. ",Projekt' ist in der Branche ein Synonym für einen Job", erklärt Stefan Symanek, Marketingleiter der Gulp Information Services GmbH. Das Webportal vermittelt Freiberufler in passende Projekte - mit steigender Tendenz. 2350 Projektanfragen pro Woche sei ihr Rekord, sagt Symanek. Dahinter stecken unterschiedliche Angebote, vom schlichten Excel-Training bis zur Einführung der RFID-Technik (Radio Frequency Identification) in die Medizin.

Diplom-Ingenieur Ulrich Goetzke ist Spezialist für Smartcards. Das sind Speichermedien für sensible Daten, wie sie auf EC- oder Krankenkassenkarten eingesetzt werden. Vor zwölf Jahren hat sich der Kieler selbstständig gemacht. Seitdem pendelt er zwischen Einsatzorten in Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, zwischen Hotel und Heimbüro, konfrontiert mit ganz unterschiedlichen Unternehmenskulturen und Produkten.

Sein aktuelles Projekt führt Goetzke seit einem halben Jahr nach Lübeck. In gut einem Monat soll das Sicherheitssystem stehen, das vier Freiberufler und drei Festangestellte gemeinsam entwickeln. "Das klappt nicht immer reibungslos", gibt Goetzke zu. Zwar hänge er selbst die Termintreue sehr hoch. Aber Entwickler seien eben auch Tüftler und viele verlören sich im Detail. Wenn dann ein festangestellter Teamkollege erklärt, er sei nicht fertig geworden, muss der Freiberufler seine rhetorischen Fähigkeiten zum Einsatz bringen: "Ich bin ja darauf angewiesen, dass ich erfolgreich bin und man mich wieder bucht."

Sozialkompetenz ist auch in der IT gefragt: "Projekte bedeuten immer Veränderung", sagt Annette Nellore von passport. "Das schafft Angst und Widerstände bei den Beschäftigen - und damit muss das Projektteam umgehen können." Die Diplom-Kauffrau sucht ihre mehrheitlich freiberuflichen Berater nach drei Kriterien aus: fachliches Know-how, Praxiserfahrung sowie Kommunikationsverhalten und Auftreten. "Wer nur vor dem Rechner sitzt und den Mund nicht aufkriegt, kommt für uns nicht in Frage."

Ein Anspruch, auf den Hochschulen und Seminaranbieter reagiert haben: So bietet etwa die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Kommunikationskurse für Techniker und die Deutsche Consulting Akademie das Seminar "Professionelles Erscheinungsbild und Umgangsformen". Ein Thema, das für freie IT-Berater extrem wichtig sei, betont Akademieleiter Cord Twele: "Aus den Tüftlern am PC sind Kundenberater geworden. Da sind überfachliche Kompetenzen gefragt."

Und was ist mit dem Klischee vom Pizza ordernden, pickeligen Programmierer im zerschlissenen Rolli? Stefan Symanek von Gulp Information Services winkt ab: "Alles Durchschnittsmenschen, selbst bei der Ernährung." Was IT-ler vielmer auszeichne, sei ihre hohe Selbstmotivation: "Das sind moderne Nomaden, die ohne genaue Vorgaben, feste Struktur und bekanntes soziales Umfeld arbeiten können."

Von der IT lernen heißt Strukturiertheit und Disziplin lernen, meint auch Ulrich Goetzke. 20 Jahre Projekt- und einige Jahre Leitungserfahrung bringt der Entwickler mit. Der Unterschied zu früher: "Heute starten wir ein Projekt mit einer Kick-off-Sitzung, die früher schlicht Vorstellungsrunde hieß." Längst weiß der Softwareentwickler, was ihn außer der Sicherung des Lebensunterhalts täglich antreibt: es besser machen zu wollen als der durchschnittliche Teamleiter, der seine Mitarbeiter wenig informiert, aber viel fordert: "Projektleiter, die viel positive Erfahrung und vor allem überdurchschnittliche soziale Fähigkeiten besitzen, sind mit der wichtigste Erfolgsfaktor."

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