Holger Antz mußte durch den Börseneinbruch mit seinem Softwarehaus Insolvenz anmelden. Bettina Krüger hat den ihr zugesagten Job als Abteilungsleiterin doch nicht bekommen, und Dirk Ahlmanns Führungsposten wird im Zuge von Sparmaßnahmen in der Firma gestrichen. Alle drei haben Niederlagen erlitten. Sie sind beruflich gescheitert.
Das Thema Scheitern ist tabu - besonders in unserer Arbeitswelt, in der alles nach dem Prinzip schneller, besser, erfolgreicher geht. "Scheitern ist in unserer Gesellschaft so negativ besetzt, daß sowohl viele Mitarbeiter als auch Chefs entweder nichts riskieren, um ja nicht zu scheitern oder ihre Energie darauf verwenden, das Scheitern von Projekten zu kaschieren", sagt Torsten Groth, Assistent am Lehrstuhl für Führung und Organisation der Universität Witten-Herdecke.
"Scheitern beginnt schon dann, wenn jemand denkt, es bewegt sich nichts im Beruf, ich bin unzufrieden, gehe nicht mehr gern hin. Das ist bereits der Anfang vom Burnout", sagt Dr. Mirjam Gollenia, die als Coach und Psychologin Firmen und Einzelpersonen berät. Oft zeigen sich bereits dann erste psychosomatische Symptome wie Kopf- und Rückenschmerzen oder Infekte.
Niederlagen und der Umgang damit lassen den Menschen jedoch reifen und gehören zur persönlichen Entwicklung. Habe man einmal eine Krise, ein Scheitern erlebt, erhöhe dies die Sensibilität, Risikosignale früher wahrzunehmen, meint die Karriereberaterin Sibylle Bräuer. "Menschen, die gelernt haben, mit Krisen umzugehen, greifen auf ihren Erfahrungsschatz und ihre Überlebensstrategien zurück. Sie wissen, daß es auch nach erlittenem Schiffbruch weitergeht."
Auch Personalverantwortliche schätzen kampferprobte Bewerber, die wissen, wie sie mit Niederlagen umzugehen haben und die sich bereits in persönlichen oder beruflichen Krisen beweisen mußten. "Mir sind Bewerber häufig lieber, die zugeben, daß sie schon einmal auf den Bauch gefallen sind als diejenigen, bei denen alles zu glatt und problemlos verlief", sagt Dr. Hans-Joachim Bartels, Personalleiter bei Beiersdorf. Erlebnisse des Scheiterns führen zu neuen Erfahrungen und zu einem Lernprozeß, der denjenigen, die alles im Leben serviert bekommen, fehle. So reife eine ausgeprägtere Persönlichkeit, sagt Bartels.
"Vom Karrieristen zum Menschen" könnte man die Entwicklung von Holger Antz betiteln. Mit seinem Unternehmen Management Data bis 2001 erfolgreicher und millionenschwerer Chef von 250 Mitarbeitern, zerplatzte mit dem Börsencrash sein Lebenstraum. Der 51jährige nutzte das Scheitern als Chance für einen Neuanfang, gründete seine Ein-Mann-Unternehmensberatung und schreibt jetzt Kinderbücher. "Ich bin trotz allem heute zufrieden, nicht so reich, habe aber mehr Freiheit und ein Privatleben."
Die Kulturen gehen unterschiedlich mit dem Fehlermachen und Scheitern um. Wissenschaftler Groth: "In den USA wird auf das Aufstehen geschaut, bei uns jedoch auf das Hinfallen." Firmenchefs müßten ein Klima der "Fehlerkultur" schaffen, in dem Ideen gewünscht sind. "Es sollte sogar Prämien für gescheiterte Projekte geben." In der Forschung gehöre Scheitern ohnehin zum Alltag: 90 Prozent aller Versuche mißlängen. Groth: "Scheitern und Erfolg sind Zwillinge."
Wie richten Berater Betroffene nach einem Sturz wieder auf? Mirjam Gollenia: "Wichtig ist, die Krise als Chance für eine Neuorientierung zu betrachten. Ich mache als erstes eine Bestandsaufnahme, betrachte bisherige Highlights, Talente und Kernkompetenzen. Daraus ziehen die Betroffenen viel Selbstbewußtsein."
In der Managementtheorie wird das Thema Scheitern nur am Rande behandelt. Groth: "Fehler und Scheitern sind jedoch nicht einfach nur zu vermeiden, sondern notwendige Voraussetzungen für Lernen - individuell wie auch in Unternehmen. Erfolg schließt Scheitern nicht aus, sondern ein."
Daß diese Erkenntnisse auch für Manager gelten, belegt eine Aussage des BDI-Vizepräsidenten Michael Rogowski: "Um ein guter Kapitän zu werden, braucht man zunächst Mißerfolge, an denen man wachsen kann. So wie auch Manager möglichst früh Mißerfolge erleben müssen. Sonst stürzen sie irgendwann ganz dramatisch ab."
Für Unternehmen gelte, so Groth, die Sieger von gestern seien zwangsläufig die Verlierer von morgen, wenn sie nicht in der Lage seien, neue Wege zu gehen. "Daher muß experimentiert werden, und das geht nicht ohne das Risiko des Scheiterns und die Auswertung der Erfahrungen."
Das bestätigt Sibylle Bräuer: "Das Festhalten an Erfolgsrezepten aus der Vergangenheit ist der Keim für das Scheitern in der Zukunft." Heute gehe es in der Berufswelt vor allem darum, sich schnell auf veränderte Situationen einzustellen. "Loslassen und mit Ungewißheit leben ist die Herausforderung unserer Zeit."
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