Kirsten Baumann ist Doktorin mit Tischler-Ambitionen. Sie leitet das Museum der Arbeit - leidenschaftlich, pragmatisch und diszipliniert.

Wenn Kirsten Baumann, 48, morgens in ihr Büro kommt, zieht sie erst einmal die Jalousie zur Terrasse hoch. Wenn sie Pech hat, fällt ihr Blick auf leere Bierflaschen, Zigarettenstummel und andere Partyrückstände. Der geräumige Austritt vor dem Büro der Direktorin des Museums der Arbeit ist durch eine Nottreppe auch für ungebetene Besucher zugänglich. "Nach Feierabend treffen sich hier manchmal Jugendliche und feiern. Da lasse ich nach Büroschluss die Jalousien herunter und mache eben am nächsten Tag klar Schiff", sagt sie und lacht.

Pragmatisch, humorvoll, offen, zupackend, uneitel: Jeder, der Kirsten Baumann das erste Mal begegnet, dürfte die promovierte Kunsthistorikerin spontan mit sympathischen Eigenschaften etikettieren. Doch mit diesen Qualitäten allein hätte es die gebürtige Hannoveranerin kaum innerhalb von einem Jahrzehnt an die Spitze von zwei bedeutenden Museen in Deutschland geschafft. Bevor Baumann 2009 das Museums der Arbeit übernahm, war sie stellvertretende Direktorin der Stiftung Bauhaus Dessau mit jährlich mehr als 100 000 Besuchern. "Dieses Pensum konnte ich nur bewältigen, weil ich gut strukturiert und sehr diszipliniert bin."

Und sie ist hart im Nehmen. Das hat sie im vergangenen Herbst im öffentlich ausgetragenen Streit um die Zukunft der Stiftung Historische Museen Hamburg bewiesen, unter deren Dach seit 2008 das Museum der Arbeit, das Altonaer Museum, das Museum für Hamburgische Geschichte und das Helms-Museum in Harburg mit Außenstellen zusammengefasst sind. Kirsten Baumann, von 2010 bis Ende 2011 Alleinvorstand der Stiftung, erarbeitete im Auftrag des Senats ein Konzept zur Neustrukturierung der Museumsarbeit. "Damit wollte ich die personellen und organisatorischen Abläufe optimieren und so neue Spielräume für die unterfinanzierten Häuser schaffen."

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Als ihr Konzept "in der Schublade" verschwand und parallel dazu ein Antrag der SPD-Fraktion einging, der das Helms-Museum, das Bergedorfer Schloss sowie das Rieck Haus aus dem Verbund herauslösen wollte, war für sie "das Maß voll": Zum Jahresende 2011 trat Kirsten Baumann vom Vorstand zurück. "Über diese ganzen Kämpfe und Intrigen habe ich graue Haare bekommen, mein Friseur schimpft schon mit mir", sagt sie lachend.

Zur Kunst, ihrer "Mission und Berufung" kam sie über einen kleinen Umweg. Nach dem eher mäßigen Abitur im Jahr 1983 - "Schule war nicht so meins" - begann Kirsten Baumann eine Tischlerausbildung. Handwerkliche Begabung lag in der Familie, hinzu kam der "sehr starke Drang, etwas Praktisches zu tun". Ihre akademische Laufbahn begann, als sie nach einem gesundheitlich bedingten vorzeitigen Ende der Ausbildung ihrem Herzenswunsch folgte und Kunstgeschichte studierte. Der Satz eines Professors zum Abschied klingt ihr noch heute in den Ohren. "Er sagte mir: ,Ihr Vater ist Postbeamter, Ihre Mutter Lehrerin, na ja. Ohne persönliche Beziehungen in der Branche ist es schwierig, aber Sie sind ja ganz keck, Sie werden das schon schaffen.'"

Ihr Studium - zuerst an der Universität Trier, später an der Ruhr-Uni Bochum - dehnte sie auf 16 Semester aus. Mit schuld daran war die Hochschulpolitik. Kirsten Baumann engagierte sich im Fachschaftsrat sowie als studentische Vertrauensfrau der Fakultät und entdeckte ihr ausgeprägtes Organisationstalent, als sie mit neuen Studienplänen "Strukturen für mehr Transparenz und Effizienz" für die Studenten schuf.

Nach dem Abschluss konnte Baumann in einem Projekt zur Reform geisteswissenschaftlicher Studiengänge logisch aufeinander abgestimmte Kurspläne für jedes Semester entwickeln und damit System und Überschaubarkeit ins Fächer-Chaos bringen. Die Leitung eines Mentorenprogramms kam darüber hinaus ihrer Neigung entgegen, mit jungen Leuten zusammen zu arbeiten. "Ich wollte mein Wissen teilen."

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Nach einer USA-Reise fasziniert von der Kundenorientierung der dortigen Museen, bewarb sie sich für ein Praktikum an der National Gallery in Washington. "Ich wurde genommen, weil sie meinen Lebenslauf mit Tischlerausbildung und dem langjährigen Hochschul-Engagement als interessant und vielseitig empfanden. Das hat mich ermutigt, auch weiterhin meinen eigenen Weg zu gehen."

Ihre freie Zeit in Washington nutzte sie für lange Besuche der großen Museen. Vor allem interessierte sie die Konzeption der Ausstellungen, die didaktische Aufbereitung der Themen. Speziell die National Gallery mit 1300 Mitarbeitern begeisterte sie. "Hier konnte ich viel über Museumsarbeit lernen: Durch wie viele Hände ein Ausstellungstext geht, wie man Aufsichtspersonal schult oder eine besucherfreundliche Eingangssituation schafft - das alles war damals an deutschen Museen kein so großes Thema."

Zurück in Deutschland schrieb sie an ihrer Doktorarbeit und stieß auf die Stellenanzeige der Stiftung Bauhaus Dessau: Museumspädagogin für die Organisation der Führungen gesucht. Sie bewarb sich und überzeugte. Anfang 1997 ging Baumann dort an ihre gewohnte Arbeit: Strukturen schaffen. Sie verfasste Leitfäden für die Rundgänge, engagierte und schulte Personal und hat sich selbst "totgeführt - aber gerne und mit Leidenschaft".

Zwischendurch ließ sie sich freistellen und schloss ihre Dissertation zum Thema "Völkische und nationalsozialistische Kunstkritik" ab. "Mein damaliger Chef hat mir viel zugetraut und mir viel Freiraum gelassen", sagt Baumann. 2005 ernannte er sie zur stellvertretenden Direktorin. Damals lebte sie schon ein Jahr in Berlin und pendelte. "Ich habe es in Dessau nicht mehr ausgehalten. Das Umland ist traumschön, aber ich brauche die kulturelle Vielfalt einer Großstadt um mich herum."

Zum Glück stieß sie auf die Stellenausschreibung des Museums der Arbeit. Im April 2009 zog Kirsten Baumann nach Hamburg. Ganz angekommen ist sie dort noch nicht. "Die Hamburger empfangen einen nicht gerade mit offenen Armen", sagt sie. Doch die Freude an der Aufgabe überwiegt. "Das Museum der Arbeit ist eines der international bedeutendsten Museen, das die Geschichte der Arbeit aus sozialhistorischer Perspektive erzählt. In Deutschland ist es eine Marke, aber das wissen viele Hamburger gar nicht."

Neue Veranstaltungen mit aktuellem Bezug sind in Planung. So will Baumann "die Auswirkungen der neuen sozialen Sicherungssysteme oder von prekären Arbeitsverhältnissen mit besonderem Blick auf das Leben und die Arbeit von Frauen" aufgreifen. "Wenn wir diese komplexen Themen für die Besucher fesselnd aufbereiten können, haben wir unsere Aufgabe erfüllt."