Nervenkitzel gehört für Bauingenieur Andreas Wild zum Job. Er plant und konstruiert seit 20 Jahren rasante Fahrgeschäfte

Hamburg/München. Er bringt die Menschen zum Kreischen. "Mit meinem Job kann ich Menschen eine große Freude bereiten", sagt Bauingenieur Andreas Wild. Der 49-Jährige plant und konstruiert seit mehr als 20 Jahren Fahrgeschäfte. Die größte Herausforderung sieht er darin, wirtschaftlichem und zeitlichem Druck gerecht zu werden.

"Ohne den Einsatz hochleistungsfähiger Computer und modernster Werkzeuge wären die Fahrgeschäfte von heute nicht denkbar und in der Kürze der Entwicklungszeit nicht mehr möglich", sagt Wild. Angestellt ist der Garant für Nervenkitzel beim Münchner Ingenieurbüro Stengel, der deutschen Adresse für Fahrgeschäfte. Das Büro hat in den letzten 40 Jahren mehr als 500 Achterbahnen sowie unzählige Fahrgeschäfte entwickelt und konstruiert. Die meisten sind auch auf dem Hamburger Dom im Einsatz.

Die Freizeitparks dieser Welt befinden sich in einem fortlaufenden Wettbewerb um die spektakulärsten Fahrgeschäfte. Deren Attraktivität bemisst sich vor allem am Adrenalinausstoß: Gibt es keinen Nervenkitzel, taugt die Bahn in den Augen vieler Besucher nichts. Dreifach-Loopings, Überkopffahrten, freier Fall und rasante Steilkurven: Da gibt es viele spannende Herausforderungen an solide Ingenieurarbeit, bei der sämtliche Prozesse eng miteinander verzahnt werden müssen.

Mit der Schweizer Intamin AG und dem Münchner Ingenieurbüro Stengel waren zwei der weltweit führenden Experten auch am Colossos im Heide-Park beteiligt. Mit ihm wurde in der deutschen Vergnügungspark-Landschaft ein neues Zeitalter eingeläutet. Der Achterbahnzug gleitet nach einer steilen Auffahrt in einer Höhe von 52 Metern ruhig dahin. Eine weite Rechtskurve, der Blick geht über das ausgedehnte Gelände des Freizeitparks. Dann der Absturz und ein Gefälle von 61 Prozent! Der Zug beschleunigt, erreicht bis zu 120 Stundenkilometer, ein Wagen nach dem anderen verschwindet in der Tiefe, ein Wahnsinnsfall. Dominierten vorher Achterbahnen im Bereich der 30-Meter-Höhenmarke, war das 22 Millionen Euro teure Holzbauwerk in der Lüneburger Heide ein wahrer Gigant.

Der Hansa-Park an der Ostsee hat das Büro Stengel ebenfalls engagiert, und zwar für die neue, 40 Meter hohe Achterbahn "Fluch von Novgorod". Die Fahrt beginnt mit einem Katapult-Start im Dunkeln. Der Zug wird in 1,4 Sekunden von 20 auf 100 Stundenkilometer beschleunigt. Im Freien verläuft die Fahrt rasant weiter, bevor es zum zweiten Höhepunkt kommt: Erneut im Dunkeln wird der Zug 90 Grad nach oben gezogen, anschließend geht es mit 97 Grad nach unten.

Steiler geht es fast nicht mehr. "Eine der Hauptaufgaben bei diesem Projekt bestand darin, die Anlage in die vorhandenen Wegeanlagen zu integrieren und Installationen unter Berücksichtigung sämtlicher Randbedingungen zu gewährleisten", berichtet Wild. In einem ersten Schritt wurden die während der Fahrt auf den Passagier wirkenden Belastungen für die gesamte Bahn berechnet und simuliert. Anschließend wurde das Tragwerk der Anlage so entwickelt, dass sämtliche an der Bahn auftretenden Kräfte sicher in den Boden geleitet werden.

Von der ersten Idee bis zur Lieferung der Pläne können bis zu vier Monate vergehen. Der Bau einer großen Bahn dauert bis zu einem Jahr. Auch privat sind Achterbahnen für den Ingenieur reines Vergnügen. Er plant Urlaube danach, wo gute Anlagen stehen.