Die Werft Nordic Yards ist Wismars wichtigste Firma. Der neue russische Eigner Witali Jussufow will sie retten. Eine Reportage.

Hammerschläge dröhnen durch die Halle, ein Gebäude so groß, dass man darin ein Bundesliga-Fußballspiel mit Tausenden Zuschauern veranstalten könnte. Zwischen rostroten Stahlwänden zucken Flammen von Schweißgeräten auf wie Blitze. Im Baudock wächst ein Schiff heran, daneben die Einzelteile für die Endmontage. "Einen guten Richter zu bekommen ist extrem schwierig, die findet man am Arbeitsmarkt kaum noch", ruft der Schiffskonstrukteur Gunnar Flemming durch den Lärm. "Deshalb müssen wir die Leute unbedingt hier halten. Und dabei läuft uns die Zeit davon." Ein "Richter" steht mit einem Vorschlaghammer an Deck des Schiffstorsos und schlägt Stahlplatten gerade, nachdem ein anderer Arbeiter das Metall mit einem Schweißbrenner erhitzt hat. "Bei der Montage der einzelnen Bausegmente kann sich der Stahl verziehen, dann muss er später gerichtet werden", erklärt Flemming.

Der Baukörper im Dock wird eine "RoPax"-Fähre, ein kombiniertes Passagier- und Frachtschiff für die schwedische Stena Line. Das Schwesterschiff liegt zur Innenausrüstung bereits vor der Halle. Bei der Fertigstellung der beiden Fähren ist die Werft in Wismar gewissermaßen ihr eigener Auftragnehmer. Die Arbeiten waren bereits in vollem Gange, als das Unternehmen und dessen Schwesterwerft in Rostock im Sommer zahlungsunfähig wurden. Anfang August ging der frühere Eigner der beiden Werften, das Unternehmen Wadan Yards, in das Insolvenzverfahren. 2200 Mitarbeiter wechselten mit ungewissen Aussichten in "Transfergesellschaften".

1000 von ihnen sind mittlerweile zurück in den Betrieben. Die beiden Fährschiffe werden im Auftrag des Insolvenzverwalters vollendet. Ob zwei bereits begonnene Containerschiffe noch zu Ende gebaut werden, ist ungewiss. Für die Zeit nach Ablieferung der Fähren gibt es bislang keine Arbeit. Wenn nicht bis zum kommenden Sommer neue Bestellungen hereinkommen, ist wohl endgültig Schluss mit dem Schiffbau in Wismar und in Rostock. Für die Richter, für die Konstrukteure, für alle Mitarbeiter auf den beiden Werften.

Der Betrieb in Wismar war bereits klinisch tot, Flemming erinnert sich ungern an den Spätsommer: "Die Halle war voller Bauteile, aber menschenleer und geräuschlos. Es war gespenstisch." Das kann sich bald wiederholen. Die Zukunft der größten ostdeutschen Werft hängt am seidenen Faden. "Wenn wir keine Aufträge bekommen", sagt Flemming, "gehen hier bald die Lichter aus. Nicht nur auf der Werft, sondern auch andernorts in der Stadt."

Milliardensummen aus deutschen und europäischen Kassen flossen nach der deutschen Einheit in die Erneuerung des ostdeutschen Schiffbaus. Dieser genoss international einen guten Ruf, obwohl die Betriebe des ehemaligen DDR-Schiffbau-Kombinats weitgehend veraltet waren. Schon Ende der 90er-Jahre aber standen in Wismar und in Stralsund, in Rostock und in Wolgast die modernsten Werften Europas, das industrielle Fundament von Mecklenburg-Vorpommern. "Der Schiffbau ist dort die Kernindustrie schlechthin. Es gibt in Mecklenburg-Vorpommern praktisch keine industrielle Alternative", sagt Jutta Blankau, Leiterin des Bezirks Küste bei der Gewerkschaft IG Metall. Diese Monostruktur präge Wismar noch stärker als Rostock.

Die skandinavische Aker-Gruppe, Europas vormals größter Werftkonzern, führte die Betriebe in Rostock und in Wismar von den 90er-Jahren bis 2008. Dann verkaufte Aker überraschend an den russischen Investor Andrej Burlakow und dessen Unternehmen Wadan Yards. Goldene Zeiten verhieß Burlakow den Schiffbauern im Nordosten Deutschlands. Die Erneuerung der russischen Handelsflotte, der Bau von Spezialschiffen für die arktischen Regionen werde Wismar und Rostock volle Auftragsbücher bringen. Versprochen hat Burlakow viel, gehalten nichts. In Deutschland wurde er nach der Übernahme der Werften nur noch selten gesehen. Er führte die Unternehmen in die Pleite. Mittlerweile sitzt er in Moskau angeblich wegen Betrugsverdachts in Untersuchungshaft.

Die beiden Werften schienen am Ende, da tauchte in letzter Minute doch noch ein Käufer auf. Auch er ist Russe. Und er beschreibt eine Zukunft, die ähnlich klingt wie zuvor bei Burlakow.

Der Hoffnungsträger der Hansestadt Wismar sitzt im Verwaltungsgebäude gleich neben der Werft, die jetzt den neuen Namen Nordic Yards trägt. Er ist 29 Jahre alt, groß, etwas füllig, er hat ein jungenhaftes Gesicht und ist mehrfacher Millionär. Im Zweifel zumindest Kreditmillionär. Woher er die 40 Millionen Euro Kaufpreis für die Werften in Wismar und in Rostock bekommen hat, will Witali Jussufow nicht sagen. Ganz sicher stammten sie nicht vom russischen Erdgaskonzern Gazprom, für den er früher als Manager gearbeitet hat, sagt er: "Es ist mein Eigenkapital. Ich halte 100 Prozent der Anteile."

Es ist kein Problem, in Russland 40 Millionen Euro zu bekommen. Kein Problem jedenfalls, wenn man aus einer einflussreichen Familie stammt. Jussufows Vater Igor war von 2001 bis 2004 russischer Energieminister. Energie - Öl und vor allem Erdgas - ist Russlands größter Schatz. Seit 2004 sitzt Jussufow senior im Aufsichtsrat von Gazprom, des weltgrößten Erdgaskonzerns. Das weckte den Verdacht, der Junior handele in Wismar und Rostock womöglich in weit höherem Interesse - doch das weist dieser strikt zurück.

Der junge Jussufow spricht fließender Deutsch als viele Deutsche. Er habe gerade "ein paar Monate Zeit zum Üben gehabt", sagt er bescheiden. Dem vorausgegangen war allerdings eine Eliteausbildung an einer Moskauer Diplomatenschule. Die Begründung dafür, warum er ausgerechnet in diesem Krisensommer zwei Werften in Deutschland gekauft hat, klingt plausibel: "Vor zwei Jahren waren alle interessanten Werften in Europa ausgelastet, die Kunden standen Schlange. Das wäre kein guter Moment für eine Übernahme gewesen. Ich fand den Zeitpunkt in diesem Sommer besser, um die Werften in Rostock und in Wismar neu auszurichten."

Die "Neuausrichtung" zielt vor allem auf den russischen Markt. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie - die Werft in Wismar war nach dem Zweiten Weltkrieg von den sowjetischen Besatzern gegründet worden. In Wismar wie auch in Rostock schweißte man jahrzehntelang vor allem Schiffe für die sowjetische Handelsflotte zusammen.

Nun steht, glaubt man Jussufow, die umfassende Modernisierung des alten sowjetischen, später russischen Schiffsbestandes ins Haus. Obendrein müssen neue Regionen erschlossen werden, um die kostbaren Energieressourcen des größten Flächenstaates der Erde zu fördern. "Ein Drittel der russischen Energiereserven liegen in den arktischen Meeresregionen. Um diese Vorräte zu erschließen und zu fördern, braucht man eisgängige Spezialschiffe und hoch entwickelte Ausrüstungen", sagt Jussufow. Am besten "Made in Wismar". In Rostock-Warnemünde wiederum will er künftig die Fertigung von Versorgungsschiffen für Offshore-Windparks auf See konzentrieren. Sichere Arbeitsplätze für 1600 Menschen auf beiden Werften könnte das bringen, schätzt der Eigentümer.

Jussufows Ausführungen leuchten ein. Dasselbe allerdings dachten die Mitarbeiter in Wismar und in Rostock auch nach den ersten Auftritten von Andrej Burlakow. Was also will der neue Eigentümer besser machen als der alte? Zumindest kommt er jede Woche für drei bis vier Tage nach Wismar und Rostock, er hat eine 30-köpfige Projektgruppe für die Vorbereitung neuer Aufträge zusammengestellt, hat für die Mitarbeiter auf den Werften einen neuen Tarifvertrag mit der IG Metall abgeschlossen. Und im Abendblatt eine Stellenanzeige für zwei Ingenieure geschaltet. Von Moskau nach Wismar ziehen will Jussufow allerdings nicht. Sein fünfjähriger Sohn komme nächstes Jahr in die Schule: "Den kann ich für einen Umzug hierher nicht begeistern, nicht mal für einen Besuch am Wochenende."

Glaubwürdig wirkt Jussufow, weil er trotz all dieser kühnen Pläne nicht dick aufträgt, anders als sein Vorgänger. "Wir müssen unsere Chancen realistisch einschätzen", sagt er. "Das Management-Team und ich planen derzeit für die kommenden drei Jahre. Wir sind in sehr intensiven Verhandlungen mit deutschen und mit russischen Reedereien. Aber wir brauchen noch einige Monate Zeit bis zum Abschluss neuer Aufträge. Ich bitte deshalb um etwas Geduld."

Geduld hat Thomas Beyer an diesem Nachmittag nicht. Der stellvertretende Bürgermeister von Wismar muss gleich zur nächsten Sitzung, der des Stadtrats. Dort wird die Runde wieder über die Wirtschaftskrise und über deren Auswirkungen auf die Stadt reden. "Zwei Drittel unserer Gewerbesteuer sind mit der Wirtschaftskrise in diesem Jahr weggebrochen, verglichen mit 2008. Fünf Millionen Euro sind noch übrig", sagt Beyer. "Nicht nur, aber auch wegen der Lage der Werft." Was kommen würde, wenn der Schiffbau in Wismar endgültig aufgeben müsste, vermag sich im Rathaus niemand vorzustellen. Dabei war es im Sommer schon fast so weit.

Der Tourismus und einige Betriebe der holzverarbeitenden Industrie sind neben der Werft die wichtigsten Wirtschaftszweige der Stadt mit ihren 45 000 Einwohnern. Die Altstadt von Wismar zählt zum Weltkulturerbe der Unesco. "Aber der Tourismus ist, mit Verlaub, keine Kompensation für die Arbeitsplätze auf der Werft", sagt Beyer.

Mehr als warten und hoffen kann die Stadtregierung aus CDU und SPD nicht, insofern hat sich mit dem neuen Eigentümer der Werft nicht viel geändert. Immerhin: Jussufow habe bei Bürgermeisterin Rosemarie Wilcken und bei ihm "einen ganz anderen Eindruck hinterlassen als Herr Burlakow", sagt Beyer. "Jussufow scheint in Russland sehr gut vernetzt zu sein." Woher der Investor das Geld für die beiden Werften hat, weiß der stellvertretende Bürgermeister nach eigenem Bekunden jedoch nicht.

Für ihn sei das in der aktuellen Lage auch zweitrangig, sagt Beyer. "Wir wollen Aufträge sehen, die Zeit wird knapp." Jussufow verhandele über Projekte, "die schon seit einem Jahr in der Pipeline sind. Aber nur Aufträge zählen jetzt". Nur so könnten die Arbeitsplätze gesichert, könnten möglichst viele Mitarbeiter aus den Transfergesellschaften zurückgeholt werden, sagt Beyer und ist schon auf dem Sprung zur Ratssitzung: "Jetzt muss endlich Butter bei die Fische."