Der Sanierer Rüdiger Fuchs baut die Fertigung komplett um - und trifft dabei auf eine verunsicherte Belegschaft.

Hamburg. Am Nachmittag dieses Tages wird die Vergangenheit der Werft die Leinen losmachen, aus der Estemündung auslaufen und nicht mehr zurückkehren. Einige Stunden noch liegt die "Elysee" am Ausrütungskai bei Sietas in Neuenfelde. Das Containerschiff für die niederländische Reederei JR Shipping ist fast fertig, aber der Anstrich des Rumpfes fehlt noch. Den bekommt das Schiff vom Typ 178 im Trockendock bei Blohm + Voss. Dort soll es im November auch abgeliefert werden, das letzte Containerschiff von Sietas, nach 43 Jahren.

"Das ist so, als liefe bei Volkswagen der letzte Käfer vom Band", sagt Sietas-Chef Rüdiger Fuchs in einem der Konferenzräume des Verwaltungshauses. Immerhin hat Sietas 1966 das erste "echte" Containerschiff der Welt gebaut. Damals legte man in Neuenfelde das Küstenmotorschiff "Bell Vanguard" auf Kiel - das erste Schiff überhaupt, das nach den neuen internationalen Standardmaßen für Container konzipiert wurde. Draußen auf dem Flur steht ein Modell der "Bell Vanguard" neben anderen in einer Vitrine. Werftgeschichte.

Rüdiger Fuchs wirkt angespannt an diesem Vormittag. Nicht wegen der "Elysee", die in wenigen Stunden die Werft verlassen wird. Der Bau von Containerschiffen ist für den 43-jährigen Manager längst kein Thema mehr. Für diese Standardschiffe wird er im Wettbewerb mit den viel billigeren asiatischen Werften nach dieser Krise keine Aufträge mehr bekommen: "Diese Zeit ist für uns vorbei", sagt er.

Ihn beschäftigt die Zukunft, der Bau von Spezialschiffen, das Ringen um ein zeitgemäßes Management auf Deutschlands ältester Werft. Der gebürtige Stuttgarter muss seine Leute hier im Norden mitnehmen, muss ihnen klarmachen, dass Traditionen nicht nur stolz machen, sondern auch tödlich sein können. Ein mühsamer Weg, wie er gerade in einer Versammlung mit leitenden Mitarbeitern wieder feststellen musste: "Diese Werft wurde immer geführt wie ein Meisterbetrieb. Wir müssen daraus ein Industrieunternehmen machen, in dem die Ingenieure mehr als bisher eine Schlüsselrolle spielen."

Fuchs, ein begeisterter Segler, will das Traditionsunternehmen auf neuen Kurs bringen. Das kostet Kraft und lässt dem zweifachen Vater kaum mehr Zeit für die Familie. Aber für diese Aufgabe ging er bei Sietas an Bord, dafür ist er Spezialist. Schon bald nach seinem Studium der Luft- und Raumfahrttechnik trug Fuchs Verantwortung in der Rüstungs- und Bahntechnikindustrie. Später meisterte er für Airbus eine schwere Krise beim Baubeginn des neuen Riesenfliegers A380. Nun sitzt der frühere Hightech-Manager in einem holzgetäfelten Büro bei einem der ältesten Unternehmen in einem der ältesten Gewerbe der Welt und glaubt fest an eine gute Zukunft.

Im März hat Fuchs mit dem Finanzmanager Rüdiger Wolf die Führung von Sietas übernommen, als erster familienfremder Chef der Werft, die 374 Jahre alt ist. Damals stand das Unternehmen am Abgrund, etliche Aufträge waren geplatzt oder mussten storniert werden, weil sie finanziell keinen Sinn mehr machten. Als Krisenmanager hatte Fuchs einst bei Airbus auf der Flugzeugwerft in Finkenwerder gleich nebenan gearbeitet. Bei Sietas stieg er nicht nur vom Flugzeug aufs Schiff um, sondern auch von Gegenwart auf Vergangenheit. Unter dem bis dato letzten Familienchef Hinrich Sietas war sich das Unternehmen selbst genug, eingebunden in ein Netzwerk von Schifffahrtsunternehmen im Alten Land. Die sahen einen Sietas-Frachter stets als Mercedes unter den Schiffen, deshalb wurde bei Sietas bestellt, der Preis war nicht so wichtig. Bis zur Krise.

Die globale Rezession schwemmte die Aufträge des deutschen Schiffbaus reihenweise hinweg - und in Neuenfelde die alte Gewissheit, dass es mit Qualität und Knorrigkeit immer so weitergehen könne. In kürzester Zeit führte Fuchs neue Abläufe ein und strich Stellen auf der Werft. Gut 100 der früher 1000 Mitarbeiter müssen gehen, viele andere werden zu den Sietas-Tochterfimen Norderwerft und Neuenfelder Maschinenbaufabrik versetzt. Nun hört der neue Chef das Echo: "In den ersten Monaten erschien das alles noch abstrakt, obwohl wir mit der neuen Bauweise sofort begonnen haben", sagt er. "Jetzt erst kommen die Veränderungen richtig bei den Menschen an, nicht zuletzt die Entscheidung, wer seine Stelle verliert. Hier herrscht zurzeit nicht eben Aufbruchstimmung."

Fuchs durchquert das Werftgelände. Eine Sirene ruft um zwölf Uhr zur halbstündigen Mittagspause. Auf den ersten Blick geht hier alles weiter seinen ruhigen Gang. Hektik steht einer Werft auch in schweren Zeiten nicht zu Gesicht. Doch die Aufreihung der Schiffssegmente auf dem Hauptplatz lässt Modernität erkennen. Die einzelnen Teile sind, anders als früher, innen bereits komplett ausgestattet. Das senkt die Bauzeit für die Schiffe um ein Drittel bis ein Viertel: "Die Arbeiter waren am Anfang skeptisch, weil sie den Innenausbau der Schiffe früher erst nach dem Rohbau im Dock gemacht haben", sagt der Abteilungsleiter Andre Wiegers. "Aber der Vorteil wurde schnell klar. Einzelne Segmente sind für den Innenausbau viel besser zugänglich als ein kompletter Rumpf. Und besser belüftet."

Mit dem Verstand haben die Mitarbeiter die neuen Zeiten erfasst, mit dem Herzen noch nicht unbedingt, wie Fuchs bei den Betriebsversammlungen spürt. "Die Menschen haben Angst, sie sind verunsichert", sagt er. Das liegt nicht nur am Neustart bei Sietas, sondern auch am Niedergang der Branche drumherum. Eine Reihe von Werften musste Insolvenz anmelden, Tausende Arbeitsplätze gingen verloren. Und nun bricht auch noch das größte deutsche Schiffbauunternehmen auseinander, TKMS mit seinen drei Werften in Emden, Kiel und Hamburg, ein Tochterunternehmen von ThyssenKrupp. Auf den Nordseewerken in Emden sollen die Arbeiter künftig Komponenten für die Windkraftindustrie zusammenschweißen, anstatt Schiffe zu bauen. Die Werft HDW Gaarden in Kiel ist am Ende. Und Blohm + Voss in Hamburg, das Aushängeschild des deutschen Schiffbaus schlechthin, wird an arabische Investoren verkauft.

Auch Fuchs, den abgeklärten Sanierer, lässt das nicht kalt: "Mir war schon zu Beginn der Krise klar, dass es für den deutschen Schiffbau sehr hart werden wird. Aber dass nun TKMS den Bau von Handelsschiffen aufgibt, dass der 'nationale Champion' in Deutschland in die Knie geht, das macht einen schon fassungslos." Für Fuchs allerdings erwächst daraus ein zusätzlicher Ansporn. Wenn Blohm + Voss verkauft wird, ist Sietas die letzte Hamburger Werft, die noch in deutscher, gar in Hamburger Hand ist: der letzte Bannerträger einer großen Tradition im Schiffbau.

Sieben Aufträge für Schiffe hat Sietas derzeit. Und einen fest entschlossenen Chef. "Wir machen das hier nicht, um den Niedergang ein oder eineinhalb Jahre hinauszuzögern", sagt Fuchs auf dem Dach des riesigen Werftkrans, der als Wahrzeichen von Neuenfelde weithin über die Elbe ragt. "Wir wollen da durch. Wir haben den festen Willen dazu."