Der Höhenflug des Hamburger Hafens ist vorbei. Ob und wann das Geschäft wieder boomt, ist ungewiss. Ein Dossier zur Ebbe an der Elbe.

Hamburg. Die Luft drückt im fünften Boden des alten Speicherhauses, unter den renovierten Dachbalken in der Zentrale der Hamburg Port Authority. Der Sommertag ist schwül und die Wirtschaftsprognosen so diesig wie der Horizont vor dem Gewitter. Es ist nicht der beste Tag, um eine flotte Hafenoffensive zu starten. Aber irgendwann muss das Projekt ja begonnen werden.

"Container Terminal Steinwerder" hieß dieses Vorhaben früher im internen Sprachgebrauch der Hamburger Behörden. Neuerdings aber steht das "C" für "Central", und welche Art von Ladung auf dem Terminal mitten im Hafen irgendwann einmal umgeschlagen wird - Container, Schwergut oder Massengüter -, muss der Wirtschaftssenator an diesem Vormittag offenlassen: "Wir ziehen da keine Denkbremse ein", sagt Axel Gedaschko. Mögliche Investoren können in den kommenden Monaten unverbindliche Ideen einreichen. Damit sich die Teilnehmer Mühe geben, sollen die drei besten Konzepte mit 100 000 Euro Preisgeld belohnt werden. "Markterkundungsverfahren" nennt Axel Gedaschko (CDU) das. Dabei hätte nach der ursprünglichen Planung längst die Ausschreibung für den Betrieb des Terminals laufen sollen.

Als zur Mitte des Jahrzehnts die ersten Ideen für die Anlage skizziert wurden, stand außer Frage, dass dort Container verladen werden, dass Hamburg in den kommenden Jahren jeden verfügbaren Quadratmeter benötigen würde, um den boomenden Umschlag der Stahlkisten überhaupt noch bewältigen zu können. Zwei Drittel aller Güter im Hamburger Hafen kommen und gehen in Containern.

Vor allem der Containerumschlag hat dafür gesorgt, dass Hamburg bis heute in der Weltliga der Seehäfen mitspielt. Folgerichtig spürt die Stadt die volle Wucht der globalen Rezession nun vor allem beim Niedergang des Containerverkehrs. Im vergangenen Jahr ging die Zahl der Bewegungen um 1,5 Prozent auf 9,7 Millionen Containereinheiten (TEU) zurück. In diesem Jahr dürften es gegenüber dem Vorjahr 25 Prozent weniger werden, wenn sich der Trend des ersten Quartals fortsetzt. Und darauf deutet alles hin: Nach Informationen des Abendblatts sehen die Zahlen für das erste Halbjahr noch einmal schlechter aus als die für die ersten drei Monate. Ende der kommenden Woche sollen sie präsentiert werden.

Containerboom 2008 abrupt gestoppt

Die aktuelle Krise wirft den Hafen weiter zurück als alle anderen während der vergangenen drei Jahrzehnte - schlimmer als die Rezession in den 80er-Jahren, stärker noch als selbst die Asienkrise Mitte der 90er-Jahre. Ungeachtet aller wirtschaftlichen Schwankungen ist der Containerverkehr in Hamburg stets weiter gewachsen. Der stärkste Antrieb dafür war die fortschreitende internationale Arbeitsteilung. Industrielle Produktionen werden im Zuge der Globalisierung zunehmend weltweit an den jeweils günstigsten Standorten organisiert, immer mehr Vorprodukte müssen zwischen Ländern und Kontinenten befördert werden. So näherte sich die Zahl der Containerbewegungen in Hamburg scheinbar unaufhaltsam der Zehn-Millionen-Marke. Bis zum vergangenen Jahr.

Bis dahin feierte man in der städtischen Hafenwirtschaft noch die Vorstellung, dass der Umschlag bis zum Jahr 2015 auf bis zu 18 Millionen ansteigen würde. Niemand stellte das infrage. Denn einen Absturz wie den, der 2008 kam, hatte man in der Hafenwirtschaft seit der Einführung der Stahlkisten Anfang der 70er-Jahre nicht erlebt.

Insgesamt stagnierte der Umsatz im Hamburger Hafen im vergangenen Jahr bei rund 140 Millionen Tonnen. Beim Containerumschlag verliert die Stadt aber deutlich stärker als bei der Bewegung von Massengütern wie Getreide, Kohle, Erz oder Öl - der Verlust bei den Kisten betrug im ersten Quartal rund 25 Prozent im Vergleich zu minus zehn Prozent beim Massengut. Obendrein ist der Containerverkehr arbeitsintensiver als der Umschlag von Massengut. Trotz hoher Automatisierung sind in den vergangenen Jahren bei den beiden führenden Terminalbetreibern HHLA und Eurogate Hunderte neue Arbeitsplätze entstanden. Wie viele Arbeitsplätze durch die Krise nun verloren gehen, steht noch nicht fest. Bislang können die Unternehmen die Flaute mit Kurzarbeit oder Arbeiten an den Terminals überbrücken. Insgesamt hängen in der "Metropolregion" Hamburg direkt und indirekt 163 000 Stellen vom Hafen ab.

Rotterdam wirbt Reeder aus Hamburg ab

Die Wirtschaftskrise erwischte die Terminalbetreiber mitten in der Expansion. Die HHLA, die zwei Drittel des Containerumschlags in Hamburg kontrolliert, hatte im vergangenen Jahr mit dem Ausbau des größten städtischen Terminals begonnen, des Burchardkais. Bei vollem Betrieb sollte dort ursprünglich die Kapazität von rund drei auf mehr als fünf Millionen TEU jährlich erweitert werden. Der Ausbau wurde verlangsamt, aber nicht gestoppt. "Zurzeit fahren wir eher auf Sicht", sagt Terminalgeschäftsführer Christian Blauert.

Zwei parallele Entwicklungen setzen den Hafenunternehmen zu und kosten Hamburg in diesem Jahr voraussichtlich eine Million TEU Umschlag bei den Zubringerverkehren in die Ostsee: Die osteuropäischen Staaten und Russland, die per Zubringerschiff vor allem von Hamburg aus mit Containern versorgt werden, leiden unter der Weltwirtschaftskrise besonders stark. Entsprechend brachen zuletzt die Handelsströme über die Ostsee ein.

Doch zugleich nutzten Hamburgs Konkurrenten an der Nordsee - allen voran Europas größter Hafen Rotterdam - die Gunst der Stunde, um Marktanteile zu erobern und Verkehre von der Elbe abzuwerben. Rotterdam kommt den Reedereien dafür mit der Senkung von Hafenpreisen entgegen und profitiert zudem von den hohen Preisen für die Durchfahrt durch den Nord-Ostsee-Kanal. Die Folge: Die Zubringerfrachter folgen den Großreedern in die Niederlande und fahren - die derzeit noch moderaten Treibstoffpreise helfen dabei - um Skagen herum in die Ostsee. Hamburg wiederum erhöhte seine Preise immer wieder - zuletzt stiegen die Hafengebühren zum 1. März um vier Prozent, weil die Koalition von CDU und Grünen nach der Wahl 2008 beschlossen hatte, Mittel für die Stiftung Lebensraum Elbe bereitzustellen. Mit ihnen soll die ökologische Situation des Flusses verbessert werden. "Der Kanal ist aber der Schlüssel für den Verkehr nach Hamburg", klagt unterdessen die größte von Hamburg aus agierende Zubringerreederei Unifeeder über die Abwanderung gen Rotterdam.

In den anderen Häfen an der sogenannten Nordrange betreiben die großen Linienreedereien zudem selbst Terminals, oder sie sind daran beteiligt. Deshalb werden sie nun bevorzugt angefahren. Dagegen gibt es in Hamburg an Reedereien vergebene Terminals nicht, mit Ausnahme eines Minderheitsanteils von Hapag-Lloyd am HHLA-Terminal Altenwerder, der jetzt von drei Mitgliedern des Eignerkonsortiums übernommen wurde.

In den Boomjahren war die Konkurrenz zwischen den Häfen nach außen hin kaum zu sehen - jeder Terminalbetreiber war froh, wenn er mit der steigenden Zahl von Stahlboxen überhaupt fertig wurde. Preissenkungen als Wettbewerbsinstrument gab es angesichts satter Auslastungen praktisch nicht.

Ohnehin gelten die Terminals an der Elbe als die teuersten an der Nordsee. Die Doppelbewegung eines Containers vom Seeschiff herunter und auf ein Zubringerschiff hinauf kostet in Hamburg rund 200 Euro, 60 Euro mehr als in Rotterdam. "Dies summiert sich für Großreeder, die das Umladen auf die Feederfrachter bezahlen, auf mehrere Millionen Euro pro Jahr. Das sind Dimensionen, die in der Wirtschaftskrise richtig wehtun und die Hamburg Verkehre kosten", sagt ein Reedereimanager. Auch die Elblotsen greifen trotz Rezession ihren Kunden tiefer ins Portemonnaie: Um 9,3 Prozent erhöhten sie zum 1. Februar die Preise.

Reeder machen einen Bogen um Hamburg

"Was in Hamburg bei den Elblotsen geschieht, passt nicht zur jetzigen Mengenentwicklung. Man ist nicht flexibel auf die konjunkturelle Situation eingegangen", sagt Norman Zurke, Geschäftsführer des Unternehmensverbandes Hafen Hamburg. Auch Frank Horch, Präses der Handelskammer, verfolgt die Preisentwicklung vor Ort kritisch: "Die höheren Umschlagkosten sorgen für Veränderungen. Die Reeder machen einen Bogen um Hamburg." Grundlegende Fehler wurden schon in der Vergangenheit gemacht, als Hamburg keine Terminals an ausländischen Reedereien vergab. Ende der 90er-Jahre stritten die Stadt und die mittlerweile weltgrößte Linienreederei Maersk darüber, ob sich das dänische Unternehmen am damals geplanten neuen Terminal Altenwerder der HHLA beteiligen dürfe. Das wurde den Dänen verwehrt, Maersk schickte seine Überseeschiffe fortan nach Bremerhaven anstatt an die Elbe. Mittlerweile - nach der Übernahme von P&O-Nedlloyd - liegen zwar auch in Hamburg wieder große Maersk-Schiffe. Aber an einem Terminal ist die Reederei hier nach wie vor nicht beteiligt, anders als in Bremerhaven, in Rotterdam und in vielen anderen Häfen.

In Bremerhaven ist die Maersk-Schwesterfirma APM Terminals Partner von Eurogate. Beide Unternehmen wollen auch den Containerumschlag am künftigen Tiefwasserhafen Wilhelmshaven betreiben. Von dort aus sollen, so die bisherigen Pläne, direkte Zubringerverkehre ins russische Ust Luga fahren - teilweise auch an Hamburg vorbei. Eurogate ist an dem künftigen Terminal in der Stadt, gut 100 Kilometer westlich von St. Petersburg, mit 20 Prozent beteiligt. Der Partner, die russische Hafengesellschaft NCC, hat sich im Gegenzug nun eine Option auf einen Minderheitsanteil am geplanten Containerterminal in Wilhelmshaven gesichert.

In der Mitte dieses Jahrzehnts hatte der damals allein von der CDU geführte Senat die protektionistische Hafenpolitik der Stadt geändert. Rund 49 Prozent des städtischen Hafenkonzerns HHLA sollten privatisiert werden. Nachdem Verhandlungen über eine Beteiligung der Deutschen Bahn gescheitert waren, warb die Stadt international um Investoren. Zum Kreis der Interessenten zählten weltweit führende Terminalbetreiber wie Dubai Ports, aber auch Reedereien und Finanzinvestoren.

Die Mitarbeiter der HHLA allerdings setzten die Stadt unter Druck, unter anderem mit einem Warnstreik. Sie fürchteten, dass eine Beteiligung eines strategischen Investors mit hoher Gewinnerwartung den Rationalisierungsdruck im Unternehmen erhöhen und ihre Arbeitsplätze gefährden würde. Der Betriebsrat der HHLA und die Gewerkschaft Ver.di drohten mit massiven Protesten im Wahlkampf zur Bürgerschaftswahl Anfang 2008. Der Senat knickte ein - anstelle eines Teilverkaufs wurden 30 Prozent der HHLA-Anteile an der Börse platziert, der Einstieg eines Großinvestors verhindert.

Das soll der Stadt nach dem Willen des Senats nicht noch einmal passieren. Bei der Planung und dem Bau des Terminals im mittleren Hafen wollen Regierung und Port Authority von Beginn an einen möglichst großen Kreis von Interessenten ansprechen. Hafen- und Schifffahrtsunternehmen kämen dabei ebenso infrage wie Investoren aus der Finanzwirtschaft, der Baubranche oder der Industrie, sagte Hafenchef Jens Meier zum Auftakt der Werbekampagne in dieser Woche. Auch im Hinblick auf eine mögliche exklusive Nutzung des Terminals durch eine Reederei, eines sogenannten dedicated terminals, gebe es "kein Tabu". Die Stadt muss den Ausbau des Hafens betreiben, obwohl niemand zuverlässig sagen kann, ob das rasante Wachstum der vergangenen Jahre weitergehen wird.

Die Konkurrenz wartet nicht. Wilhelmshaven wird Hamburg zusätzlichen Wettbewerbsdruck machen, erst recht aber Rotterdam. Dort lief im vergangenen Jahr eines der ehrgeizigsten Hafenausbauprojekte der Welt an. Mit dem Areal "Maasvlakte 2" direkt an der Mündung der Maas in die Nordsee erweitert Rotterdam seinen Hafen, der heute bereits 105 Quadratkilometer umfasst, um 20 Quadratkilometer. Das ist mehr als ein Viertel des Hamburger Hafengebiets. An der neuen "Maasflanke" sollen vor allem Containerterminals gebaut werden - neue Konkurrenz für Hamburg von 2013 an.

Neues Terminal frühestens 2020 in Betrieb

Die städtischen Planer an der Elbe stecken nun in einem Dilemma. Verzögern sie den Bau des neuen Terminals zu lange, fehlen bei starkem Wachstum die nötigen Umschlagflächen. Beginnt der Bau zu früh, endet er womöglich als Logistikbrache. Das ursprüngliche Ziel, das Terminal um die Mitte des kommenden Jahrzehnts hin in Betrieb zu nehmen, ist längst revidiert. Um 2020 herum dürfte die Anlage wohl frühestens in Betrieb gehen. "Wir werden wieder an die Umschlagzahlen von früher anknüpfen", verbreitet Wirtschaftssenator Gedaschko Optimismus. Eine Punktlandung wie in Altenwerder dürfte der Stadt aber kaum ein zweites Mal gelingen. Fast 20 Jahre lang war das Terminal geplant, debattiert, von der grün-alternativen GAL später politisch erbittert bekämpft worden. Schrittweise hatte die Stadt das ehemalige Fischerdorf enteignet, abgerissen und für den Bau der Containeranlage vorbereitet. 1998 verließen die letzten Einheimischen ihre Häuser. 2002 ging das modernste Terminal der Welt in Betrieb. Gerade da begann der größte Boom im Containerumschlag, den die Wirtschaft bis dahin je erlebt hatte.