Wie ein früherer Airbus-Manager die Hamburger Traditionswerft Sietas durch harte Einschnitte und rationellere Produktion für Zukunft aufrüstet. Eine Reportage.

Hamburg. Da liegt es am Ausrüstungspier, das Containerschiff mit dem schönen Namen "Elysee". Es ist vielleicht der letzte Containerfrachter, der bei Sietas gebaut wird. Der Typ "168" und die längere Variante "178" hier an den Festmachern waren Bestseller der Neuenfelder Werft, "Open-Top"-Zubringerschiffe, weitgehend ohne Ladeluken und deshalb in den Häfen schneller auf- und abzuladen als andere Frachter. Ein innovatives Modell, und von hoher Qualität, wie sie die Reedereien seit je bei Sietas schätzen. Aber selbst "168" und "178" hätten Deutschlands älteste Werft nicht vor dem Niedergang bewahrt. Anfang 2009 stand das Unternehmen vor dem Aus. Nach 374 Jahren.

Im Konferenzraum des Firmengebäudes auf der Werft herrscht großer Andrang. Wirtschaftssenator Axel Gedaschko besucht das Unternehmen, um sich ein Bild von einer wundersamen Wiederauferstehung zu machen. Große Teile der deutschen Schiffbauindustrie ringen derzeit um ihre Existenz. Die Mitarbeiter der insolventen Wadan-Werften in Wismar und in Rostock, die bereits in Transfergesellschaften ausgegliedert wurden, hoffen auf Rettung in letzter Minute: die Übernahme durch den russischen Investor Igor Jussufow (siehe rechts). Auch andere Werften wie SSW, Lindenau oder Cassens sind insolvent. Dem zivilen Schiffbau von Blohm + Voss in Hamburg droht der Verkauf an einen ausländischen Investor.

Ausgerechnet Sietas, jener deutschen Werft, die am stärksten in ihren Traditionen verstrickt war, scheint ein Durchbruch gelungen - der Übergang von einer veralteten in eine moderne, konkurrenzfähige Art, Schiffe zu bauen.

"Sie haben nie aufgesteckt, Sie haben gekämpft wie die Löwen. Das ist die absolute Ausnahme", sagt Gedaschko zu Werftchef Rüdiger Fuchs und dessen kaufmännischem Geschäftsführer Rüdiger Wolf. Gekämpft haben die beiden Manager, die erst seit Februar an der Spitze der Werft stehen, um staatliche Bürgschaften der Stadt Hamburg und des Bundes von 75 Millionen Euro, gekämpft haben sie für Bankkredite und für den Verzicht ihrer Arbeitnehmer auf erhebliche Lohn- und Gehaltssummen. Gekämpft haben sie aber vor allem dafür, dass die Werft in der Neuzeit des Schiffbaus ankommt. Das hat das Unternehmen geschafft, ganz kurz vor dem Untergang.

Draußen auf dem Werftgelände sieht man das Ergebnis. Es ist vor allem das Werk von Fuchs, der zuvor beim Flugzeugkonzern Airbus gearbeitet hatte. In einer der heikelsten Missionen bei Airbus während der vergangenen Jahre hatte er dazu beigetragen, die schweren Pannen bei der Verkabelung des neuen Prestigeflugzeugs A380 zu beseitigen. Dann kam er zu Sietas und überzeugte die Belegschaft davon, wie man heutzutage Schiffe baut - im Prinzip genauso wie Flugzeuge.

In der großen Montagehalle werden Stahlplatten geschnitten und geschweißt, wird gebogen, gehämmert, gebohrt und gestrichen. In der Halle entstehen Rumpfsegmente, die bereits in diesem Stadium so weit wie möglich mit allen nötigen Leitungen, Armaturen, Verkabelungen ausgerüstet werden. Dann werden sie ins Baudock gehievt und miteinander verbunden. Später, am Ausrüstungspier, erhält das Schiff die Endausfertigung.

Früher baute man bei Sietas zunächst den Rumpf im Dock und stattete ihn dann von innen aus. Die "Modulbauweise", die bei fast allen anderen Werften längst Standard ist, kann die Bauzeit von zehn bis elf auf sechs bis sieben Monate verkürzen - diese Zeit markiert für die Werft angesichts der schweren Schifffahrtskrise den Unterschied zwischen Leben und Tod. "Wir hätten vielleicht früher umstellen sollen", sagt Produktionsleiter John Ölkers, der seit zehn Jahren bei Sietas arbeitet. "Aber nun können wir ein riesiges Potenzial heben."

Auch das kaufmännische Geschäft bei Sietas haben Fuchs und Wolf umgekrempelt. Früher begnügte sich die Werft mit vier bis fünf Prozent Anzahlung für ein Schiff. Das Unternehmen hatte damit praktisch keinerlei Sicherheit, wenn eine Reederei einen Vertrag platzen ließ - und das taten im zurückliegenden Jahr, angesichts der Weltwirtschaftskrise, einige. Nun macht es Sietas so, wie es auf den großen asiatischen Werften längst üblich ist: "Fünf Teilzahlungen zu je 20 Prozent, verteilt von Vertragsabschluss bis Ablieferung", sagt Finanzmann Wolf. Und sein Chef Fuchs ergänzt: "Wir haben hier in den vergangenen Monaten Kehraus gemacht." 14 Aufträge für Schiffe hat Sietas in diesem Jahr verloren. "Zwei davon haben wir selbst abgesagt, weil wir die Finanzierung nicht darstellen konnten." Sieben Aufträge hat die Werft derzeit in den Orderbüchern. Das ist nicht die Welt, aber eine Basis, um weiterzumachen.

Rund 1300 Menschen beschäftigt Sietas, davon etwa 1000 auf der Werft. 242 Stellen sollen gestrichen werden. Aber mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen in zwei Tochterunternehmen könnte der Stellenverlust unter dem Strich bei 150 gestoppt werden. "Wenn die Konjunktur wieder anzieht, werden es vielleicht noch weniger", sagt Fuchs. Das erscheint akzeptabel für ein Unternehmen, dessen Zeit vor acht Monaten abgelaufen schien.

Zum ersten Mal in der Firmengeschichte musste damals ein Sietas - Hinrich Sietas - die Geschicke der Werft in die Hände von Managern legen. Schmerzhaft für die Familie. Und ein Glücksfall für das Unternehmen.

Die aktuellen Schiffspositionen auf der Elbe sehen Sie auf unserer interaktiven Karte.