Der deutsche Schiffbau hatte sich nach schweren Jahren zuletzt wieder erholt. In der Wirtschaftskrise aber geht es mit den Werften steil abwärts.

Hamburg. Welch feine Aussichten genießt man von hier oben. Rechterhand liegt ein Kreuzfahrtschiff zur Überholung im Schwimmdock, auf der linken Seite der Werft wird ein dänisches Versorgungsschiff für die Offshore-Öl- und Gasindustrie umgebaut. In der Halle dahinter werkeln die Arbeiter von Blohm + Voss für den russischen Milliardär Roman Abramowitsch an der größten Yacht der Welt - streng geheim. Hier oben, auf dem Dach des Verwaltungsgebäudes, blickt Werftchef Herbert Aly über die Anlage auf den Hafen.

Die Wirtschaftskrise bereitet ihm Sorgen für den Schiffbau in Deutschland. Doch um Blohm + Voss ist dem Maschinenbauingenieur und Kapitänleutnant der Reserve nicht bang: "Wir sind hier gut und krisenfest aufgestellt, unser Geschäftsmodell steht auch in dieser Zeit nicht in Frage. Es ist auf Wachstum ausgerichtet."

Das ist zwei Monate her. Irgendwann danach muss sich der Blick auf die Werft bei ThyssenKrupp, dem Mutterkonzern von Blohm + Voss, deutlich verändert haben. Oder aber Herbert Aly hat auf dem Dach Seemannsgarn erzählt. Blohm + Voss, die große Traditionswerft der Hansestadt, steht nach Informationen des Abendblatts zum Verkauf, und damit auch insgesamt 1700 hoch qualifizierte Arbeitsplätze. Für den Schifffahrtsstandort Hamburg, der bereits um die Existenz seiner führenden Reederei Hapag-Lloyd bangt, wäre ein Verkauf ins Ausland und eine mögliche Zerschlagung der Werft ein wirtschaftliches Erdbeben. Und der deutsche Schiffbau müsste ein weiteres Kapitel in der Geschichte des Niedergangs schreiben.

Im zurückliegenden Jahr hat die Branche einen Absturz erlebt, der in seiner Brutalität und Geschwindigkeit selbst das "Werftensterben" in den 70er- und 80er-Jahren übertrifft. Die älteste deutsche Werft, Sietas in Neuenfelde, entkam zum Jahresbeginn nur knapp dem Untergang. Ostdeutschlands größter Schiffbauer Wadan mit Standorten in Wismar und Rostock ist insolvent, ebenso die Lindenau-Werft in Kiel, SSW in Bremerhaven und Cassens in Emden. ThyssenKrupp Marine Systems, die Dachgesellschaft von Blohm + Voss, strich bei den Schwesterwerften in Emden und in Kiel 450 Stellen, nachdem im Frühjahr Aufträge für vier Containerschiffe weggebrochen waren. "Werften fallen in Europa um wie die Fliegen", sagt Per Hendrik Heerma, der Insolvenzverwalter von SSW.

Den deutschen Schiffbau allerdings trifft es noch härter als die Konkurrenz in den Nachbarländern - und erst recht als in Asien. "Deutschland hat im zurückliegenden Jahr prozentual mehr Aufträge verloren als alle anderen Schiffbaunationen weltweit", sagt Werner Lundt, Hauptgeschäftsführer des Verbands für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) in Hamburg. Im vergangenen Jahr erhielten die deutschen Werften neue Aufträge für 46 Schiffe im Gesamtwert von 2,9 Milliarden Euro. Im ersten Halbjahr 2009 wurden in Deutschland nach den jüngsten Zahlen des VSM gerade noch fünf Schiffe bestellt. Gesamtwert: 113 Millionen Euro. Der Wert des Auftragsbestands ist von 15 Milliarden Euro im Jahr 2007 auf mittlerweile rund elf Milliarden Euro gesunken. "An die vergangenen Jahre kann die Branche in Deutschland so bald nicht mehr anknüpfen, wenn überhaupt", sagt Lundt.

Offen bleibt zunächst jedoch, warum ThyssenKrupp in dieser Lage ausgerechnet Blohm + Voss loswerden will. Die Hamburger Werft baut bis auf wenige Ausnahmen seit vielen Jahren keine Handelsschiffe mehr. Das Unternehmen im Hafen hat sich auf Reparaturen und aufwendige Umbauten von Schiffen spezialisiert. Die "Queen Mary 2", das berühmteste Passagierschiff der Welt, wird regelmäßig in Hamburg gewartet. Niemand macht das schneller und besser als Blohm + Voss. Die Werft ist Weltmarktführer beim Bau von Super-Luxusyachten und der wichtigste Hersteller von Fregatten und Korvetten für die Bundesmarine. Ein weiteres Standbein ist die Maschinenbau-Sparte.

All das ist relativ krisenfest, verglichen mit dem Bau von Standardschiffen, etwa Containerfrachtern. Der Boom der Containerschifffahrt füllte vielen deutschen Werften in den vergangenen Jahren die Auftragsbücher. Asiatische Werften, vor allem in Südkorea, hatten Europa beim Bau von Serienschiffen zwar schon lange abgehängt. Aber im stärksten Aufschwung der Schifffahrt seit Jahrzehnten waren sie derart ausgebucht, dass die Reeder trotz höherer Preise gern bei deutschen Schiffbauern bestellten.

Ebenso schnell allerdings waren sie mit Beginn der Krise auch wieder weg. Bereits fertige Schiffe wurden schlichtweg nicht abgenommen. So blieb etwa die Wadan-Werft in Wismar auf dem Containerfrachter "Cynthia" sitzen, den die Hamburger Reederei Gebr. Winter bestellt und nicht übernommen hatte.

Ein Grund für diese rauen Sitten ist das Geschäftsmodell der deutschen Werften, das ihnen deutlich weniger Selbstschutz bietet als der Konkurrenz in Asien. In Südkorea zahlen die Reedereien bis zu 40 Prozent des Schiffspreises an. Die verliert der Auftraggeber, wenn er das Schiff storniert. In Deutschland ködern die Werften ihre Kunden gern mit einer niedrigen Anzahlung von nur rund zehn Prozent. Die wiederum können die Reeder im Konfliktfall leichter abschreiben. Die Werften, die den Bau vorfinanzieren müssen, bleiben dann auf den Kosten des Schiffs sitzen. Bis ein Rechtsstreit darüber entschieden ist, kann das Unternehmen längst pleite sein. "In Südkorea kann sich eine Reederei so etwas nicht erlauben", sagt ein ranghoher Hamburger Reederei-Manager. Stornierungen von Schiffen bei den riesigen Werften der weltweit führenden Schiffbaunation wurden bislang nicht bekannt.

Blohm + Voss blieb von derlei Unbill in den vergangenen Monaten verschont. Doch im Essener ThyssenKrupp-Konzern, der grundlegend neu strukturiert und gestrafft wird, ist für die Hamburger Schiffbauer nun offenbar kein Platz mehr. Ein wesentliches Problem sind dabei anscheinend fehlende Aufträge für Neubauten. Erst im Jahr 2015 sollen an der Elbe nach bisheriger Planung wieder Korvetten für die Bundesmarine gebaut werden. Und der Yachtbau ist nicht profitabel genug.

ThyssenKrupp schweigt dazu. In dem Unternehmen, das auch U-Boote baut, geht man einstweilen auf Tauchstation. Nur eine dürre Stellungnahme verbreitete die Pressestelle gestern: "Der weltweite Markt für Schiffbauaktivitäten ist von erheblicher Überkapazität geprägt und befindet sich in einer Phase der Konsolidierung", heißt es darin. Vor diesem Hintergrund würden Gespräche geführt. Der Gesprächspartner könnte nach Informationen aus der Branche Scheich Hamdan bin Zajed al-Nahjan sein - der hat erst vor wenigen Monaten die angeschlagene Nobiskrug-Werft in Rendsburg übernommen, die Luxusyachten baut.

Blohm + Voss repräsentiert das letzte große Stück Schiffbaugeschichte im Hamburger Hafen. Die Niethämmer der Werft gaben jahrzehntelang den Pulsschlag der Stadt vor. Die Wand des Schwimmdocks 11 ist die prominenteste Werbefläche an der Elbe - mal liebevoll von Künstlern mit Stadtgeschichte bemalt, mal in eigener Sache dekoriert: "Wir reparieren alles, was schwimmt", lautet der Werbeslogan. Wie lange noch?

Wirtschaftssenator Axel Gedaschko reagiert erstaunlich gelassen auf die Nachricht von einem möglichen Verkauf. Dabei hat er schon zwei Dauer-Problemfälle, Hapag-Lloyd und die HSH Nordbank. Er sei "nicht überrascht" von der Entwicklung, sagte er, der Umbau bei ThyssenKrupp habe vermuten lassen, dass dies passiere. Die Stadt jedenfalls werde sich für den Erhalt von Blohm + Voss am Standort einsetzen: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass im Trockendock von Blohm + Voss bald nur noch ein großes Taubennest steht und dass es den Schiffbau nicht mehr gibt", sagt Gedaschko in seinem Büro in der Wirtschaftsbehörde. Er wolle Kontakt zu ThyssenKrupp-Chef Ekkehard Schulz aufnehmen und sich vor allem für den Neubau von Schiffen in Hamburg einsetzen.

Dafür allerdings müsste er vorrangig mit Berlin telefonieren. Nur der Bund könnte Blohm + Voss vergleichsweise schnell mit profitablen Aufträgen versorgen - indem der Bau geplanter Kriegsschiffe vorgezogen wird. Damit ein Wahrzeichen der Hansestadt nicht für immer verloren geht.

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