Klaus-Michael Kühne wurde für den Erhalt der Hamburger Traditionsreederei gefeiert. Nun isoliert er sich im Kreis der Eigner.

Der Arbeitstag ist längst vorüber, jedenfalls für die einfachen Angestellten. Doch die prächtige Eingangshalle in der Zentrale von Hapag-Lloyd am Ballindamm strahlt hell erleuchtet. Eine livrierte Kellnerin reicht Weißwein und Rotwein an jenem Montagabend, dem 23. März dieses Jahres. Eine Handvoll Männer in dunklen Anzügen steht neben der Rezeption und hält Smalltalks. Reedereichef Michael Behrendt, Christian Olearius mit einem seiner Mitarbeiter von der Privatbank M.M.Warburg, und Wolfgang Peiner, der frühere Hamburger Finanzsenator. Um 21 Uhr kommt nach einem Termin in Berlin auch TUI-Chef Michael Frenzel hinzu, dann kann die kurze Zeremonie für den Fotografen beginnen. Frenzel übergibt Olearius und Peiner eine gerahmte Aktie mit "100 Prozent Grundkapital" von Hapag-Lloyd. Nach monatelangen Verhandlungen geht die Mehrheit der wichtigsten Hamburger Reederei damit auch symbolisch vom TUI-Konzern in Hannover auf das Hamburger Konsortium Albert Ballin über.

Ein Mann fehlt an jenem Abend, und zwar ausgerechnet derjenige, den man in den Monaten zuvor für die Übernahme der Reederei durch Hamburger Investoren in der Hansestadt so überschwänglich gelobt hatte. Wo denn Klaus-Michael Kühne sei, fragt einer der Herren aus der Runde. Keiner der Anwesenden weiß es.

Der Grund dafür wurde in den vergangenen Tagen deutlich. Da fehlte der in Hamburg geborene Logistikunternehmer, dessen Konzern im Schweizer Schindellegi residiert, erneut, aber diesmal nicht bei einem symbolischen Festakt, sondern bei einer höchst brisanten Versammlung der Hapag-Lloyd-Gesellschafter. In deren Kreis hat sich Kühne während der vergangenen Monate zunehmend isoliert, man streitet über den künftigen Kurs bei der Reederei - wenn man überhaupt noch miteinander redet. Insider sprechen von "Eiszeit" und "schweren Verstimmungen".

Am zurückliegenden Mittwoch trafen sich die Vertreter der Anteilseigner bei Hapag-Lloyd, um über die weitere Finanzierung der Reederei zu beraten. Wenn Hapag-Lloyd kein frisches Kapital bekommt, könnte die weltweit fünftgrößte Containerlinie - bis vor wenigen Monaten noch ein profitables und gesundes Unternehmen - durch die Rezession der Weltwirtschaft in ihrer Existenz bedroht werden. Bis zu 1,75 Milliarden Euro würden mittelfristig benötigt, trug Reedereichef Michael Behrendt vor.

Kühne nahm an der Sitzung nicht teil, er hatte am Abend zuvor überraschend abgesagt. Auch sein Manager Karl Gernandt kam nicht, Kühnes Vertreter im Hapag-Lloyd-Aufsichtsrat. Stattdessen erschien Wolfgang Peiner, der frühere Politiker und Finanzmanager, der die Hamburger Investorengruppe während der Übernahmeverhandlungen mit TUI koordiniert hatte. Nach der Übernahme der Mehrheit durch das Konsortium im März hatte sich Peiner noch darüber gefreut, dass das Kapitel Hapag-Lloyd nach "den härtesten Verhandlungen", die er je erlebt habe, für ihn nun abgeschlossen sei. Das war wohl ein Irrtum.

Anwesend war Kühne nicht, aber dennoch präsent. In den Tagen vor der Versammlung hatte er über Zeitungsinterviews mitteilen lassen, dass er die Reederei in einem desolaten Zustand wähne: "Hapag-Lloyd muss gewaltig etwas tun und sich viel stärker gegen die Krise stemmen", sagte er der "Welt" und erteilte Behrendt und dessen Vorstandskollegen damit fernmündlich Nachhilfe. Auch brachte Kühne staatliche Finanzhilfen für Hapag-Lloyd ins Gespräch und forderte den Mitgesellschafter TUI auf, der Reederei einen Teil ihrer Schulden zu erlassen. Die hohen Schulden drohten Hapag-Lloyd zu "strangulieren".

In Hamburg ist man über Kühnes Vorstöße während der vergangenen Wochen schwer verstimmt, obgleich die anderen Gesellschafter hanseatische Zurückhaltung üben. Zum Konsortium Albert Ballin gehören neben Kühne die städtische Hamburger Beteiligungsgesellschaft, die Banken MM Warburg und HSH Nordbank und die Versicherungen Signal Iduna und Hanse-Merkur. Die drei größten Anteilseigener bei Hapag-Lloyd sind TUI mit 43 Prozent, Hamburg mit 23 und Kühne - als Privatmann - mit 15 Prozent.

Die Sorge seiner Mitgesellschafter hat handfeste Gründe. "Solche Aussagen zum Zustand der Reederei können Banken und Zulieferer sehr nervös machen", sagt ein Beteiligter. Man erinnert sich daran, wie der damalige Chef der Deutschen Bank, Rolf Breuer, mit wenigen Sätzen in einem Interview Anfang 2002 den Zusammenbruch der Kirch-Mediengruppe forciert haben dürfte: Er äußerte Zweifel an Kirchs Zahlungsfähigkeit. Später traf man sich deshalb vor Gericht.

Als der TUI-Konzern Hapag-Lloyd im Frühjahr 2008 zum Verkauf stellte, trat sehr schnell der Kern einer Hamburger Investorengruppe auf den Plan. Deren Ambition war es, die Traditionsreederei zu übernehmen, sie am Standort Hamburg zu erhalten und auszubauen. Wahlweise drohte der Verkauf ins Ausland: Auch NOL aus Singapur bewarb sich um die Übernahme der Reederei. Kühne, einer der führenden europäischen Logistikunternehmer, galt als Initiator des Hamburger Konsortiums. Die Hapag-Mitarbeiter und der Vorstand unterstützten den Plan, ebenso der Hamburger Senat und die Bürgerschafts-Parteien.

Kühnes Interesse lag auch darin, dass er Hapag-Lloyd als eigenständigen Wettbewerber am Markt erhalten wollte - damit andere Reedereien ihm, einem der weltweit größten Seefracht-Anbieter, nicht übermächtig werden. Dass er nebenbei dafür auch als Hamburger Patriot gefeiert wurde, gefiel Kühne - jahrelang hatte man in der Hansestadt eher darauf verwiesen, dass bereits sein Vater das Unternehmen aus steuerlichen Gründen in die Schweiz verlegt hatte.

Mittlerweile wächst bei Kühne offenbar das Unbehagen über sein Investment. Geplant war im Herbst zunächst, dass er 25 Prozent der Hapag-Lloyd-Anteile für rund 500 Millionen Euro übernimmt. Dann wurden die Folgen der Wirtschaftskrise für die Reederei deutlicher, und TUI behielt zunächst einen weit höheren Anteil als ursprünglich vorgesehen. Aber Kühne ist nach wie vor mit rund 300 Millionen Euro beteiligt - und nun muss frisches Kapital her, auch von den Eigentümern.

Schon einmal, Ende der 1970er Jahre, hatte der Unternehmer zur falschen Zeit in eine Reederei investiert. "Scalottas" hieß das Tanker-Unternehmen mit Sitz in Panama, das während der zweiten Ölkrise auf Grund lief und Kühne beinahe das Eigentum an seinem gesamten Konzern kostete. Mit viel unternehmerischer Energie schaffte er die Wende und holte sich seine Anteile, die er zur Rettung von Kühne + Nagel verkaufen musste, später zurück.

Kühnes Energie allerdings kann in der aktuellen Lage bei Hapag-Lloyd zur Last werden. Der Großunternehmer ist es nicht gewohnt, sich im Kreis eines Konsortiums unterzuordnen - er führt seit Jahrzehnten selbst. Wenn das Konzept realisiert würde, das die Gesellschafter am vergangenen Mittwoch in Hamburg diskutiert haben, müsste Kühne, entsprechend seinem Anteil, rund 112 Millionen Euro Kapital bei Hapag-Lloyd nachschießen. Das klingt nicht realistisch.

TUI versucht die Situation unterdessen zu entkrampfen. Der Aufsichtsrat des Konzerns beschloss am Freitag, dass man Hapag-Lloyd finanziell weiterhin helfen werde. Aber nur, wenn sich dabei auch das Konsortium Albert Ballin engagiere. Was genau TUI tun will, stehe noch nicht fest - womöglich könne ein Teil des Kredits von TUI an Hapag-Lloyd in Eigenkapital umgewandelt werden, hieß es. Ohne den Kredit von 1,4 Milliarden Euro wäre der Verkauf an das Konsortium in den zähen Verhandlungen zum Jahresbeginn geplatzt.

Wäre es so gekommen - aus heutiger Sicht würde Klaus-Michael Kühne das vielleicht nicht einmal bedauern.