Der neue Vorstandschef Paul Lerbinger sieht sich als ruhigen Gegenpol zum Vorgänger Nonnenmacher und dessen skandalgeprägter Ära

Hamburg. Was sich ändert im Leben, wenn man Chef der HSH Nordbank wird, bekam Paul Lerbinger am 16. Dezember 2010 auf dem Weg zur Mülltonne zu spüren. Am Tag zuvor hatte der Aufsichtsrat der Bank in Hamburg den Namen des Nachfolgers von Dirk Jens Nonnenmacher bekannt gegeben, jetzt brachte Lerbinger 800 Kilometer südlich davon den Abfall aus seinem Münchner Haus, als ihn ein Nachbar ansprach: "Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag."

Lerbinger, der erst seit Kurzem in dem Haus wohnte, fragte sich nur kurz, woher der Nachbar wohl sein Geburtsdatum kenne. Dann wurde ihm schlagartig bewusst, was da auf ihn zukommt: Als Vorstandsvorsitzender einer Bank, die wirtschaftlich kurz vor dem Abgrund stand, die wie keine zweite Skandale produziert hatte und daher durchleuchtet wurde wie kein anderes Institut, würde er künftig eine öffentliche Person sein. Sein Geburtsdatum stand schon auf der Internetseite der HSH. Heute nun übernimmt Lerbinger offiziell die Führung der Bank.

Es darf zwar bezweifelt werden, dass der 55-Jährige ähnlich geizig mit Informationen zu seiner Person umgehen wird wie sein verschlossener Vorgänger, den die Mitarbeiter "Dr. No" nannten. Lerbinger braucht nicht lange, um warm zu werden, und wenn der in Oberstaufen aufgewachsene Bayer so plaudert, fallen ihm unterhaltsame Anekdoten und Vergleiche ein, etwa zwischen Konzernvorständen und Tierparkbewohnern. Dass er darauf vertraut, dass solche nicht ganz ernst gemeinten Bemerkungen auch nicht gedruckt werden, unterscheidet ihn schon mal von seinem misstrauischen Vorgänger. Doch trotz dieser grundsätzlichen Offenheit wird es Lerbingers oberstes Ziel sein, seinem Arbeitgeber alles Schillernde zu nehmen: "Ich bin langweilig, und auch die HSH Nordbank muss eine langweilige Bank werden."

Dass er selbst dieses Credo im Gegensatz zum Gelfrisur tragenden Nonnenmacher auch optisch umsetzt, dürfte die Entscheidung für ihn befeuert haben. Die Frage, warum Aufsichtsratschef Hilmar Kopper ausgerechnet ihn Ende 2010 auf dem Handy anrief und den HSH-Chefsessel anbot, hat Lerbinger nicht gestellt. "Die Antwort wäre wohl eine Enttäuschung geworden", sagt er kokett. Schließlich ist seine Vergangenheit bei Banken wie JPMorgan, S.G. Warburg, Deutsche Bank - hier lernte er den damaligen Vorstandschef Kopper kennen - und zuletzt der Citigroup beeindruckend. Dass er die Teilprivatisierung der HHLA begleitet hat, dürfte auch schwerer ins Gewicht fallen als sein Voralpendialekt.

Nonnenmacher hat ihm deutlich bessere Zahlen hinterlassen, als viele HSH-Skeptiker vorausgesagt hatten, das erleichtert Lerbinger den Start. Doch die Gesundung der Bank, die zu 85,5 Prozent den Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein gehört, ist ohnehin nur eine der Großbaustellen des neuen Vorstandschefs, vielleicht die einfachste. Lerbinger räumt zwar offen ein, dass er von Schiffs- und Flugzeugfinanzierungen nicht viel verstehe. Aber er verteidigt das "ordentliche Geschäftsmodell", das die HSH mit diesen und anderen Bereichen wie erneuerbare Energien habe. Daran wolle er festhalten, sagt Lerbinger und bemüht einen Sportvergleich: "Ein Handballer kann auch nicht sagen, jetzt ist Fußball angesagt, also spiele ich Fußball."

Problematischer wird die künftige Eigentümerstruktur. Die EU fordert, dass sich die Länder ab 2014 von der Bank trennen, auch die Regierungen in Hamburg und Kiel sehen sich nicht als Bankkaufleute. Ihr investiertes Geld - allein 2009 hatten sie drei Milliarden Kapital und zehn Milliarden an Garantien zur Verfügung gestellt - hätten sie aber schon gern zurück. Lerbinger weiß darum, auch um den von Nonnenmacher eingeleiteten Flirt mit finanzstarken chinesischen Instituten. Doch offiziell hält er sich raus. Das sei Sache der Eigner, er sei ja nur ein Angestellter.

Dessen heikelste Aufgabe dürfte es sein, die Bank aus den Schlagzeilen herauszuhalten. Mit dem Abgang von Nonnenmacher ist die erste Voraussetzung dazu erfüllt. Denn der Ende 2008 angetretene Mathematikprofessor war zwar fachlich anerkannt und unterm Strich erfolgreich, aber seine Verwicklung in diverse Skandale und umstrittene Geschäfte wie "Omega" und die Tatsache, dass mehrere Staatsanwaltschaften gegen ihn ermitteln, erwies sich als untragbare Belastung. Dass seine Millionenabfindung in der 2010-Bilanz schon eingepreist ist, hilft beim Neuanfang ebenso wie die teuer erkauften Schlussstriche unter die Affären um den zu Unrecht geschassten Vorstand Frank Roth und den Skandal um Kinderpornos, die einem US-Manager der HSH untergeschoben worden waren.

An seinem letzten Arbeitstag nahm "Dr. No" noch an einer Sitzung des Aufsichtsrats teil, am Abend gab es ein Abschiedsessen. Doch die Vorstellung "seiner" Bilanz überließ er bereits Lerbinger. Der erklärte das Ende der Schlagzeilenära mit nur einem Satz: "Herr Nonnenmacher lässt sich entschuldigen." Ganz langweilig.