Kindheit im Phoenix-Viertel

Herzinfarkt mit 17 – heute ist Manuel Tolle Millionär

| Lesedauer: 11 Minuten
Selfmade-Millionär Manuel Tolle aus dem Phoenix-Viertel in Hamburg hat mehrere Internetfirmen gegründet. Mit seiner Karriere als Unternehmer ist er für viele ein Vorbild.

Selfmade-Millionär Manuel Tolle aus dem Phoenix-Viertel in Hamburg hat mehrere Internetfirmen gegründet. Mit seiner Karriere als Unternehmer ist er für viele ein Vorbild.

Foto: Michael Rauhe

Der 34-Jährige wuchs im Problemviertel auf, als Jugendlicher starb er fast. Seine Geschichte hat den Stoff für einen Hollywood-Film.

Hamburg. 
  • Manuel Tolle ist im Phoenix-Viertel aufgewachsen, seine Familie war auf Hartz IV angewiesen
  • Mit 17 Jahren erleidet er während seiner Abschlussprüfung einen Herzinfarkt. Drei Bypässe können sein Leben retten.
  • Nun, mit 34, ist Tolle Multimillionär. Die Geschichte eines steiniges Aufstiegs

Er trägt ein Jackett über dem weißen Hemd. Keine Krawatte. Begrüßung per Handschlag. Manuel Tolle ist höflich, fast ein bisschen formell. Zum Gespräch ist er zu Fuß gekommen, jetzt trinkt er Wasser. Auf den ersten Blick wirkt der junge Mann mit dem zurückhaltenden Auftreten wie einer, der am Anfang steht. Das stimmt, aber auch wieder nicht.

Mit gerade mal 34 Jahren hat er schon eine fulminante Karriere hingelegt und diverse Firmen im Internet gegründet. Wie viele genau? „Da muss ich kurz nachschauen“, sagt er und zieht mit einer entschuldigenden Geste sein Smartphone aus der Tasche.

Ist vielleicht auch nicht so wichtig. Manuel Tolle hat im vergangenen Jahr mit seinen Geschäftspartnern das Werbetechnologie-Unternehmen Exmox an eine schwedische Videospielgruppe verkauft – für fast 100 Millionen Euro. Das ist eine Zahl mit sehr vielen Nullen. Und auch wenn der Verkaufspreis geteilt wird: Der Hamburger ist Multimillionär. Einer, der alles erreicht hat. Und den trotzdem niemand auf der Straße erkennt.

Internet-Millionär stammt aus dem Harburger Phoenix-Viertel

Dabei ist die Geschichte von Manuel Tolle so außergewöhnlich, dass sie Material für einen Film hergibt. Er hat keine Ausbildung an einer Elite-Universität, war kein erfolgreicher Aktienspekulant und ist auch nicht in eine Unternehmerfamilie geboren. Seine Familie hat sich mit Hartz IV durchgeschlagen. Als Jugendlicher wäre er fast gestorben. Sein Weg zum Erfolg beginnt danach. „So, wie ich aufgewachsen bin, dachte ich, kein Geld zu haben, ist normal“, sagt Manuel Tolle über die Kindheit in einer beengten Mietwohnung im Harburger Phoenix-Viertel.

Das klingt so, als ob er sich immer noch wundert, dass es nicht mehr so ist. Dass er beim Einkaufen im Supermarkt nicht auf die Preise gucken muss. Dass er so lange duschen kann, wie er Lust hat. Dass er auf Reisen in teuren Hotels absteigen kann und nicht wie früher vor der Klassenfahrt um einen Zuschuss bitten muss. „Die Hälfte meines bisherigen Lebens war ich arm, die andere Hälfte habe ich mich da rausgearbeitet“, sagt er. Jetzt steht er vor der Frage, was als Nächstes kommt. Für Geld muss er jedenfalls nie wieder arbeiten. Eigentlich.

Der Tiefpunkt: Herzinfarkt mit 17 Jahren und drei Bypässe

Um zu verstehen, wer dieser unbekannte Internetmillionär ist, muss man die Zeit zurückspulen – bis zum Jahr 2005. Manuel Tolle war 17 Jahre alt und steckte mitten in den Prüfungen für seinen Realschulabschluss, übrigens an derselben Schule, die auch About-You-Gründer Tarek Müller besucht hat.

Auf einmal war er ständig müde und spürte starken Druck auf der Brust. „Ich wusste, dass etwas Schlimmes mit mir passiert.“ Sein Vater fuhr den Sohn, bei dem als Kleinkind die entzündliche Gefäßkrankheit Kawasaki-Syndrom diagnostiziert worden war, schließlich ins UKE. In derselben Nacht bekam der Jugendliche einen Herzinfarkt. Die Ärzte konnten ihn retten. Seitdem hat er drei Bypässe.

Der Schicksalsschlag änderte sein Leben von einem Tag auf den anderen. Manuel Tolle musste lernen, wieder zu atmen, zu sprechen, zu laufen. Die Abschlussprüfung konnte er nicht machen. „Während meine Freunde ihr Leben begannen, lag ich zu Hause im Bett“, beschreibt er das Gefühl, am Abgrund zu stehen. An vieles erinnert er sich nicht mehr. Aber er fasste einen Entschluss. „Wenn ich nichts ändere, ist alles zu Ende.“

Manuel Tolle kämpfte sich zurück, machte Sport, entschied sich für einen zweiten Anlauf seiner Realschulprüfung und beschäftigte sich mit dem Internet. Schließlich setzte er alles auf eine Karte, pumpte seinen Vater an, um eine Internet-Domäne zu kaufen. Er nannte sie Filme24-online.de und baute eine eigene Webseite mit Filmtrailern auf.

Erster Verdienst: 450 Euro mit Google-Werbung

Was er damals nicht wusste: Es war der Grundstock seiner Erfolgsgeschichte. Immer mehr Besucher klickten die Seite an. Die ersten 450 Euro verdiente der Realschüler mit Google-Werbung. Seinen zweiten Deal machte er mit dem Streaming-Anbieter Maxdom. Jedes Mal, wenn seine Nutzer sich beim Dienst registrierten, bekam Tolle 5 Euro. Bei einem Abo waren es 20 Euro.

„So sind bis zu 1000 Euro am Tag auf mein Konto geflossen“, sagt er. Mit 18 Jahren meldete er ein Gewerbe an, hielt seine Geschichte aber vor Familie und Freunden geheim. „Ich wollte frei sein, gesund sein. Das war mir wichtiger, als den Dicken zu machen“, wie er es beschreibt. Einzige Ausnahme: Er kaufte einen Flachbildschirm für 700 Euro.

Es ist der Traum der meisten Gründer: Eine Geschäftsidee haben, groß machen und dann für Millionen verkaufen. Aber dass es gelingt, ist die Ausnahme. Im vergangenen Jahr hatte die Nestlé-Übernahme des Hamburger Gewürzherstellers Ankerkraut bundesweit für Aufsehen gesorgt. Einer der spektakulärsten Exits der letzten Zeit. Die Kaufsumme für die Mehrheitsanteile ist nicht bekannt, aber sie liegt nach Brancheninformationen im dreistelligen Millionenbereich. Manuel Tolle hat nicht auf einen Exit hingearbeitet. Sagt er. Er sagt aber auch: „Das Geld gibt mir Sicherheit.“

Empfohlen.de: Erfolgreich mit bezahlten Online-Umfragen

Nach dem Abitur und kurz bevor ihm mit 21 Jahren nach weiteren Herzproblemen ein Herzschrittmacher implantiert wurde, startete er mit Heimarbeit.de ein weiteres Unternehmen. Er hatte das Potenzial des Domäne-Namens erkannt und dem Vorbesitzer abgekauft. Seine Kunden waren große Marktforschungsfirmen wie GfK und Nielsen, die immer auf der Suche nach Teilnehmern für Online-Umfragen sind. „Ich habe schon damals sechsstellig im Monat verdient.“

Daraus hat der Autodidakt 2017 das Portal empfohlen.de entwickelt, das sich zum Primus bezahlter Umfragen und Test-Aufträge mauserte. Die Nutzer können Aufträge je nach Zeitbudget spontan annehmen. Bis zu 1000 Euro im Monat lassen sich praktisch nebenbei verdienen, lautet das Versprechen. So einfach wie erfolgreich. „Es war meine erste Gründungsidee mit richtig großem Potenzial“, sagt Manuel Tolle, auf dessen Konto die Provisionen der Umfrage- und Testauftraggeber landeten.

Zu dem Zeitpunkt war er bei seinen Eltern ausgezogen, wohnte in einer Ein-Zimmer-Wohnung in Uni-Nähe, fuhr einen gebrauchten BMW. Sein größter Luxus: eine Rolex, die er bis heute trägt. Und er bezog am Gänsemarkt sein erstes eigenes Büro mit Mitarbeitern. Ein Betriebswirtschaftsstudium hatte er nach wenigen Vorlesungen geschmissen. „Mir ist schnell klar geworden, dass ich schon Unternehmer bin und kein Studium brauche, um es besser zu machen.“ Selbstbewusst, ohne Frage. Und seine feste Überzeugung. Auch jetzt sagt er: „Niemand braucht eine Ausbildung zum Gründen.“

In seinem Fall hat es funktioniert. Er habe mit jedem Unternehmen, das er aufgebaut habe, dazugelernt und sich vom kumpelhaften Chef zum fokussierten Manager entwickelt. Auch wenn einige seiner Ideen kommerziell keine Erfolgsbringer waren oder sind, wie etwa die Partnersuche-Vergleichsplatte Singleboerse und die Daten-App Nachfolger Only one. Auch die Webseite Prag.de spielt finanziell keine Rolle. Anders empfohlen.de. „Der Durchbruch kam, als wir gemerkt haben, dass Hersteller von Handyspielen dringend Tester suchten, um die nachhaltig an sie zu binden“, sagt der Gründer.

Der Durchbruch: Millionenumsätze nach der Fusion mit Exmox

Erste Kooperationen mit bekannten Games-Studios gab es seit 2019. Nachdem der Seriengründer mit empfohlen.de mit dem Hamburger Spiele-Vermarkter Exmox 2021 fusioniert war, explodierten die Umsätze. „Millionen Menschen in der ganzen Welt wollten neue Spiele und Features als bezahlte Tester ausprobieren“, sagt Manuel Tolle. „Wir haben sehr viel Geld verdient und waren anders als andere Start-ups sehr profitabel.“ Konkrete Zahlen nennt er nicht. Aber im Bundesanzeiger lassen sich im jüngsten veröffentlichten Geschäftsbericht für das Jahr 2021 Umsätze und Gewinne in Millionenhöhe nachlesen. Mitte 2022 kaufte Aonic, ein schwedisches Beteiligungsunternehmen im Spielebereich, die Hamburger Firma.

Studie- Millionären gehören 200.000 Wohnungen in Hamburg

„Es war wie im Film“, sagt Manuel Tolle. Gemeinsam mit seinen Partnern war er zu Gesprächen in San Francisco, den Kaufvertrag mit den Schweden unterzeichneten sie in einem Frankfurter Bürohochhaus. Aber danach ging sein Leben weiter wie vorher. Auch jetzt ist er jeden Tag in der Firma am Rödingsmarkt, betreut den Bereich Marketing. „Aber ich bin nicht mehr der Unternehmer mit der ganzen Verantwortung. Der Druck ist weg.“

Investment in Start-up für Organspenden-Transport

Mit seiner Firma Disruptech Holding ist er auch als Investor unterwegs, interessiert sich vor allem für den Bio-Tech- und Med-Tech-Bereich. Tolles erstes Engagement ist das Aachener Start-up Vivalyx, das den Organtransport bei Transplantationen verbessern will. „Damit kann ich mich identifizieren. Viele Menschen, die ich bei meinen Klinikaufenthalten kennengelernt habe, haben auf ein Spenderorgan gewartet.“ Weitere Gespräche liefen. Außerdem investiert der Hamburger an der Börse und in Anlagen. So wie viele andere ihre Millionen in Immobilien anlegen, ist für ihn keine Option. „Immobilien machen immobil“, sagt Manuel Tolle.

Mit seiner Freundin und seinem jüngeren Bruder wohnt er in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Harvestehude zur Miete. Er unterstützt seine Familie und finanziert das Studium der jüngeren Schwester. Statussymbole sind ihm nicht wichtig. „Wenn man dem Tod bereits so nah war, weiß man, dass es wichtigere Dinge im Leben gibt.“ Große Veränderungen plant er nicht. Er reist gern. „Ich habe die unglaubliche Freiheit, der zu sein, der ich sein möchte. Das will ich nicht aufgeben.“

Internet-Unternehmer: Der Multimillionär träumt vom eigenen Kino

Dazu gehört auch, dass er öffentlich „immer unter dem Radar war“, wie er es nennt. Er will kein Promi sein, aber es freut ihn, dass er für junge Menschen ein Vorbild dafür ist, was man trotz Krisen schaffen kann. Ein bisschen wirkt es so, als sei Manuel Tolle in einer Warteposition – bereit zum Absprung in eine Zukunft, die er selbst noch nicht kennt. Aber dann gibt es doch die eine Sache, den Jugendtraum: ein eigenes Kino. Als er davon spricht, leuchten seine Augen. „Ich würde selbst das Programm zusammenstellen, Popcorn machen und auch an der Kasse stehen.“

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