Hamburg. Der Aufstieg des Schuhhauses Görtz war lange eine Erfolgsgeschichte. 1875 hatte Johann Ludwig Görtz in Barmbek ein kleines Geschäft eröffnet. Die Familienlegende erzählt, dass der junge Schuhmachermeister anfangs noch mit Kartoffeln gehandelt hatte, bevor er in dem 14-Quadratmeter-Laden auf Herrenschuhe umstieg. Die Geschäfte liefen offenbar. 1938 eröffnete in Hamburg ein zweiter Laden, 1959 folgte die erste Filiale außerhalb der Hansestadt.
Nachdem der langjährige Firmenchef Ludwig Görtz, Urenkel des Gründers, in den 1960er-Jahren in die Geschäftsleitung eingestiegen war, formte er aus dem Hamburger Schuhhändler ein nationales Unternehmen mit Filialen zwischen Flensburg und Füssen. In besten Zeiten hatte Görtz bundesweit fast 200 Standorte und mehr als 3000 Mitarbeiter. Im Zuge einer schweren finanziellen Krise hatte die Inhaberfamilie Görtz 2014 einen Investor ins Unternehmen geholt – blieb aber mit 60 Prozent der Firmenanteile Mehrheitsgesellschafter.
Görtz in der Krise: Gründerfamilie gibt alle Anteile ab
Bis jetzt. Nachdem Görtz erneut in eine finanzielle Schieflage geraten war und im September Insolvenz in Eigenregie angemeldet hatte, ist diese Ära in der traditionsreichen Firmengeschichte zu Ende. Die Familie gibt alle Anteile ab. „Nach einem intensiven Investorenprozess und Gesprächen mit zahlreichen Interessenten hat sich der vorläufige Gläubigerausschuss für einen langfristig orientierten Privatinvestor mit Hamburger Wurzeln entschieden“, ließ das Unternehmen am Donnerstagabend in einer Mitteilung verbreiten. Um wen es sich handelt, darüber hüllt sich der Schuhhändler in Schweigen.
Auch Seniorchef Ludwig Görtz, der sich vor mehr als zehn Jahren aus der operativen Firmenleitung zurückgezogen und an ein familienfremdes Management übergeben hat, äußerte sich dazu auf Anfrage nicht. „Die Firma Görtz existiert weiter. Ich hoffe, dass mit dem neuen Investor ein Neustart gelingt“, so der 88-Jährige.
Görtz kämpft schon seit Jahren mit reichlich Gegenwind
Schon seit einigen Jahren kämpft Görtz wie der gesamte Schuhhandel mit reichlich Gegenwind. Mit Beginn der Corona-Pandemie verschärfte sich die Situation dramatisch. Monatelange Lockdowns mit Geschäftsschließungen und Hygieneauflagen drückten massiv auf die Umsätze. Im vergangenen Jahr kamen die Folgen des Kriegs in der Ukraine und die hohe Inflation dazu.
Anfang September 2022 hatte die Geschäftsleitung die Reißleine gezogen und beim Amtsgericht Hamburg für die drei Kerngesellschaften einen Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung gestellt, dabei im Fall der Holding – der Ludwig Görtz GmbH – als Schutzschirmvariante. Das Verfahren war im November eröffnet worden – und damit die Suche nach einem Geldgeber. Schon in den vergangenen Wochen hatte der Schuhhändler angefangen, mehrere Dutzend Filialen zu schließen, um die Kosten zu senken.
Görtz will "führender Schuhhändler Deutschlands sein“
„Wir sind sehr froh, dass es uns gelungen ist, in so kurzer Zeit einen Investor zu finden, damit es weitergeht“, sagte Görtz-Geschäftsführer Frank Revermann exklusiv dem Abendblatt. Es seien zahlreiche Gespräche mit Interessenten geführt worden. Nach seinen Angaben hat sich die Familie Görtz, die in der Krise 2013 noch eine Finanzspritze von 30 Millionen Euro ins Unternehmen gesteckt hatte, aber in der nachfolgenden Generation nicht mal im obersten Kontrollgremium die Geschicke des Unternehmens bestimmen wollte, nicht an dem Prozess beteiligt. Darüber, wie hoch das Investment des neuen Geldgebers für das angeschlagene Unternehmen ist, machte Revermann keine Angaben.
Zur Frage nach einer operativen Zusammenarbeit mit dem neuen Eigentümer sagte er: „Das wird sich zeigen.“ Klar sei, dass der Privatinvestor das „interessanteste Fortführungskonzept sowie das tragfähigste Angebot unterbreitet“ habe. Dazu Revermann: „Grundsätzlich wird der Investor den eingeschlagenen Weg mitgehen. Wir wollen auch weiterhin in unserem Preissegment der führende Schuhhändler Deutschlands sein.“
Geschäftsführung um Frank Revermann und Finanzchef Tobias Volgmann bleibt
Die Investorenvereinbarung ist unterzeichnet und in dieser Woche vom vorläufigen Gläubigerausschuss genehmigt worden. Streng juristisch ist die Sache damit aber noch nicht abgeschlossen. Als nächster Schritt wird die Investorenvereinbarung zur Umsetzung der Sanierungs der Görtz-Gesellschaften dem Insolvenzgericht vorgelegt, bevor die Gläubiger darüber abschließend abstimmen.
Die Geschäftsführung um Frank Revermann und Finanzchef Tobias Volgmann wird das Unternehmen demnach auch in Zukunft führen. Der gerichtlich bestellte Sachwalter, Sven-Holger Undritz von der Anwaltskanzlei White & Case, der den Investorenprozess begleitet, zeigte sich zufrieden mit dem Ausgang: „Die Gläubiger haben die Ampeln auf Grün gestellt, sodass ich von einem alsbaldigen Abschluss des Sanierungsverfahrens ausgehe.“
Die neue Zukunft für Schuhhändler Görtz, der inzwischen über seinen Online-Marktplatz görtz.de auch Mode anbietet, wird allerdings nur durch einen strengen Sparkurs und harte Einschnitte im Filialnetz und bei den Beschäftigten erkauft. Von den zuletzt 160 Standorten in Deutschland und Österreich schließt Görtz jeden zweiten. Künftig will der Schuhhändler noch knapp 80 Filialen selbst betreiben. Die Auswahl sei dadurch getrieben worden, ob bei den Verhandlungen mit den Vermietern reduzierte Mieten erreicht werden konnten, sagte Revermann. „Das war sehr ambitioniert.“ Bis Ende Februar müsse nach seinen Angaben der Großteil der betroffenen Filialen geschlossen werden, darunter auch wichtige Flagship-Standorte wie in Düsseldorf.
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Görtz: Diese Standorte bleiben in Hamburg
In Hamburg bleiben nach Unternehmensangaben folgende Standorte: das Stammhaus in der Spitalerstraße/Mönckebergstraße, Europa Passage, CCB Citycenter Bergedorf, Wandsbek Quarree, Mercado in Ottensen sowie Alstertal Einkaufszentrum in Poppenbüttel und Elbe-Einkaufszentrum in Osdorf. In der Region sind die Standorte Dollern, Lüneburg (2), Henstedt-Ulzburg und Winsen an der
Luhe sowie die Outlets in Oststeinbek und Buchholz gesichert.
Schon bei der Ankündigung des Insolvenzantrags hatte Geschäftsführer Revermann auch Entlassungen angekündigt. Jetzt sagte er, dass 480 der zuletzt 1800 Beschäftigten gekündigt worden seien. Weitere 50 hätten das Unternehmen auf eigenen Wunsch verlassen. Das ist besonders bitter, weil viele Mitarbeiter lange im Unternehmen sind.
Schon in den vergangenen Monaten hatten Beschäftigte im Verkauf über die belastende Situation geklagt. Auch für Ludwig Görtz, der das Unternehmen über Jahrzehnte geprägt hat, ist es eine schwere Zeit. Im September hatte der Mann, der oft als Schuhkönig von Hamburg bezeichnet wird, im Abendblatt-Gespräch gesagt: „Mein Lebenswerk ist ins Wanken geraten.“ Auch mit fast 90 Jahren kommt er mehrfach in der Woche in sein Büro in der Görtz-Zentrale. Ob das so bleibt, wenn seine Familie künftig bei Görtz raus ist, wisse er nicht. „Das hängt von den Absprachen mit dem Investor ab. Ich stehe zur Verfügung.“
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