Berlin. Bauteile fehlen, die Produktion steht still: Der Chipmangel hat die Autoindustrie im Griff – trotzdem verdienen die Konzerne prächtig.

Wenn das Lager für Mikrochips und Elektronikbauteile leer ist, stehen die Bänder still. Und das kommt in den Werken von Daimler, BMW, VW, Opel und Ford in diesem Jahr immer wieder vor. Tausende Beschäftigte der Automobilindustrie müssen wegen des anhaltenden Chipmangels tage- oder gleich wochenweise zu Hause bleiben.

Die Störungen in den globalen Produktionsketten machen Neuwagen zunehmend zu einem knappen und auch teuren Gut. Die Händler müssen in diesen Tagen nicht mehr mit üppigen Rabatten um ihre Kundschaft buhlen.

Allein die jüngsten Zahlen aus dem VW-Konzern zeigen, wie dramatisch die Lage in der Autoindustrie inzwischen ist. Die Wolfsburger meldeten für November wegen des Chipmangels ein besonders dickes Minus bei den weltweiten Auslieferungen.

Im Vergleich zum Vorjahresmonat bauten die Beschäftigten in den Fabriken 31,5 Prozent weniger Fahrzeuge, insgesamt waren es noch 616.300 Stück. Der Rückgang betraf nahezu alle Marken – nur der Sportwagenbauer Porsche, die Renditeperle des Konzerns, konnte die Produktion stabil halten.

Autos: Deutlich weniger Neuzulassungen in Deutschland

Auch das Kraftfahrt-Bundesamt registrierte im November einen Rückgang der Neuzulassungen in Deutschland gegenüber dem Vorjahresmonat um 31,7 Prozent auf 198.000 Fahrzeuge. Mehr zum Thema Elektromobilität: Reichweite, Preis, Lieferzeit – E-Autos für jede Brieftasche

Auch der Vergleich mit der Vor-Corona-Zeit fällt deutlich aus. Von Januar bis Ende November sind 2,4 Millionen Pkw neu auf die Straßen gekommnen. Das sind 28 Prozent weniger als im gleichen Zeitraum 2019, erklärt die Unternehmensberatung EY. „Hauptgrund für die geringeren Zulassungszahlen ist ein deutlich verringertes Produktionsvolumen bei den Herstellern, da der globale Halbleitermangel auch die deutsche Automobilindustrie einschränkt“, heißt es dazu beim Automobilindustrie-Verband VDA.

Preisentwicklung: Geringster Neuwagen-Rabatt seit neun Jahren

Eine direkte Folge dieser Entwicklung sind steigende Preise: Der durchschnittliche Rabatt, den Händler beim Neuwagenkauf gewähren, ist derzeit so niedrig wie seit über neun Jahren nicht mehr, hat Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer ermittelt.

Der Direktor des Duisburger CAR-Instituts hält fest: Seit Juni ist der durchschnittliche Nettopreis der 30 meistverkauften Neuwagen um 1,2 Prozent oder 460 Euro auf 38.000 Euro gestiegen. „Verkaufsförderung und Rabatte sind zum Auslaufmodell geworden“, erklärt Dudenhöffer. Erstmals seit der Wiedervereinigung sei der deutsche Automarkt durch eine Neuwagen-Knappheit gekennzeichnet. „Die Autokäufer tragen damit einen großen Teil der Kosten der Chipkrise“, sagt er.

Und sie bescheren der Autoindustrie trotz stark sinkender Absatzzahlen offenbar prächtig sprudelnde Gewinne. So haben die 16 größten Autokonzerne der Welt laut einer EY-Studie im vergangenen Quartal „mehr Gewinn erwirtschaftet als je zuvor“. Die Spitzengruppe setzte zwar gegenüber dem Vorjahreszeitraum 16 Prozent weniger Autos ab, steigerte aber den Betriebsgewinn um 11 Prozent auf 23,1 Milliarden US-Dollar (20,5 Milliarden Euro) – ein neues Rekordhoch.

Verfügbare Mikrochips würden vor allem in teure, profitable Modelle eingebaut. Wegen der hohen Nachfrage gebe es keine Rabatte. EY-Branchenexperte Constantin Gall: „Eine derartig gute Preisdurchsetzung hat die Branche schon sehr lange nicht erlebt.“ Lesen Sie auch: Jetzt kommen die Elektro-Lastwagen auf die Straße

Auch Gebrauchtwagen immer teurer

Der Teilemangel hat auch spürbare Auswirkungen auf den Gebrauchtwagenmarkt. Schnäppchen werden immer seltener, die Preise ziehen immer weiter an, wie der Marktbeobachter Deutsche Automobil Treuhand ermittelt hat. Bei drei Jahre alten Benzinern stieg der durchschnittliche Weiterverkaufspreis nach jüngsten Zahlen von Juni bis September von 55,5 auf 58 Prozent des einstigen Listen-Neupreises.

Wenig Grund zum Jubeln haben unterdessen die Beschäftigten der Autokonzerne. Die Unternehmen schicken ihr Personal teilweise monatelang in Kurzarbeit. Daimler meldete in diesem Jahr immer wieder wochenweisen Produktionsstopps in Bremen, Rastatt oder Sindelfingen.

Im VW-Werk in Emden ruht die Arbeit seit dem Nikolaustag. Wegen fehlender Mikrochips und Elektronikbauteile kommt der Standort in diesem Jahr auf rund 70 Schließtage. Auch bei Audi in Ingolstadt und Neckarsulm gibt es immer wieder Kurzarbeit. Opel hat sein Werk in Eisenach Anfang Oktober gleich bis zum Jahresende dichtgemacht. Mehr zur Chipkrise: Welche Weihnachtsgeschenke jetzt knapp werden könnten

Das Kurzarbeitergeld zahlt die Arbeitsagentur aus einem Topf der Arbeitslosenversicherung. Dass damit alle Beschäftigten in der Bundesrepublik trotz Rekordgewinnen für die Probleme der Autoindustrie aufkommen müssen, bleibt nicht ohne Widerspruch. „Es kann nicht sein, dass Konzerne, die Dividenden ausschütten, Staatshilfen erhalten. Das war einer der Skandale der Pandemie, der sich nicht wiederholen darf“, sagte Dietmar Bartsch, Vorsitzender der Linke-Fraktion im Bundestag, unserer Redaktion.

Bartsch: „Konzerne selbst sollten die Kosten der Kurzarbeit tragen.“

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sollten diese Mitnahmementalität in den Führungsetagen der Konzerne stoppen, fordert Bartsch: „Nicht die Steuer- und Beitragszahler, sondern die Konzerne selbst sollten die Kosten der Kurzarbeit tragen.“

Zur Belastung wird die Mangelwirtschaft in der Autoindustrie auch zunehmend für Zulieferer, die keine Lieferprobleme haben. Aufträge würden kurzfristig storniert, Lastwagen müssten umkehren, erklärte die Arbeitsgemeinschaft der Zulieferindustrie kürzlich. Autokonzerne verweigerten obendrein Zahlungen mit Hinweis auf den Chipmangel. Dies bringe mittelständische Unternehmen zunehmend in Existenznot.

Die deutsche Kautschukindustrie warnte gar vor einer Insolvenzwelle kleinerer Autozulieferer bis Weihnachten.