Unternehmenskommunikation

Warum immer mehr Firmen ihre Kunden duzen

| Lesedauer: 9 Minuten
Hanna-Lotte Mikuteit
Mit „Viele Grüße dein OTTO-Service-Team“ verabschiedet sich der Versandhandel in seinen Mails – das kommt nicht immer gut an.

Mit „Viele Grüße dein OTTO-Service-Team“ verabschiedet sich der Versandhandel in seinen Mails – das kommt nicht immer gut an.

Foto: picture alliance / PublicAd | Mirko Hannemann

Große Betriebe wie Otto sprechen ihre Kunden auch in offiziellen Schreiben mit Vornamen an. Nicht allen gefällt das. Stirbt das Siezen aus?

Hamburg. Selbst Vorstandschefs treten heute meist ohne Krawatte auf. Sneakers und Jeans sind im Büroalltag längst Normalität – bei Männern und Frauen. Und jetzt fällt auch das Siezen in vielen Unternehmen weg. Einst wichtige Formen des Kontakts in der Geschäftswelt ändern sich gerade fundamental. Inzwischen werden auch Kunden und Kundinnen immer häufiger mit Du angesprochen. Nicht nur in der Start-up-Szene.

Der schwedische Möbelkonzern Ikea war hierzulande vor knapp 20 Jahren der Pionier, US-Technologiefirmen wie Apple, Google oder New Work duzen ihre Kunden auch schon länger ganz selbstverständlich. Aber auch deutsche Unternehmen wie die Discounterkette Aldi, der Outdoor-Ausrüster Globetrotter, die Sportmarke Adidas oder der Online-Händler Otto setzen nun auf die lockere Form der Anrede. „Du“ oder „Sie“ – das ist immer häufiger keine Frage mehr.

Unternehmenskommunikation: Welche Firmen ihre Kunden lieber duzen

Nicht allen gefällt das. So wie dem Hamburger Dietrich Keller (Name geändert). Nachdem er vor Kurzem eine Bestellung über das Online-Portal von Otto abgeschickt hatte, kam kurz darauf die Bestätigung per Mail – überschrieben mit „Hallo Dietrich“. Im Verlauf der kurzen Nachricht wurde er gleich dreimal mit Du angesprochen. Am Ende folgte als Grußformel „Viele Grüße dein OTTO-Service-Team“.

Der 65-Jährige Farmsener antwortete vergrätzt noch in der gleichen Nacht mit der Aufforderung, das Duzen einzustellen. Die Mail unterzeichnete er demonstrativ mit „Herr Keller“. Auch der folgende Mailwechsel, in dem das Serviceteam ihn von den Vorteilen des Duzens zu überzeugen versuchte – und dabei mit Sie ansprach – , änderten seinen Ärger über die „Abflachung der Höflichkeit im Internet“ nicht. „Im Geschäftsverkehr ohne intensiven persönlichen Kontakt zu duzen, ist niedrigstes Niveau“, kritisiert der Ingenieur und beklagt fehlenden Respekt.

In den Sozialen Medien wurde noch nie gesiezt

Die Debatte um die Duz-Welle ist in vollem Gang. Auf Internet-Plattform und in Foren geht es hoch her. Sprachwissenschaftler wie Stefanie Stricker von der Universität Bamberg sprechen von einem „Sprachwandel, der schon innerhalb einer Generation zu Änderungen führt“. Dabei wird nicht nur in und von Unternehmen zunehmend geduzt, auch im persönlichen Umfeld etwa beim Elternabend in Kitas oder Schulen, in Cafés, Boutiquen oder beim Anruf im Kundencenter ist die traditionelle Sie- Kultur spürbar auf dem Rückzug. In Berlin haben die Jusos gerade mit ihrem Vorschlag, dass Schüler ihre Lehrer duzen dürfen sollen, für Kontroversen gesorgt. Ende offen.

Bei Otto lief der Wechsel vom Sie zum Du schrittweise. 2016 hatte der Hamburger Handels- und Dienstleistungskonzern im Zuge einer Neupositionierung des Traditionsunternehmens intern mit dem Duzen angefangen – vom Boten bis zum Vorstand, auf freiwilliger Basis. Inzwischen ist das in den Unternehmen der Gruppe alltäglicher Usus. 2018 verwendete der Online-Händler erstmal in der Werbung die Ansprache per Du. In sozialen Medien wie Twitter, Facebook, Instagram oder WhatsApp gab es gleich von Anfang an kein Sie. Mittlerweile werden Kunden auch in Mailings, bei Katalogversendungen oder bei der Bestellabwicklung mit Vornamen und Du angesprochen.

Bei Mahnungen setzt auch Otto auf das Sie

„Damit unterstreichen wir sprachlich die Positionierung von Otto als persönliche, fair agierende und richtungsweisende Marke“, sagt Unternehmenssprecher Frank Surholt. Auch der Aspekt der Empathie komme glaubwürdiger zur Geltung, wenn das Sie wegfalle, das unvermeidlich für eine gewisse Distanz sorge. „Das Du nimmt darüber hinaus eine verbreitete Umgangsform im Internet auf und schafft so Einheitlichkeit im Markenauftritt.“ Das Gros der Kunden und Kundinnen akzeptiere diese Form der Anrede, so der Sprecher.

Natürlich gebe es auch immer wieder Kritik am Duzen wie auch am Gendern. „Das nehmen wir ernst und beantworten Fragen oder kritische Mails dazu immer höflich und freundlich.“ Klar sei aber auch: Otto halte an dem Sprachgebrauch fest. „Die Kritik halten wir aus.“ In der direkten Kommunikation werde allerdings auf Kundenwunsch auch weiterhin gesiezt, betont Surholt. Und es gibt noch eine Ausnahme: Bei Zahlungserinnerungen des Unternehmens wie auch bei Mahnungen der Inkasso-Dienstes EOS wird aus dem freundlichen Du wieder das distanzierte Sie.

Sind Sie-Sager Spießer?

Auch Aldi Nord sagt inzwischen Du zu Kunden und Kundinnen. „Wir stellen aktuell unsere Kanäle auf diese persönlichere Form der Ansprache um“, erklärt eine Unternehmenssprecherin auf Abendblatt-Anfrage. Die Kunden begrüßten in der Regel die lockerere Form der Anrede. Insbesondere bei der Ansprache der jungen Zielgruppe sei das Du mittlerweile die gängige Form. „Aber natürlich verstehen wir auch, dass nicht alle Kunden geduzt werden möchten“, sagt die Aldi-Sprecherin. Wie damit umgegangen wird, sagt sie nicht.

Sind Du-Sager nun modern, Sie-Sager Spießer? Historisch ist das Sie ein Erbe aus dem mittelalterlichen Feudalismus, ebenso wie die Anreden „Herr“ und „Frau“. Ursprünglich waren sie der herrschenden Schicht vorbehalten. Mit den Jahrzehnten übernahm auch das Bürgertum die Höflichkeitsform des Adels. Allerdings mit Abgrenzungen: Gesiezt wurden die oben, geduzt die da unten. Nachdem bis in die 1960er-Jahre die Anrede mit Sie der gesellschaftliche Normalfall war, änderte sich das mit Beginn der Studentenbewegung und der damit verbundenen Demokratisierung der Gesellschaft.

Das Siezen überwindet keine Distanz

Dabei gilt bis heute die Regel: Der Ältere bietet das Du dem Jüngeren an, die Frau dem Mann. Unter anderem haben sich auch Mischformen gebildet, wie das sogenannte Hamburger Sie – bei dem die Anrede Sie und der Vorname kombiniert werden. Vor allem das Internet und die sozialen Medien sowie der Einfluss der englischen Sprache haben der Verbreitung der Du-Form in der Alltagssprache weiteren Schub gegeben.

„Der Hauptvorteil des Duzens für Unternehmen ist, dass viele Kunden einen persönlichen und zumeist positiven Bezug entwickeln“, sagt Professor Ulrich Reinhardt, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen und nach einem längeren Aufenthalt in den USA ein Befürworter der Duz-Kultur. Im Vergleich zu anderen Sprachen hemme das Siezen im Deutschen grundsätzlich, da eine Distanz bestehen bleibt. Reinhardt rechnet damit, dass alle Firmen mit eher jüngeren Kunden in Zukunft zum Duzen übergehen.

Aber auch Firmen mit einer breiten Kundenstruktur würden sich am Du probieren. Dabei sei absehbar, dass dies auch für Verwirrung und Unbehagen führen könne. „Ältere Menschen fühlen sich dadurch weniger ernst genommen. Sie empfinden das Duzen zudem oftmals als unhöflich, respektlos und unangebracht.“

Knigge-Expertin rät Unternehmen vom Duzen ab

Aber was ist der richtige Ton für ein Unternehmen? Linda Kaiser, stellvertretende Vorsitzende der Knigge-Gesellschaft und selbstständige Stil- und Imageberaterin, beschäftigt sich schon länger mit dem Thema und wird oft von Firmen nach der passenden Kundenansprache gefragt. „Ungefragt Duzen ist unhöflich“, sagt sie und kritisiert eine „gewisse Art von Übergriffigkeit“ und „den Versuch der Gleichmacherei“, wenn Firmen die Anrede wechseln. Das Du im Sprachgebrauch setze Vertraulichkeit und gegenseitiges Einverständnis voraus, das nur im persönlichen Kontakt getroffen werden könne. Das sei aber nicht möglich, wenn etwa eine Internetseite oder ein Bestellformular umgestaltet würden.

„Ich rate deshalb davon oft ab, weil es dem Image eines Unternehmens schaden kann.“ Dabei sieht die Benimm-Expertin, die auch Germanistin ist, unterschiedliche Entwicklungen. Während bei Banken, Versicherungen oder auch im Gesundheitsbereich, wo es oft um sensible Daten gehe, die Distanz wichtig sei, damit sich beide Seiten wohl fühlten, sei das bei Dienstleistern ganz anders. „Da kann das Du dazu beitragen, eine Community zu generieren.“

Passt der „Schulhof-Ton“ in die Kunden-Kommunikation?

Es komme auf die Feinheiten an. Trotzdem erwartet sie nicht, dass das Sie bald ausstirbt. „Ich habe großes Vertrauen in die junge Generation, dass sie die Feinheiten der Sprache noch viele Jahrzehnte nutzen will“, sagt die Expertin. Die gelernten Sprachmuster seien stark verankert – und machten das Leben oft einfacher.

Otto-Kunde Dietrich Keller bleibt weiterhin kritisch gegenüber dem „Schulhof-Ton“ in der Kunden-Kommunikation, wie er es nennt. Sein Vorschlag: Bei der Registrierung sollten Kunden die Möglichkeit bekommen zu wählen, ob sie gesiezt oder geduzt werden möchten. Er hat inzwischen seine Entscheidung getroffen: Solange ihn Otto weiterhin ohne sein Einverständnis mit Du anspreche, will er dort nicht mehr ordern.

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